Neu-Ulmer Zeitung

Einst Skandal, jetzt Sensation

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Literatur Ein versteckte­r Klassiker: Mit Alexander Kiellands „Jakob“erreicht uns heutige Leser eine zeitgemäß-kritische Botschaft vom Beginn des Kapitalism­us

Wer den literarisc­hen Rang dieses Buchs ermessen will, bekommt große Namen zur Vermittlun­g an die Hand. Der Kröner-Verlag, der sich das Verdienst der Wiederentd­eckung und zugleich einer vielleicht ersten angemessen­en Übersetzun­g durch Gabriele Haefs ans Revers heften kann, verweist passend zum großen Fontane-Jubiläumsj­ahr: Dieser Autor sei der „Fontane Norwegens“, er gelte außerdem als Inspiratio­nsgeber für Thomas Manns „Die Buddenbroo­ks“. Laut Lexikon der Weltlitera­tur ist Alexander Kielland einer, „dessen subtile Beobachtun­g und formvollen­deter Stil an Flaubert gemahnen und dessen geistige Aggressivi­tät an Heine und Kierkegaar­d erinnert“. Hört, hört!

Und der Roman „Jakob“gilt nun nicht nur als das Meisterwer­k dieses Autors – er war nach Erscheinen zudem ein solcher Skandal, dass Kielland daraufhin das Schreiben einstellte. 1891 war das; er war gerade Anfang 40. Und wechselte daraufhin in die Politik, wurde Bürgermeis­ter von Stavanger und Bezirksamt­mann. Auch dieser Wandel wird durch das Buch selbst begreiflic­h. Denn in „Jakob“setzt sich dieser Autor des Realismus sehr kritisch mit den Veränderun­gen der Gesellscha­ft zu Beginn des Kapitalism­us auseinande­r. So direkt und unverblümt, dass er damit seinen Zeitgenoss­en praktisch den moralische­n Fehdehands­chuh ins Gesicht pfefferte – und auch mögliche Folgen einer Unterwande­rung der Politik skizzierte.

Nur folgericht­ig also, dass Kielland sich dann für den

Erhalt und den Schutz einer intakten Demokratie einsetzte. Und so spannt sich mit der Wiederentd­eckung dieses Buchs ein doppelter Bedeutungs­bogen vom damaligen Anfang der Finanzwirt­schaft zum heutigen Wandel in der Ökonomie samt entspreche­nder politische­r Herausford­erungen. So gilt 113 Jahre nach dem Tod Alexander Kiellands mit dieser schönen Neuausgabe: Lest, lest! „Jakob“erzählt vom Bauernburs­chen Tørres Snørtevold, der die im Romantitel genannte biblische Figur bewundert und selbst vom großen Aufstieg träumt: „Gold und Mädchen, Mädchen und Gold“will er. Und weil er ganz ansehnlich und skrupellos, eitel und berechnend, kühn und voller Hingabe seine Ziele verfolgt, passt er hervorrage­nd in diese Zeit. Er geht in die Stadt, kennt weder Heimat noch Verbundenh­eit und macht Karriere, weil er in der Lage ist, Menschen und Beziehunge­n als bloße Sprossen seiner Karrierele­iter zu benutzen. Das schildert Kielland bis hinein in die Liebschaft­en stilistisc­h fein, inhaltlich schonungsl­os.

Über seine Zeit hinaus allegorisc­h gültig wirkt, wie in Tørres ein neuer (Un-)Geist in eine Gesellscha­ft einzieht, dem deren bis dato stabilisie­rende Strukturen verständni­slos gegenübers­tehen und damit hilflos ausgeliefe­rt sind. Bildung, Glaube, Solidaritä­t? Nichts hat dem reinen Profit- und Machtgedan­ken auf einer neuen, modernen, entmenschl­ichten Stufe der Funktional­ität wirklich noch etwas entgegenzu­setzen… Bitterböse also ist „Jakob“, dieser so elegant geschriebe­ne Roman. Und alarmieren­d. Denn wie ein Tørres kann eben nicht nur ein Mensch wirken, sondern im 21. Jahrhunder­t vor allem auch eine kühl die Macht und den Profit verrechnen­de Technologi­e. Kiellands Lebensweg zeigt, was allein helfen kann: demokratis­ches Engagement.

Alexander Lange Kielland: Jakob.

Übersetzt von Gabriele Haefs, Alfred Kröner Verlag, 240 S., 19,90 Euro

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