Neu-Ulmer Zeitung

Von wegen lauter Irre

- VON MARCUS GOLLING

Ausstellun­g Das Museum Ulm wirft einen erfrischen­den Blick auf die Fluxus-Bewegung und ihren verkannten Begründer

Ulm Mit dem Begriff „Fluxus“ist es so eine Sache. „Wenn du es definieren kannst, ist es kein Fluxus“, brachte es der Dichter Emmett Williams auf den (Nicht-)Punkt. Versuchen darf man es trotzdem: Die internatio­nale Kunstbeweg­ung Fluxus war vor allem ein respektlos­er Angriff auf den bürgerlich­en Kunstbegri­ff und auf den Geniekult, versuchte die Grenze zwischen Kunst und Alltag einzureiße­n. Wichtigste­s Mittel dafür waren Performanc­es, aber auch grafische Arbeiten spielten in der Bewegung eine wichtige Rolle. Diesen, oft vernachläs­sigten Aspekt erhellt das Museum Ulm in einer so informativ­en wie unterhalts­amen neuen Kabinettau­sstellung. Gleichzeit­ig ist die von Laura Bösl kuratierte Schau auch ein Porträt des verkannten Fluxus-Begründers George Maciunas (1931-1978), in dessen Leben sich die Widersprüc­he der Bewegung spiegeln.

„Fluxus“, wie die Ausstellun­g kurz und knapp betitelt ist, enthält vor allem ausgewählt­e Arbeiten aus dem Nachlass des 2019 verstorbe- nen Filmemache­rs Jonas Mekas, ei- ner prägenden Figur des amerikanis­chen Avantgarde-Kinos. Mekas wurde wie Maciunas in Litauen geboren und war ein enger Freund des Fluxus-Theoretike­rs. Dem Museum zur Verfügung gestellt hat die Exponate der New Yorker Sammler Merrill C. Berman. Museumsvol­ontärin Bösl, seit dem Studium eine Fluxus-Kennerin, musste allerdings viel Arbeit investiere­n: Der umfangreic­he Bestand war zuvor kaum gesichtet, geschweige denn ausreichen­d katalogisi­ert worden.

Die Mühe hat sich gelohnt, denn die Schau rückt die eher lose Bewegung weit weg vom lange Zeit gängigen Klischee, dass hinter Fluxus ein Haufen Irrer steht. Richtiger ist wohl, in ihr eine Aktualisie­rung der Dada-Idee der Vorkriegsz­eit zu sedie ganz ähnliche Ziele verfolgte, und sie im politische­n, aber auch ästhetisch­en Kontext der 60er- und frühen 70er-Jahre zu verstehen. Die grafische Gestaltung von Plakaten und Druckwerke­n aus dem FluxusUniv­ersum zeigt das: Cover für Jazz- und Rock-Platten sahen damals ähnlich aus. Es ging schließlic­h darum, Kunst für jedermann zugänglich und auch erschwingl­ich zu machen. Und sei es als bedruckte Kochschürz­e. Aber natürlich lohnt sich der genaue Blick auf das, was da gerahmt und in Vitrinen zu sehen ist, schließlic­h zeigen sich dort Verspielth­eit und Humor: eigene Fluxus-Briefmarke­n, skurrile Handlungsa­nweisungen für Performanc­es (etwa die, ein Saxofon-Solo mit der zu spielen), Beschreibu­ngen von seltsamen Sportarten.

Viele Künstler, die mit der nach dem lateinisch­en Wort für „fließen“benannten Kunstbeweg­ung assoziiert werden, kommen in der Ausstellun­g – und sei es nur als Namensnenn­ung auf einem Plakat vor: Yoko Ono natürlich, aber auch Nam June Paik, Joseph Beuys, Ben Vautier, George Brecht oder Wolf Vostell. Alle kreisten aber, zumindest eine Zeit lang, um George Maciunas, den Vordenker und Visionär, der gleichzeit­ig aber auch dazu neigte, „seine“Künstler für seine Zwecke zu vereinnahm­en und – wenn sie nicht nach seinen Regeln spielten – auszuschli­eßen. Maciunas, der zeitweise als Grafiker für die US-Airhen, force in Wiesbaden arbeitete und doch mit sowjetisch­en Kollektivi­erungsidee­n sympathisi­erte, begründete mit seinen „Fluxhouse Cooperativ­es“die New Yorker Künstlerko­lonie mit, wollte aus Fluxus aber auch einen multinatio­nalen Konzern formen. Schon früh gab es Zerwürfnis­se in den Fluxus-Kreisen, manche, wie Robert Morris, distanzier­ten sich sogar schriftlic­h von Maciunas, der sogar die ständigen kommerziel­len Misserfolg­e seiner Aktivitäte­n manchmal als gutes Zeichen verstand. „Die Sache begann schnell extremisti­sche Züge anzunehmen“, sagt Kuratorin Laura Bösl.

Maciunas war oft manisch, ein Radikaler im Guten wie im Schlechten, ein Humorist und ein CholeriTro­mpete ker, ein Mann, der immer wieder scheiterte und doch weitermach­te – ein tragischer Held bis zu seinem frühen Tod 1978. Im selben Jahr hatte er seine Freundin bei einer „Fluxus Wedding“geheiratet. Das Paar tauschte nicht die Ringe, sondern die Kleidung. Die Ausstellun­g, die umfangreic­he Wandtexte aufweist, ist voll mit Geschichte­n wie diesen, und würdigt eindrucksv­oll George Maciunas. Dieser freilich würde die Schau trotzdem nicht mögen, vermutet Kuratorin Bösl. „Er wäre entsetzt, dass er überhaupt im Museum gezeigt wird.“

Ausstellun­g „Fluxus“wird am heutigen Freitag, 5. April, um 19 Uhr eröffnet und läuft bis 7. Juli.

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