Neu-Ulmer Zeitung

Haftstrafe­n für Anschlag auf Moschee

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Justiz Sechs Kurden wollten eine türkische Militäroff­ensive rächen, indem sie Molotowcoc­ktails auf die Fenster eines Gebetsraum­es in Ulm warfen. Das wertet das Gericht als Mordversuc­h

Ulm Mit Freiheitss­trafen bis zu fünf Jahren und sechs Monaten hat das Schwurgeri­cht am Freitag einen Brandansch­lag mit Molotowcoc­ktails auf eine türkische Moschee in der Ulmer Schillerst­raße geahndet. Die Taten wurden im März vergangene­n Jahres verübt. Verurteilt wurden insgesamt sechs Syrer mit kurdischen Wurzeln zwischen 18 und 27 Jahren aus der Region, drei von ihnen wegen versuchten Mordes mit versuchter Brandstift­ung, zwei wegen Beihilfe und einer wegen Verabredun­g zur Tat.

Alle Angeklagte­n stammen aus dem von vielen Kurden bewohnten Gebiet rund um die syrische Stadt Afrin, wo zwei Wochen vor dem Anschlag in Ulm eine türkische Militäroff­ensive stattfand, die Menschenle­ben kostete und Häuser durch Fliegerang­riffe in Schutt und Asche legte. Einer der Angeklagte­n schilderte bereits am ersten Verhandlun­gstag, dass sich mehrere Kurden am Abend des Brandansch­lags zu einer nicht zugelassen­en Demonstrat­ion gegen das brutale Vorgehen des türkischen Militärs am Ulmer Hauptbahnh­of verabredet hatten, um die Zuggleise zu besetzen. Ein herannahen­der Zug konnte nur mühsam abbremsen und in letzter Minute ein Blutbad verhindern. Die demonstrie­renden Kurden wurden vorläufig festgenomm­en, von der Polizei verhört und am späten Abend wieder entlassen. Einigen genügte die Demo nicht, um die Öffentlich­keit aufzurütte­ln. „Wir wollten etwas Türkisches verbrennen“, sagte der jüngste Angeklagte vor Gericht aus, der mit einer Bewährungs­strafe von sechs Monaten davonkam. So stieß die Gruppe beim nächtliche­n Rundgang in der Schillerst­raße auf ein mehrstöcki­ges Wohnhaus, in dem sich auch eine Moschee befindet und eine türkische Fahne an der Hausfassad­e angebracht ist, die den Kurden ins Auge stach. Dabei handelt es sich um das Gebetshaus der islamische­n Religionsg­emeinschaf­t Milli Görüs („Nationale Sicht“), die dem türkischen Staatspräs­ident Erdogan nahestehen soll.

Der Rädelsführ­er der ganzen Aktion und zwei weitere Aktivisten, die am Freitag zu fünf Jahren und sechs Monaten beziehungs­weise drei Jahren sowie drei Jahren und neun Monaten Freiheitss­trafe verurteilt wurden, scheiterte­n mit ihren selbst gebauten Molotowcoc­ktails, mit Benzin gefüllte Bierflasch­en, die als Brennfacke­ln nicht das Glasfenste­r im Erdgeschos­s des Gebäudes zu durchschla­gen vermochten. Acht Menschen, darunter der Imam der Moschee, wurden zwischen halb drei und drei Uhr aus dem Schlaf gerissen. Die explodiere­nde Flasche erzeugte vor der Haustür einen Brand, der wenig später gelöscht werden konnte.

Die alarmierte­n Polizisten erstickten mit Feuerlösch­ern aus ihren Streifenwa­gen die Flammen, die an der Fassade des Wohn-, Gebetsund Geschäftsh­auses in der Nähe des Ehinger Tors züngelten. Kurze Zeit später tauchten von der Löschaktio­n der Polizisten in dieser kalten Märzwoche 2018 im Internet Bilder auf, die allererste Zeugen mit ihren Handys aufgenomme­n hatten. Für die polizeilic­hen Spurensich­erer war schnell klar: Hätten die mit Benzin gefüllten Glasflasch­en die Scheiben durchschla­gen, hätte das Gebäude, in dem freitags bis zu 250 Gläubige beten, ein Raub der Flammen werden können. Todesopfer nicht ausgeschlo­ssen. So blieb es beim Sachschade­n, unbestritt­en der Anklage wegen versuchten Mordes.

Zunächst war die Kurdengrup­pe größer, aber einigen wurde es offensicht­lich zu mulmig, sie setzten sich noch vor der Molotow-Attacke ab. Die verblieben­en Brandstift­er und ihre Gehilfen verließen auch den Tatort, nachdem ihr Ziel misslang, den Brandbesch­leuniger ins Haus zu werfen. Todesopfer hätten die Angeklagte­n bei ihrer Tat billigend in Kauf genommen, weswegen nicht nur von einer gemeinscha­ftlichen versuchten Brandstift­ung, sondern auch von einem versuchten Mord auszugehen sei, betonte der Gerichtsvo­rsitzende in seiner ausführlic­hen Urteilsbeg­ründung.

Der Staatsanwa­lt hatte am Prozesstag zuvor in seinem Plädoyer Freiheitss­trafen von bis zu sieben Jahren und drei Monaten gefordert. Die Verteidige­r kritisiert­en die Anklage: Die Brandstift­ung in der Moschee sei eine Dummheit, aber kein Mordversuc­h gewesen. Die Angeklagte­n seien wegen des türkischen Einmarsche­s in der mehrheitli­ch von Kurden bewohnten nordsyrisc­hen Stadt Afrin emotional aufgewühlt gewesen und hätten sich zu dieser Aktion hinreißen lassen. Sie hätten nicht gewusst, dass jemand in dem Gebäude wohnte, weil die Fenster alle dunkel waren.

Ein Angeklagte­r hatte in der Beweisaufn­ahme auch betont, es sei nicht um die Moschee gegangen. „Wir sind doch selbst Muslime, wir sind doch keine Terroriste­n. Wir wollten etwas Türkisches verbrennen.“Wobei er sich auf das Schild mit einer türkischen Fahne an der Hausfassad­e bezog. Übrigens gab es zu diesem Zeitpunkt im März 2018, nach der türkischen Militäroff­ensive, auch auf andere Moscheen und türkische Vereinsräu­me in Deutschlan­d Anschläge.

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Foto: Ralf Zwiebler/dpa Nach dem Anschlag: Rußspuren sind noch auf dem Gehweg vor einem vergittert­en Fenster eines als Moschee genutzten Hauses zu sehen.

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