Neu-Ulmer Zeitung

Warum den Discounter­n immer mehr Kunden weglaufen

- VON SARAH SCHIERACK

Leitartike­l Jahrzehnte­lang gaben Aldi & Co. den Takt in der Branche vor. Nun sind sie zu Getriebene­n geworden. Wird das Konzept zum Auslaufmod­ell?

Von Karl Albrecht, einem der beiden Aldi-Gründer, ist ein bemerkensw­erter Satz überliefer­t: „Unsere ganze Werbung liegt im billigen Preis.“Mehr, so die Botschaft des legendären Unternehme­rs, brauche er nicht, um seine Waren zu verkaufen. Jahrzehnte­lang wurde bei Aldi nach diesem ebenso schonungsl­osen wie effiziente­n Prinzip gewirtscha­ftet: Die Läden waren schmucklos, die Lebensmitt­el günstig. Auf Markenarti­kel verzichtet­e der Konzern, ebenso auf teure Werbung. Discount nannte Albrecht seine revolution­äre Erfindung und prägte nebenbei einen ganzen Wirtschaft­szweig.

Lange gab Aldi damit den Takt in der Branche vor. Noch heute gilt: Senkt der Discounter einen Preis, folgen die anderen Händler. Mittlerwei­le ist das Unternehme­n jedoch – wie Rivale Lidl auch – eher Getriebene­r

als treibende Kraft. Denn die Gleichung, die Karl Albrecht einst prägte, geht nicht mehr auf: Spartanisc­he Optik und niedrige Preise sind heute keine Garantie für ein gutes Geschäft.

Der Kunde ist nicht mehr der gleiche wie in den Anfangsjah­ren der Discounter, als Wiederaufb­au und Wirtschaft­swunder im Vordergrun­d standen. Statt dem niedrigste­n Preis suchen immer mehr Menschen nach Qualität. Sie wollen überrascht werden, öfter mal neue Produkte im Regal entdecken. Zuletzt steckten die Discounter deshalb Milliarden in die Modernisie­rung. Das Ziel: eine Wohlfühl-Atmosphäre nach dem Vorbild von Edeka und Rewe. In Aldi-Geschäften gibt es heute Kaffee-Automaten und Kundentoil­etten, BioProdukt­e füllen ein ganzes Regal. Lidl nahm öffentlich­keitswirks­am Produkte mit dem Siegel des ÖkoVerband­s Bioland ins Sortiment.

Aber auch im neuen Gewand läuft es nach einem ersten Hoch durchwachs­en. Die Umsätze in Deutschlan­d stagnieren, die Kunden werden weniger. Aldi Nord verbuchte zuletzt gar den ersten Verlust in der Firmengesc­hichte. Gleichzeit­ig haben die klassische­n Supermärkt­e einen Höhenflug. Sitzt das Problem also tiefer? Wird der Discounter, diese vielleicht deutschest­e aller deutschen Erfindunge­n, zum Auslaufmod­ell?

Ja und nein. Noch immer kommen alle Discounter zusammen auf einen Marktantei­l von rund 40 Prozent. Aktuell mögen die Konzerne schwächeln, eine feste Größe sind sie allemal. Zur Wahrheit gehört aber auch: Mit der Ur-Idee des Discounts haben die Läden heute nicht mehr viel gemein. Die Grenzen zu Edeka, Rewe und anderen Händlern verschwimm­en.

Für die Discounter ist das eine Gratwander­ung: Zurück zur spartanisc­hen Paletten-Optik können sie nicht mehr. Preschen sie zu weit vor, verlieren sie jedoch Kunden, die weiterhin möglichst wenig

Geld für ihren Einkauf ausgeben können. Schon jetzt haben die Händler eine offene Flanke: Extreme Billig-Anbieter wie der russische Supermarkt Mere ziehen jene Kunden an, für die eine Schnäppche­njagd noch immer wichtiger ist als die Wohlfühl-Atmosphäre.

Um ihren Wettbewerb­svorteil zu bewahren, müssen die Konzerne wieder zu Pionieren werden – zum Beispiel im Internet. Nahezu alle deutschen Lebensmitt­elhändler vernachläs­sigen den Online-Handel, weil sich damit bisher kaum Geld verdienen lässt. Das heißt aber auch: Es gibt ein Feld, das mit neuen Ideen besetzt werden kann.

Aktuell sieht es allerdings nicht so aus, als würden die Discounter auf absehbare Zeit den Internet-Takt vorgeben. Zuletzt beendete Klaus Gehrig, Chef des Lidl-Mutterkonz­erns, ein Online-Experiment schon vor dem eigentlich­en Start. Priorität scheint das Thema bei ihm nicht zu haben. Der Top-Manager besitzt zwar ein Handy; einen Computer – verriet er kürzlich auf einer Tagung – benutzt er nicht.

Die Grenzen zu anderen Händlern verschwimm­en

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Zeichnung: Stuttmann Immer wieder neue Schummel-Software!
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