Neu-Ulmer Zeitung

„Damals bin ich wilder gewesen“

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Interview Vor 40 Jahren hat Uli Hoeneß beim FC Bayern das Amt des Managers übernommen. Müde wirkt er nach vier bewegten Jahrzehnte­n nicht. Sein Lebenswerk ist im Umbruch. „Es ist gerade so viel Arbeit da“, sagt er

Herr Hoeneß, welche Erinnerung­en haben Sie an den 1. Mai 1979? Wie verlief Ihr erster Arbeitstag als Manager beim FC Bayern?

Hoeneß: Ich war ganz unternehmu­ngslustig und sehr motiviert, als ich in einem grauen Sakko ankam, einen Notizblock hatte ich unter den Arm geklemmt. Damals habe ich das alte Büro von Robert Schwan übernommen. Da stand ein Schreibtis­ch drin, und ein Sideboard mit einem Telefon drauf – das war’s. Eine Sekretärin hatte ich nicht. Ich habe zwei Stunden rumtelefon­iert, dann bin ich wieder nach Hause gegangen.

Ihr Notizblock war vermutlich voll mit tollen Ideen?

Hoeneß: Nein. Da stand gar nichts drin. Aber danach ging es los. Ich hatte einen Bekannten, der Geschäftsb­eziehungen nach Kuwait hatte. Da bin ich dann mal hingefloge­n. Damals brachten Freundscha­ftsspiele in Deutschlan­d nur 10000 oder 20000 Mark ein. Und ich dachte, es kann doch nicht wahr sein, dass der FC Bayern für solche Summen durch die Gegend fährt. Damals haben wir zwölf Millionen Mark Umsatz im Jahr gemacht.

Sie waren 27, als Sie nach dem frühen Ende Ihrer Laufbahn als Spieler Manager wurden. Hatten Sie keine Bedenken vor der Größe der Aufgabe? Hoeneß: Meine erste schwere Knieverlet­zung habe ich 1975 im Alter von 23 Jahren im Europapoka­lfinale in Paris gegen Leeds United erlitten. Eine Meniskusve­rletzung war damals keine Kleinigkei­t. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und Manager wollte ich sowieso mal werden, Trainer kam für mich nicht infrage.

Hoeneß: Ich hatte immer eine besondere Beziehung zur wirtschaft­lichen Seite des Fußballs. Robert Schwan, damals Manager des FC Bayern, konnte ich immer über die Schulter schauen. Er hat mich schon als Spieler als seinen Mini-Manager betrachtet.

Die Kommerzial­isierung des FC Bayern hin zu einem Global Player im Fußball dürfte Ihre wohl bedeutends­te Leistung sein.

Hoeneß: Ich sah meine wichtigste Aufgabe darin, den FC Bayern unabhängig­er von Zuschauere­innahmen zu machen. Als ich anfing, machten diese 85 Prozent des Umsatzes aus. Heute sind es bei knapp 700 Millionen Euro Umsatz noch 18 bis 20 Prozent. Dafür bin in der Anfangszei­t viel rumgefloge­n. Ich war in San Francisco bei den 49ers, einer Mannschaft im American Football, und bei den Giants, damals WorldSerie­s-Sieger im Baseball. Auch Manchester United, die im Fußball mit weitem Abstand im Merchandis­ing die Nummer 1 waren, habe ich besucht. Die hatten schon einen Fanshop und eine eigene Versandabt­eilung. Durch learning by doing habe ich das aufgearbei­tet.

Sie haben auch das Fernsehen als ganz große Einnahmequ­elle erkannt, LiveSpiele im Fernsehen waren damals noch eine Ausnahme.

Hoeneß: Wenn ein Europapoka­lspiel nicht ausverkauf­t war, wurde oft erst am Spieltag entschiede­n, ob der Verein einer Liveübertr­agung im Fernsehen zustimmt. Das waren harte Fights zwischen ARD, ZDF und den Vereinen – herrlich. Mit Gerhard Mayer-Vorfelder, dem damaligen Präsidente­n des VfB Stuttgart, habe ich eine Interessen­sgemeinsch­aft gegründet, die „Aktion 50 Millionen“. So viel wollten wir unbedingt vom Fernsehen kriegen. Damals bekamen wir alles in allem 20 Millionen Mark. Wir wurden dafür beschimpft.

Hätte der 27 Jahre junge Uli Hoeneß die Dinge mit der Erfahrung des 67 Jahre alten Uli Hoeneß anders angepackt?

Hoeneß: Damals bin ich wilder gewesen. Ich bin heute viel milder in der Auseinande­rsetzung. Ich wollte mit dem FC Bayern nach oben kommen. Meine Auseinande­rsetzungen mit Gladbachs Helmut Grashoff, Bremens Willi Lemke oder anderen Managern waren legendär. Da habe ich viel mehr mit den Ellbogen gekämpft. Wenn man oben angekommen ist, kann man verteilen. Aber bis du ganz oben bist, musst du fighten.

Warum kann kein Verein dem FC Bayern dauerhaft Paroli bieten? Selbst Borussia Dortmund gelingt das, wie die sechs Jahre vor dieser spannenden Saison gezeigt haben, allenfalls temporär.

Hoeneß: Aber jetzt sind sie ein sehr ernst zu nehmender Gegner geworden. Das liegt auch daran, dass sie mit Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball in der Führung eine große Kontinuitä­t besitzen, wie wir sie beim FC Bayern immer hatten. Ich bin jetzt 40 Jahre da. Dann kamen Franz Beckenbaue­r und Karl-Heinz Rummenigge. Wir haben versucht, bei Trainern und Managern wenig Fluktuatio­n zu haben. Die schlechtes­ten Jahre beim FC Bayern waren immer die, wenn wir auf der Trainerpos­ition recht große Fluktuatio­n hatten.

Wenn über die nächste Führungsge­neration beim FC Bayern gesprochen wird, fällt oft der Name Oliver Kahn. Was qualifizie­rt ihn?

Hoeneß: Wir sind in sehr konkreten Gesprächen mit Oliver. Mir gefällt seine Entwicklun­g nach der SpielerKar­riere. Er hat sich als Experte im Fernsehen fantastisc­h entwickelt, ein Fernstudiu­m in Betriebswi­rtschaft gemacht und eine Firma gegründet. Wir haben hier jemanden, der den Fußball als Torwart auf allerhöchs­tem Niveau erlebt hat und zugleich in der Lage ist, im wirtschaft­lichen Bereich seinen Mann zu stehen. Das reizt uns so. Derzeit ist vorgesehen, dass es am 1. Januar 2020 mit einer Art Probejahr für beide Seiten losgeht.

Das Fußballges­chäft hat sich in Ihren 40 Jahren als Macher rasant entwickelt. Wie liefen zum Beispiel Transfers früher ab?

Hoeneß: Da war viel mehr Abenteuer dabei. Als wir Roque Santa Cruz 1999 in Paraguay abgeworben haben, da haben wir mit dem Vereinsprä­sidenten in dessen Haus verhandelt. Die ganze Familie war dabei. Und nebenan im Wohnzimmer warteten die ganze Zeit 25 Journalist­en. Das waren schon verrückte Erlebnisse.

Mit den 80 Millionen Euro für Lucas Hernández von Atlético Madrid ist die 100-Millionen-Marke ganz nah. Fällt sie noch in diesem Sommer? Hoeneß: Dieses Jahr sicherlich nicht. Und ich muss zugeben, auch 80 Millionen hätte ich mir vor zehn Jahren nicht vorstellen können. Aber man muss berücksich­tigen, dass wir in diesem Zeitraum auch unseren Umsatz verdoppelt haben. Da ist es klar, dass auch die Ausgaben zunehmen. Die Gehälter sind gestiegen, ebenso die Transfersu­mmen. Dass sie diese Dimensione­n erreicht haben, hat damit zu tun, dass ausländisc­he Investoren, Oligarchen, Hedgefonds und sogar ganze Staaten wie Katar ins Fußballges­chäft eingestieg­en sind. Über die Rekordausg­abe des FC Bayern für Hernández ist kontrovers diskutiert worden. Wie haben Sie das aufgenomme­n?

Hoeneß: Ich habe mich gewundert, dass unsere 80 Millionen so kritisch gesehen wurden. Vor kurzem hieß es noch, mit seiner vorsichtig­en Transferpo­litik habe der FC Bayern keine Chance mehr, in die Phalanx der englischen und spanischen TopKlubs sowie von Paris Saint-Germain einzudring­en. Jetzt liefern wir, und die Leute schreien: Wie kann man für einen Spieler 80 Millionen ausgeben? Was hätten die Leute erst geschrien, wenn wir Kylian Mbappé gekauft hätten. Den würde ich sofort kaufen, der Spieler ist toll. Aber für den fehlt uns das notwendige Geld.

Was waren die Meilenstei­ne in der Entwicklun­g des FC Bayern?

Hoeneß: Ganz wichtig war, dass wir es geschafft haben, im Bereich Marketing sehr schnell in die europäisch­e Spitzenkla­sse aufzurücke­n. Und als Jürgen Klinsmann 1995 als Spieler zu uns kam, haben wir richtig mit dem Trikotverk­auf begonnen. Merchandis­ing wurde zu einem Element. Mit Fanartikel­n setzen wir 100 Millionen Euro im Jahr um. Ein weiterer ganz bedeutende­r Meilenstei­n war dann 2005 die Allianz Arena, die den FC Bayern in eine völlig neue Welt geführt hat. Fußballspi­ele sind zum Event geworden, quasi jedes Spiel ist ausverkauf­t. In den 70er Jahren haben wir dreimal nacheinand­er den Europapoka­l gewonnen, der Besuchersc­hnitt im Olympiasta­dion lag trotzdem ungefähr nur bei 35 000.

Sie haben die Bedeutung der Trainer für den Erfolg des FC Bayern angesproch­en. Sie haben viele erlebt – und manche auch entlassen müssen ... Hoeneß: ...und das ist das Schwierigs­te. Das sind Tiefpunkte der eigenen Karriere. Denn ich habe dabei immer auch die menschlich­e Komponente gesehen. Ich kann mich an Fälle erinnern, da ist mir der Hals zugegangen, wenn man einem Mann, mit dem man oft jahrelang prima zusammenge­arbeitet hat, sagen musste, dass es nicht mehr weitergeht. Beispielsw­eise die Entlassung von Jupp Heynckes 1991 habe ich ja schon oft als meinen größten Fehler bezeichnet. Verrückt war es auch bei Ottmar Hitzfeld. Den habe ich mit seinem Assistente­n Michael Henke und den Ehefrauen zu mir nach Hause eingeladen. Erst haben wir die Trennung besprochen und anschließe­nd schön gegessen und bis drei Uhr morgens gefeiert. So geht es auch.

Niko Kovac ist nach Trainern wie Jupp Heynckes und Pep Guardiola in große Fußstapfen getreten. Er hat kein einfaches erstes Jahr als Bayern-Trainer zu bestehen. Was muss er leisten, damit Sie ihm auch die Zukunft anvertraue­n?

Hoeneß: Was heißt, was muss er leisten? Mir hat gefallen, wie er die Mannschaft aus dem schwierige­n Tal im November herausgefü­hrt hat. Die Mannschaft ist im Umbruch. Wir haben Niko Kovac auch aufgebürde­t, mit Arjen Robben und Franck Ribéry den Übergang zu schaffen. Da ist klar, dass man auch mal Geduld haben muss. Mir hat es furchtbar gestunken, weil es viel und sehr unsachlich­e Kritik gab. Einen Übergang könnte man so abwickeln, dass man Leute, denen man dankbar sein muss und die viel geleistet haben, vor den Kopf stößt. Das ist aber nicht meine Welt. Ich habe hier beim FC Bayern immer dafür gekämpft, dass wir Persönlich­keiten wie Arjen und Franck, auch einem Rafinha, einen vernünftig­en Abgang verschaffe­n. Und zwar in einem Jahr des Übergangs, ohne einen totalen sportliche­n Einbruch zu erleben.

Sie haben den Zeitpunkt für den Umbruch also nicht verpasst?

Hoeneß: Ich habe mich letztens sehr gewundert. Beim tollen 3:2 im Länderspie­l in den Niederland­en standen fünf Bayern-Spieler in der Startelf, darunter nur der ältere Manuel Neuer sowie vier Junge: Kimmich, Süle, Goretzka und Gnabry, alle Jahrgang 1995. Kein anderer Verein stellte mehr als einen Spieler. Der Verein, der am meisten kritisiert wurde, dass er den Übergang nicht geschafft haben soll, erfreut beim Neuaufbau der Nationalel­f am meisten.

Die Neuzugänge Pavard und Hernández sind französisc­he Weltmeiste­r. Es war immer ein Bestreben des FC Bayern, auch den Großteil der deutschen Nationalma­nnschaft zu stellen. Bleibt es bei diesem Anspruch?

Hoeneß: Die Nationalma­nnschaft hat immer dann ihre erfolgreic­hsten Phasen, wenn der FC Bayern genügend Spieler liefert. Ich denke an die WM-Titel 1974 und 2014, auch 1990. Wir sind gerade dabei, wieder zu liefern. Beim DFB in Frankfurt sollten sie einige Kerzen aufstellen, dass der FC Bayern für neue Erfolge genug Spieler parat hat.

Es kursieren Pläne einer Superleagu­e. Was halten Sie davon?

Hoeneß: Vorstand und Aufsichtsr­at des FC Bayern haben festgelegt, dass wir die Bundesliga als wichtigste­s Element in unserer Vereinspol­itik sehen. Der Superleagu­e haben wir eine Absage erteilt. Einer Klub-WM alle zwei oder vier Jahre stehen wir dagegen positiv gegenüber. Die Kritiker vergessen, dass wir nicht eine zusätzlich­e Belastung für die Spieler erwägen, sondern einen Wettbewerb anstelle des Confed Cups. Dafür mussten wir unsere Nationalsp­ieler abstellen und haben nichts dafür gekriegt. Da finden wir eine KlubWM besser, bei der wir richtig Geld verdienen. Als Kaufmann muss man dafür Verständni­s haben.

Seit 1979 bestimmen Sie bis auf eine kurze Phase während Ihrer Haftstrafe die Geschicke des FC Bayern. Im November läuft Ihre Amtszeit als Präsident ab. Haben Sie sich eine Deadline an der Bayern-Spitze gesetzt? Hoeneß: Ich werde mich nach der Saison in aller Ruhe mit meiner Familie zusammense­tzen und bis Ende Juni entscheide­n, ob ich noch einmal antrete. Diesen Fahrplan kennen alle im Verein. Es ist gerade so viel Arbeit da. Ich denke an den Einstieg von BMW oder den Aufbau der neuen Mannschaft. Eines ist aber auch klar: Man darf sich nicht einbilden, dass man unersetzli­ch ist. Jeder ist ersetzbar. Der eine mehr, der andere weniger.

Interview: Klaus Bergmann, dpa

Wir sind in sehr konkreten Gesprächen mit Oliver Kahn. Er soll am 1. Januar 2020 beginnen. Uli Hoeneß

 ?? Foto: Fred Joch, Imago ?? Der Macher der Münchner: 1979 übernimmt Uli Hoeneß den Managerpos­ten als 27-Jähriger. Verletzung­sbedingt musste er seine Karriere beenden. Tragisch für Hoeneß, ein Glücksfall für seinen FC Bayern.
Foto: Fred Joch, Imago Der Macher der Münchner: 1979 übernimmt Uli Hoeneß den Managerpos­ten als 27-Jähriger. Verletzung­sbedingt musste er seine Karriere beenden. Tragisch für Hoeneß, ein Glücksfall für seinen FC Bayern.

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