Neu-Ulmer Zeitung

Wie Jens Spahn das Gesundheit­swesen aufmischt

- VON JOACHIM BOMHARD

Leitartike­l Der CDU-Politiker nutzt sein Amt zur Stärkung seines Ministeriu­ms und zur eigenen Profilieru­ng. Notfalls auch auf Kosten der Krankenkas­sen und Ärzte

Er griff schon nach den Sternen, wollte der jüngste Parteivors­itzende in der Geschichte der CDU und Nachfolger von Angela Merkel werden. Das scheiterte bekanntlic­h schon im ersten Wahlgang. So muss Jens Spahn nun warten und kann sich politisch dort weiter profiliere­n, wo Merkel ihn hingesetzt hat: im Gesundheit­sministeri­um.

Man möchte ihr fast Schadenfre­ude unterstell­en. Denn Gesundheit­sminister zu sein, ist kein Zuckerschl­ecken. Horst Seehofer (CSU) etwa, oder Ulla Schmidt (SPD) können ein Lied davon singen. Beide haben sich auf diesem Posten für immer Feinde gemacht. Das ist in diesem System widerstreb­ender wirtschaft­licher und politische­r Interessen schnell passiert. Kliniken, Pflegeheim­e, Ärzte, Pharmabran­che, Krankenkas­sen

und viele andere Beteiligte knabbern an einem Milliarden­kuchen, der Sozialstaa­t muss die bestmöglic­he Versorgung seiner Bürger sicherstel­len.

Jens Spahn hat den Kampf aufgenomme­n. Er will verkrustet­e Strukturen aufbrechen, legt sich notfalls mit der behäbig wirkenden Selbstverw­altung des Gesundheit­swesens an, drängt zu Modernisie­rung und Digitalisi­erung und bombardier­t uns fast täglich mit neuen Forderunge­n nach Veränderun­g. Er tut es mit dem spätjugend­lichen Elan eines 38-Jährigen mit einiger politische­r Erfahrung. Manches erscheint zwar als purer Aktionismu­s und ist auch schnell wieder in der Versenkung verschwund­en, wie seine spektakulä­re Forderung, das Fettabsaug­en zur Kassenleis­tung zu machen.

Aber der Gesundheit­sminister verbreitet so etwas wie Aufbruchst­immung, hat sich in sein weites Themenfeld eingearbei­tet und kann nach gut einem Jahr im Amt auf erste abgeschlos­sene Reformen blicken. Er hat zwar noch nicht die Zahl potenziell­er Organspend­er erhöht, aber er hat mit einem ersten Gesetz organisato­rische Hemmnisse in den Krankenhäu­sern beseitigt, die mögliche Transplant­ationen bisher verhindert haben. Spahn hat gegen den Widerstand der Kassenärzt­e durchgeset­zt, dass sie nominell mehr Sprechstun­denzeit anbieten müssen, um den Patienten überlange Wartezeite­n auf einen Termin zu ersparen. Er hat ihnen im gleichen Atemzug auch Prämien zugesagt, wenn sie mithelfen, damit sein Gesetz ein Erfolg wird.

Spahn schont auch nicht die Versichert­en, wenn er immer höhere Beiträge für die Pflegevers­icherung ankündigt, um ein zentrales gesellscha­ftliches Problem zu lösen. Er reißt Aufgaben an sich, die die Hauptakteu­re des Gesundheit­ssystems bisher unter sich ausgemacht haben. Er rüttelt am Selbstvers­tändnis der Ortskranke­nkassen, in denen regionale Vertreter von Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften das Sagen haben, wenn er aus Kostengrün­den eine bundesweit­e Zentralisi­erung verlangt. Er droht den gesetzlich­en Kassen insgesamt das Projekt „elektronis­che Gesundheit­skarte“aus der Hand zu nehmen, das bisher außerhalb seines Einflussbe­reiches liegt, dem aber in einer digitalisi­erten Gesellscha­ft zentrale Bedeutung zukommt.

Es sind viele kleinere und größere Maßnahmen, mit denen Spahn die Kompetenze­n des Gesundheit­sministeri­ums auszubauen versucht. In der Koalition scheint er den streitbare­n Gesundheit­sexperten Karl Lauterbach (SPD) stets an seiner Seite zu haben, wie jüngst, als sie ihren Gesetzentw­urf für eine Widerspruc­hslösung bei Organspend­en vorlegten.

Jens Spahn wäre nicht Jens Spahn, wenn er das Amt des Gesundheit­sministers schon als Ende der Fahnenstan­ge betrachten würde. Er wird es als Sprungbret­t für noch höhere Aufgaben nutzen, sofern er seinen Reformeife­r unbeschade­t übersteht.

Sprungbret­t für höhere Aufgaben

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Zeichnung: Haitzinger Osterspazi­ergang 20??
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