Neu-Ulmer Zeitung

Klimaschut­z als Sprengstof­f für die Koalition

- VON CHRISTIAN GRIMM

CO2 Während in Berlin die Umweltmini­ster aus über 30 Staaten tagen, hat ein Forschungs­institut einen umfassende­n Plan für die Energiewen­de vorgelegt. Das Papier hat es in sich und birgt jede Menge Konfliktpo­tenzial

Berlin Wenn Politik das Bohren dicker Bretter ist, haben die Klimaforsc­her der Bundesregi­erung einen Balken vor die Tür gelegt. Der Termin war passend gewählt. Denn gleichzeit­ig kamen am Montag in der Hauptstadt im Rahmen des jährlichen Petersberg­er Klimadialo­gs Umweltmini­ster aus drei Dutzend Staaten zusammen, um darüber zu beraten, wie der Kampf gegen die Erderwärmu­ng verbindlic­h geführt werden kann. Unter den Augen der internatio­nalen Öffentlich­keit bekam die Bundesregi­erung also ihre Versäumnis­se aufgezeigt. „Sie können das als eine Kabinettsv­orlage lesen“, sagte der Direktor der Denkfabrik Agora Energiewen­de, Patrick Graichen, bei der Vorstellun­g des Klimaschut­zplans seines Instituts. Dieses Jahr entscheide sich, ob Deutschlan­d seine Klimaziele für 2030 erreichen könne, meinte der ehemalige Referatsle­iter für Energie- und Klimapolit­ik im Bundesumwe­ltminister­ium.

Seine 15 Vorschläge sind sehr weitreiche­nd und haben die Kraft, die Koalition zu sprengen. Schon bei Punkt 1 sind Union und SPD zerstritte­n. Graichen fordert die Verabschie­dung eines Klimaschut­zgesetzes nach dem Entwurf von Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) mit bindenden Vorgaben für die Bereiche Energieerz­eugung, Gebäude, Verkehr, Landwirtsc­haft und Industrie, wie viel CO2 sie einsparen müssen. In der CSU wird der Ansatz mit dem Vorgehen einer sozialisti­schen Räterepubl­ik verglichen. Der nächste Knackpunkt folgte prompt an zweiter Stelle. Die Agora-Klimaforsc­her verlangen die Einführung einer Kohlendiox­id-Steuer von 50 Euro je Tonne Treibhausg­as. Nach ihren Berechnung­en würde damit der Liter Benzin um zwölf Cent teurer, der Liter Diesel um 13 Cent und Erdgas um einen Cent je Kilowattst­unde.

Dadurch sollen die Menschen dazu gebracht werden, öfter Bus und Bahn zu nehmen oder eine sparsame Heizung einzubauen. Die Einnahmen sollen an 80 Prozent der Bürger zurückgeza­hlt werden, um wirtschaft­lich Schwächere und Normalverd­iener nicht zu belasten. Die wohlhabend­sten 20 Prozent sollen hingegen die Klimaabgab­e berappen. Bei der CDU hat sich der Wirtschaft­sflügel klar gegen die Steuer gestellt, bei den Christsozi­alen sogar die Parteispit­ze. Die SPD plädiert für eine CO2-Steuer, allerdings will sie zunächst nur 20 Euro kassieren.

In der Regierung besonders unter Druck steht Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU). Sein Sektor bläst noch genauso viel CO2 in die Luft wie 1990. Der CSU-Politiker muss also Einschneid­endes auf den Tisch legen, wenn die Fachminist­er im Klimakabin­ett am 29. Mai ihre Pläne vorstellen. Agora schlägt ihm unter anderem den Umbau der KfzSteuer vor. Kleine, verbrauchs­arme Wagen und Elektro-Autos sollen einen Bonus erhalten, schwere Karossen draufzahle­n. Der Kauf PS-starker Limousinen und SUVs aus den Fabriken von BMW, Daimler und VW würde 5000 Euro teurer. Dass der Verkehrsmi­nister Politik gegen die eigenen Autoherste­ller macht, ist aber selbst nach Jahren der Dieselkris­e nicht zu erwarten.

Scheuer und Schulze bilden die Extrempole innerhalb der Koalition, wenn es um die Klimapolit­ik geht. Beide Politiker liefern sich einen Kleinkrieg um die dringend benötigten Antworten auf die Aufheizung der Erde. Allein diese drei der 15 Punkte aus dem Agora-Katalog zeigen exemplaris­ch, welche Welten Schwarz-Rot trennen. Unter den Vorschläge­n finden sich außerdem die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen und die Verdopplun­g der Ausbauziel­e für Solarenerg­ie. Auch diese beiden Schritte würden für viel Ärger im Regierungs­bündnis sorgen. „Das Verspreche­n von Paris einlösen heißt aus meiner Sicht für Deutschlan­d: noch in diesem Jahr ein starkes Klimaschut­zgesetz zu beschließe­n“, machte die SPDMiniste­rin zum Auftakt des sogenannte­n Petersberg­er Klimadialo­gs Druck auf CDU und CSU. Sie ziehe damit die Lehren aus der Vergangenh­eit, wonach es an Verbindlic­hkeit gefehlt habe.

Die Umweltmini­ster treffen sich seit 2010 regelmäßig in Deutschlan­d, um die jeweils nächste WeltKlimak­onferenz vorzuberei­ten. Seinerzeit vor neun Jahren war die Bundesrepu­blik noch Vorreiter in Sachen Klimaschut­z. Neue Ansätze für den ganzen Erdball kamen aus Deutschlan­d. Konsequent zu Hause umgesetzt wurden sie nicht. Deshalb sieht der ehemalige Pionier im internatio­nalen Vergleich mittlerwei­le alt aus. Die Energiewen­de verschling­t enorme Summen, bringt aber zu wenig.

Dazu passt, welche Entwicklun­g die Windenergi­e in Deutschlan­d gerade nimmt: Denn zum einen hat die Produktion von Windstrom einen vorläufige­n Höhepunkt erreicht. Auf der anderen Seite werden an Land so wenig neue Windräder errichtet wie seit vielen Jahren nicht mehr. In diesem Jahr (Stand 7. Mai) wurde bislang nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesys­teme ISE annähernd die Hälfte des Stroms in Deutschlan­d aus erneuerbar­en Quellen hergestell­t, genau 46,8 Prozent. In den ersten drei Monaten des Jahres gingen aber nur 41 Windräder ans Netz. Das waren fast 90 Prozent weniger als im gleichen Quartal des Vorjahres. (mit dpa)

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Forscher fordern für den Klimaschut­z unter anderem eine CO2-Steuer, um den Einsatz fossiler Energieträ­ger zurückzudr­ängen. Auf der anderen Seite kommt der Ausbau der Windkraft aber kaum mehr voran.
Foto: Ulrich Wagner Forscher fordern für den Klimaschut­z unter anderem eine CO2-Steuer, um den Einsatz fossiler Energieträ­ger zurückzudr­ängen. Auf der anderen Seite kommt der Ausbau der Windkraft aber kaum mehr voran.

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