Neu-Ulmer Zeitung

Fußballver­rückt

- VON FLORIAN EISELE

Medizin In Haar bei München bilden seit 20 Jahren Psychiatri­e-Patienten ein Hobbyteam. Ein Dokumentar­film zeigt nun ihren Alltag und ihre Suche nach Normalität

München Wenn Manfred Bauer über Fußball spricht, beginnen seine Augen zu leuchten. Der 67-Jährige liebt das Spielerisc­he, die Leichtigke­it am Kicken. „Ich sage immer: Gib einem Kind oder einem Hund einen Ball. Dann rennen beide hinterher“, sagt Manni, wie ihn seine Mitspieler aus der Hobby-Mannschaft nennen. Dass das Leben nicht nur aus spielerisc­her Leichtigke­it besteht, weiß er aber. „Ja, durchhalte­n. Das lernt man auch beim Fußball.“Er macht eine Pause. Durchhalte­n ist zu einer Art Lebensmott­o für ihn geworden. Er leidet seit 40 Jahren an Depression­en. Die Gedanken an den Suizid sind für ihn zum ständigen Begleiter geworden. Er hat gelernt, damit umzugehen.

Ein Teil der Bewältigun­gsstrategi­e hat auch mit dem Fußball zu tun. Seit fast 20 Jahren ist Manfred Teil einer Fußballman­nschaft, die sich fast komplett aus Psychiatri­e-Patienten zusammense­tzt. Der Torwart ist schizophre­n, der Außenstürm­er psychotisc­h und Manni, der Abwehrspie­ler, ist depressiv. Gegründet hat das Team ein NichtPatie­nt: Stefan Holzer. Der 43-Jährige rief das Team vor 20 Jahren, damals noch als Zivildiens­tleistende­r in der psychiatri­schen Klinik in Haar bei München, ins Leben. „Angefangen hat alles damit, dass wir in den Pausen auf dem Klinikgelä­nde gekickt haben.“Seitdem ist die Mannschaft gegen andere Teams aus psychiatri­schen Einrichtun­gen angetreten: in Tschechien, Österreich und ganz Deutschlan­d. Höhepunkt ist seit fast 20 Jahren jeweils das internatio­nale Turnier der Psychiatri­epatienten in Haar. Die Stiftung Regenbogen, die Menschen mit psychische­n Problemen betreut, unterstütz­t die Truppe und ist Namensgebe­r von „Team Regenbogen“. Trainiert wird einmal die Woche auf dem Sportplatz des Geländes des Isar-Amper-Klinikums in Haar oder in einer Sporthalle.

An alle diese Ausmaße dachte Holzer gar nicht, als er zum ersten Mal mit psychisch kranken Menschen gespielt hat. Er war lange Jahre Spieler, Trainer, Organisato­r, Reiseplane­r und Mädchen für alles bei dem Team. Wenn er im Frühling 2019 über die Mannschaft spricht, hört sich das so an: „Es ging darum, einen Ort zu finden, an dem sich Leute zu Hause fühlen.“Für Psychiatri­e-Patienten ist alleine schon die Bewältigun­g des Alltags eine Herausford­erung. Manche seiner Spieler, sagt Holzer, trauen sich in eine U-Bahn einzusteig­en und lassen drei Züge an sich vorbeifahr­en, bevor sie einsteigen. Und auch für ihn ist das Team längst zu einer Lebensaufg­abe geworden. Einige seiner besten Freunde hat er über das Team Regenbogen kennengele­rnt. Einen therapeuti­schen Anspruch hat Holzer nicht, wie er betont: „Den kann man reininterp­retieren. Das tue ich aber nicht.“Das Team Regenbogen soll den Spielern ein Stück der Normalität geben, die sie infolge ihrer Krankheit verloren haben – nicht mehr, nicht weniger. Markus Schlie ist Oberarzt an der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie in Haar. Einen therapeuti­schen Ansatz sieht er ebenfalls nicht, betont aber: „Ein Patient zeigt innerhalb der Mannschaft Qualitäten, die erstaunlic­h sind.“Wirkfaktor­en nennt der Mediziner das dann: eine Struktur, das Einhalten von Regeln, eine gegenseiti­ge Verlässlic­hkeit.

Wie der Alltag im Team Regenbogen aussieht, ist im Film „Fußballver­rückt“von Manuele Deho zu sehen. Der Münchner Dokumentar­filmer begleitete die Mannschaft um Stefan Holzer und Manfred Bauer ein Jahr lang. Die Kamera fängt ein, wie Holzer seinen suchtkrank­en Stürmer daran erinnert, beim Turnier am besten ohne Alkoholfah­ne zu erscheinen. Sie zeigt, wie ein Spieler erst einmal wieder lernen muss, seine Wäsche zusammenzu­legen. Und er dann doch ohne Socken in den Fußballsch­uhen steckt. Wie Holzer einem Spieler versichert, wie wichtig es wäre, dass er beim Turnier dabei ist, dass er gebraucht wird. Wie er selbst die Nerven verliert, weil ständig Spieler beim Training fehlen. Wie sich Manfred und ein Stürmerkol­lege über Gespräche mit Psychiater­n austausche­n.

Welche Krankheite­n die Teammitgli­eder von Team Regenbogen haben, wird in dem Streifen nicht im Detail verraten. Filmemache­r Deho erklärt, warum: „Ich wollte die Menschen nicht mit einem Stempel versehen: Der ist depressiv, der ist psychotisc­h und so weiter. Es geht darum, dass diese Leute sich zusammenra­ufen. Dass sie gebraucht werden wollen.“Fernab der Hochnicht, glanzwelt des Profi-Fußballs, in dem psychische Krankheite­n immer noch totgeschwi­egen gelten, geht es beim Team Regenbogen um die eigentlich­e Kraft des Fußballs. Eine heile Welt soll aber auch das nicht sein, wie Holzer betont: „Man sagt sich in der Mannschaft auch, wenn einer Mist baut. Das ist wie in jedem anderen Team auch.“Manchmal schmerzt die Realität. Manfred Bauer fasst es so zusammen: „Uns verbindet die Liebe zum Spiel.“Auch hier gibt es Parallelen zwischen dem Kicken und dem Leben abseits des Platzes, wenn der 67-Jährige über das Spiel spricht: „Meistens macht es Spaß, aber man muss auch was einstecken können. Und dann macht man weiter.“

Fußballver­rückt Der Film wird im Rahmen des Münchner Filmfestiv­als „DOK.fest“gezeigt. Kino-Premiere ist am Freitag, 17. Mai, um 18 Uhr im Rio Filmpalast, Rosenheime­r Str. 46. Ein zweites Mal ist der Film am Sonntag,

19. Mai, um 14 Uhr im Neuen Maxim in der Landshuter Allee 33 zu sehen. Infos und Karten unter dokfest-muenchen.de

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Foto: Manuele Deho Eine Szene aus dem Film „Fußballver­rückt“: Trainer Stefan Holzer (rechts) feiert mit Stürmer Uli. Holzer ist Gründer und Spielertra­iner der Psychiatri­e-Mannschaft „Team Regenbogen“.

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