Neu-Ulmer Zeitung

Warum wir mehr Gründerinn­en brauchen

- VON SARAH SCHIERACK

Leitartike­l Noch immer werden Frauen viel seltener zu Unternehme­rn als Männer. Für die Erfinder-Nation Deutschlan­d ist das beschämend – aber auch gefährlich

Ob Bertha Benz wohl Zweifel plagten? Ob sie sich eine Nacht lang hin- und herwälzte, bevor sie an einem Sommertag im Jahr 1888 frühmorgen­s aufstand und, ohne ihren Mann zu wecken, seinen Patent-Motorwagen bestieg? Vielleicht, ziemlich sicher sogar. Und dennoch tat Benz das, was noch nie jemand vor ihr getan hatte, kein Mann und schon gar keine Frau: Sie fuhr, gemeinsam mit ihren Söhnen, 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim. Es war die erste Überlandfa­hrt der Welt – und der Wendepunkt in der Geschichte des Automobils.

Benz wurde an diesem Tag zur Pionierin, obwohl sie eine Frau war. Obwohl sie kein Abitur machen, nicht studieren durfte. „Leider wieder nur ein Mädchen“, hatte der Vater anlässlich ihrer Geburt in der Familienbi­bel notiert.

Mehr als 100 Jahre später sind all die Hürden, die Bertha Benz noch das Leben schwer machten, aus dem Weg geräumt. Dass es sie jemals gab, registrier­en die Jüngeren höchstens noch mit einem kleinen Schaudern. Heute ist über die Hälfte aller Abiturient­en weiblich, zu Semesterbe­ginn strömen mehr Frauen an die Universitä­ten als Männer.

Und doch versteckt sich im System ein Fehler. Denn irgendwo auf dem Weg trennen sich die Pfade von Frauen und Männern. Die Zahl der Pionierinn­en – der Erbinnen von Bertha Benz – ist überschaub­ar. Es gibt sie. Aber es gibt zu wenige. Nur 15 Prozent aller Startup-Gründer sind weiblich. Geht es um Hochtechno­logie-Firmen, sind es sogar nur fünf Prozent. Die Gründersze­ne ist in etwa so männlich wie eine Straßenbah­n kurz nach einem Fußballspi­el.

Für Deutschlan­d, die Nation der Erfinder und Tüftler, ist das beschämend – und gefährlich. Denn die deutsche Wirtschaft lebt von den klugen Köpfen, die den Mittelstan­d immer wieder erneuern und stärken. Sie kann es sich nicht leisten, auf Gründerinn­en zu verzichten. Das gilt im Übrigen nicht nur für Deutschlan­d, wo die GründerBer­eitschaft ohnehin schwach ausgeprägt ist, sondern auch für Startup-Nationen wie Israel oder die USA. „Brotopia“nannte die USTV-Journalist­in Emily Chang vor kurzem die Tech-Branche im Silicon Valley, eine Art exklusiven Herrenklub, der Frauen systematis­ch ausschließ­t.

Aber woran liegt es nun, dass Frauen so selten gründen? Jedenfalls nicht an den Ergebnisse­n. Studien beweisen, dass gemischte Teams in der Regel bessere Entscheidu­ngen treffen und mehr Umsatz machen. Die Gründe sind also vielfältig­er. Frauen sind oft weniger risikofreu­dig. Sie zweifeln mehr, hinterfrag­en häufiger. Das passt nicht in eine Branche, in der vor allem zählt, die eigene Idee – und auch die eigene Person – zu verkaufen. Dazu kommt: Die Geldgeber sind meist männlich, waren früher oft selbst Gründer. Sie fördern – häufig auch unbewusst – Menschen und Ideen, in denen sie sich selbst wiederfind­en.

Wer die Zahl der Gründerinn­en steigern will, muss dort ansetzen – gleichzeit­ig aber auch schon viel früher, in der Kindheit. Mädchen belegen in der Schule und in der Folge an den Universitä­ten seltener naturwisse­nschaftlic­he Fächer als Jungen. Vielen fehlt der Zugang, manchen machen Mathe oder Informatik schlicht keinen Spaß. Dabei sind sie nicht schlechter in diesen Fächern, sie unterschät­zen lediglich ihre Fähigkeite­n – auch, weil viele Eltern und Lehrer die Mathe-Angst noch befeuern.

Wie sich das ändern lässt? Durch weniger Klischees, durch Unterricht, der Spaß macht. Aber auch durch Vorbilder: Mädchen brauchen Frauen, zu denen sie aufblicken können. Die zeigen, dass es gut ist, sich für Technik zu interessie­ren. Und dass man zweifeln und am Ende trotzdem mutig sein kann.

Frauen brauchen mehr weibliche Vorbilder

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Zeichnung: Bengen
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