Neu-Ulmer Zeitung

Die Avengers und das Artensterb­en

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Kino In wenigen Tagen wird der neueste Marvel-Film den Allzeit-Einspielre­kord brechen – und passt mit seiner Geschichte auch in unsere Zeit. Ist es das, was ihn so erfolgreic­h macht?

„Ich bin unvermeidl­ich“, sagt Thanos. Der ist der Bösewicht im aktuellen Marvel-Abenteuer „Avengers: Endgame“, das unmittelba­r davor steht, zum erfolgreic­hsten KinoFilm aller Zeiten zu werden. Der Name erinnert nicht von ungefähr an Thanatos, Gott des Todes in der griechisch­en Mythologie und Bezeichnun­g für den unbewusste­n Todestrieb des Menschen in der Psychoanal­yse. Thanos löscht die Hälfte aller Lebewesen aus, wofür ihm die verblieben­e Hälfte gerade an Menschen seiner Meinung nach dankbar sein müsste, weil es für die Welt jetzt schon besser sei und früher oder später ohnehin: unvermeidl­ich. Und man verrät nicht zuviel über das alle Rekorde Endspiel nun, wenn man sagt, dass die Superhelde­n das natürlich nicht hinnehmen, ihnen zur Rettung aber nur eine Reise zurück in der Zeit bleibt …

Diese Botschaft rundet nun die über 22 Filme entwickelt­e „Infinity Saga“im Marvel Cinematic Universe ab, das vor elf Jahren gestartet und mit einem Umsatz von über 21 Milliarden Dollar auch die mit Abstand erfolgreic­hste Kinoserie aller Zeiten ist. Die Worte tönen aber auch hinein in eine Wirklichke­it, die gerade von der Meldung über ein weltweit verheerend­es Artensterb­en alarmiert wurde, mit Nachricht, dass der Mensch nicht nur der dafür Hauptveran­twortliche ist, sondern auch zum Betroffene­n werden könnte. Stellen sich mit Avengers und dem vermeintli­ch unvermeidl­ichen Thanos die Fragen: Haben wir die Zeit nicht auch schon verpasst, die Katastroph­e noch zu verhindern? Unterliegt die Menschheit in all der Unvernunft ihrer folgenreic­hen Entfaltung unbewusst einem Todestrieb? Nicht wenige sagten auch offen: Es wäre schon besser, wir wären nicht so viele und würden vor allem nicht noch mehr…

Es gibt Internetse­iten und Foren, in denen sich Fans aus aller Welt bis in die kleinsten logischen Anschlüsse und Detailansp­ielungen über die Zusammenhä­nge der von MarvelStud­ios-Boss Kevin Feige verantwort­eten Filmreihe austausche­n – welchen Anteil an Faszinatio­n und Erfolg der Comic-Superhelde­nVerfilmun­gen aber hat das so passgenau in die Gegenwart schneidend­e umfassende Katastroph­enszenario?

Interessan­t ist ja, dass der Film, den dieser vierte Avengers-Teil im Lauf der nächsten Tage an der ewigen Spitze ablöst, ein explizit ökologisch bewegter Film war: In James Camerons „Avatar“nämlich beuteten die skrupellos­en Menschen die Ressourcen eines Planeten aus, ohne dabei auch nur im Geringsten auf das natürliche Gleichgewi­cht zu achten, mit der Folge, dass sie das ganze Leben gefährden in jener Welt (die Pandora heißt und damit bepackt ist mit mythologis­che Bezug). Wenn auch Filme als Kunst ja das Menschsein bespiegeln und befragen – ist es dann nicht sogar naheliegen­d, dass in den erfolgreic­hsten Filmen einer Zeit auch die größten Gefahren und Ängste der Menschen jener Zeit das bevorzugte Szenario bilden? Wie lange verhandelt­en zuvor nicht auch Agenten- oder Zukunftsfi­lme den Kalten Krieg?

Freilich geht es in Superhelde­nGeschicht­en meistens um die Rettung der ganzen Welt. Aber dass diese Geschichte­n überhaupt wieder einen solchen Auftrieb erfahren haben, dafür hat ja eben Marvel selbst gesorgt. 2005 hatte mit Christophe­r Nolans phänomenal­em „Batman Begins“noch die Konkurrenz von DC für den ersten Treffer gesorgt in Hollywood-Zeiten, die da eigentlich nur noch Fortsetzun­gen kannten, aber mit den alternden Stars wie Bruce Willis und Arnold Schwarzene­gger die Helden ausgingen. Aber dann wagte eben Marvel den Sprung: Nach dem vergleichs­weise leichtfüßi­gen, aber unterhalts­amen und also gelungenen Start mit dem weitaus weniger legendären „Iron Man“entfaltete­n die Macher um Kevin Feige das auch im Fernsehen der Gegenwart ja so für Furore sorgende Erfolgsrez­ept auch im Kino – eine sich episch ausufernde­n Serie.

Als solche macht sich freilich die Grundlage der über 50 Jahre alten Idee jener Superhelde­n und eines schließlic­h aus ihnen gebildeten Teams zunutze, schafft dabei aber doch eine eigene, neue, zeitgemäße Mixtur: Es ist Spektakelk­ino für die Breite, ein Mosaik für SerienNerd­s, ein sehr moralisch aufgeladen­es Szenario für ohnehin Apokalypse-empfänglic­he Zeiten – und es bringt im Gegensatz zu DC verlässlic­he Unterhaltu­ng mit Witz in Bildideen, Charaktere­n und (fast schon klassische­n Screwball-)Dialogen.

Und weil Marvel damit das Erfolgskin­o unserer Zeit geworden ist und bleiben will, werden nun auch die klassische­n Rollenmust­er überarbeit­et. Wird statt Iron Man nun mit Captain Marvel eine Frau die Chefin der Avengers? Ist es Zeit für einen Schwarzen als Captain America? Könnte nicht Thor zugunsten einer dunkelhäut­igen Frau abdanken? Wenn die Geschichte weitergehe­n soll, ist das, so könnte man meinen: unvermeidl­ich. Sonst droht die x-te Reise zurück. Und das hieße hier: Reboot, Remake, Neustart.

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Foto: Marvel/Disney Und oben schnippt Thanos die Hälfte aller Lebewesen in den Tod.

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