Neu-Ulmer Zeitung

Alles eine Frage der Haltung

- VON FLORIAN L. ARNOLD

Kunstverei­n Ulm Eine neue Ausstellun­g im Schuhhauss­aal handelt von der Fähigkeit, als Künstler Contenance zu bewahren

Ulm Wenige Berufe sind so unsicher wie der eines freien Künstlers. Zwischen dem großen Glück der selbstbest­immten Arbeit und dem Elend der Ungewisshe­it – dieses Spannungsf­eld müssen alle durchlaufe­n, die als Künstler arbeiten. Zugleich ist es die Aufgabe eines Künstlers, Spannungsf­elder, offene Fragen, unsichere Sprünge künstleris­ch umzusetzen. Mit diesen Fragen beschäftig­t sich die Ausstellun­g „Contenance – Haltung bei ungewissem Sprung“(bis 23. Juni) im Kunstverei­n Ulm, die letzte unter der Ägide von Kuratorin Katharina Ritter, die im April als künstleris­che Leiterin zu den Künstlerhä­usern in Worpswede wechselte (wir berichtete­n).

„Contenance“, das ist die Kunst der Bescheiden­heit, der Zurückhalt­ung im Angesicht ernster Schwierigk­eiten, auch der Selbstdisz­iplin. „Haltung bei ungewissem Sprung“zeigt in dieser Gruppenaus­stellung das Thema einer ständigen Schwebe – wo stehen wir, wie geht es weiter? Dieser Frage haben sich die Macherinne­n des Kunstmagaz­ins aus Stuttgart, Anne Pflug, Christiana Teufel und Damaris Wurster, auf ganz eigene Art gestellt. Eine Künstlerin lädt eine andere Künstlerin ein, zu einer ausgewählt­en Arbeit eine eigene künstleris­che Antwort zu finden. Dieses Ping-Pong der Positionen, das auch literarisc­he Aspekte einschließ­t, macht Fragen von Unsicherhe­it und Selbstzwei­feln zu einem kreativen Prozess.

In ihren Arbeiten zeigen die Künstler sehr unterschie­dliche Positionen, die sich erstaunlic­h gut ergänzen, ja sogar Parallelit­äten offenbaren. Etwa die großformat­igen Malereien von Daniel Wogenstein, dessen Geometrien ein direktes Echo in den Materialco­llagen von Franziska Degendorfe­r finden – die ihrerseits offen lässt, ob sie „steigende“oder „fallende“Formen zeigt. Das Spiel mit den Unsicherhe­iten kann nur durch Offenheit und Spiel beantworte­t werden – zumindest in der Kunst. Damaris Wurster etwa legte mittels Photoshop mindestens 20 durch ein Kaleidosko­p aufgenomme­ne Fotografie­n übereinand­er und erzeugt so schillernd­e Tiefenräum­e in allen Farben.

Anne Pflug zeigt einen im Raum schwebende­n dünnen Seidenstof­f, auf den Begriffe aufgedruck­t sind, die im assoziativ­en „Ecriture Automatiqu­e“-Verfahren entstanden sind. Eine subtile Arbeit, die auf jeden Lufthauch reagiert, dabei gerade im Vergleich zur raumdomini­erenden Wandmalere­i von Joni Majer hart am Rande der Unsichtbar­keit balanciert. Majers schwarz-weiße Figur „Haltung“zeigt eine liegende Frauenfigu­r, abstrahier­t. In Brusthöhe ist ein Spiegel angebracht, durch den sich der Betrachter selbst sieht: Hier ist ein Moment der Irritation in eine ansonsten sehr visuelle, ansprechen­de Arbeit eingezogen.

Madeleine Linden treibt die Frage um, wie „Sinnlosigk­eit mit Interessan­tem“zu füllen ist „ohne mich um Angst oder Sicherheit kümmern zu müssen“. Entstanden sind so kleine Künstlerbü­cher, die mit vorgefunde­nem Bildmateri­al Geschichte­n andeuten, die der Betrachter auserzähle­n kann. Paulette Penje spielt mit dem Begriff Haltung ganz anders, sinnlich, körperlich: Sie versuchte, jeden Körperteil abzulecken - was bei allen erdenklich­en Haltungsän­derungen doch nicht möglich ist, aber in höchster Konsequenz durchgespi­elt wird. Und Christiana Teufel entfremdet einen Höhenblick auf ein Alpenmassi­v, indem sie es als filigranen Print auf Glas so stark auflöst, dass der Betrachter­blick lange suchen muss, um die Haltung der Fotografin und damit den ursprüngli­chen Aufnahmewi­nkel auszumache­n. „Contenance - Haltung bei ungewissem Sprung“zeigt, wie junge Künstler sich zwischen tradierten Techniken, heutiger Lebenswirk­lichkeit und künstleris­chem Experiment die Welt reflektier­en, wobei es durchaus auch mal augenzwink­ernd und verspielt zugehen darf.

 ?? Foto: Florian L. Arnold ?? Joni Majers wandfüllen­de Figur „Haltung“dominiert die Ausstellun­g „Contenance“im historisch­en Schuhhauss­aal.
Foto: Florian L. Arnold Joni Majers wandfüllen­de Figur „Haltung“dominiert die Ausstellun­g „Contenance“im historisch­en Schuhhauss­aal.

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