Neu-Ulmer Zeitung

Die verhängnis­volle Handtasche

- VON MARTIN SCHWICKERT

Greta Ein Fundstück in der New Yorker U-Bahn dient der einsamen Witwe als Angel für ihre arglosen Opfer. Isabelle Huppert ist für die Rolle der manipulati­ven Psychopath­in wie geschaffen. Trotzdem entstand kein großer Film

Alles fängt mit einer Handtasche an, die verloren auf einer Sitzbank in der U-Bahn steht. Erfahrene Fahrgäste des New Yorker Nahverkehr­s würden angesichts des verdächtig­en Fundstücks die Polizei alarmieren. Aber Frances (Chloë Grace Moretz) ist aus der Provinz nach Manhattan gezogen und mit den hysterisch­en Regularien der Stadt noch nicht vertraut. Sie nimmt die Tasche an sich, findet darin einen Führersche­in samt Adresse und entschließ­t sich, die Fundsache ihrer Besitzerin zurückzubr­ingen.

Greta (Isabelle Huppert) ist über die Maßen erfreut, als die ehrliche Finderin vor der Tür steht, und bittet sie freundlich auf eine Tasse Tee herein. Das kleine, ebenerdige Apartment spiegelt mit gedämpftem Licht und sorgfältig drapierten Erinnerung­sfotos die Einsamkeit der französisc­hstämmigen Witwe, deren Tochter im fernen Paris studiert. In ihrer eigenen Einsamkeit fühlt sich Frances, deren Mutter vor kurzem gestorben ist, der älteren Dame verbunden. Sie freundet sich mit Greta an, hilft ihr bei der Auswahl eines neuen Hundes im Tierheim und kocht mit ihr zusammen – bis sie eine verstörend­e Entdeckung macht und den Kontakt abbricht.

Aber Greta gibt nicht auf. Sie terrorisie­rt die junge Frau mit Textnachri­chten und Telefonanr­ufen, folgt ihr ins Restaurant, in dem Frances als Kellnerin arbeitet, und lauert sogar deren Mitbewohne­rin Erica (Maika Monroe) auf. Die Anzeige bei der Polizei hat keinen Erfolg, weil die Stalkerin Abstand hält und die Gesetze befolgt. Aber auch das wird sich bald auf drastische Weise ändern.

In der Tradition der ParanoiaTh­riller aus den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, wo Filme wie „Eine verhängnis­volle Affäre“(1987) oder „Weiblich, ledig, jung sucht ...“(1992) den Verfolgung­swahn als Unterhaltu­ngswert feierten, entwirft Neil Jordan seinen Film „Greta“. Der irische Regisseur, dessen Kultwerk „The Crying Game“1992 als bester Film mit dem Oscar ausgezeich­net wurde, hat seine Genrearbei­ten oft mit dem Schleier des Unwirklich­en überzogen. Und auch „Greta“gibt sich wenig realistisc­h, auch wenn die Geschichte vor der Kulisse des gegenwärti­gen New York angesiedel­t ist.

Mit Isabelle Huppert hat Jordan eine Schauspiel­erin angeheuert, die für die Rolle der manipulati­ven Psychopath­in wie geschaffen scheint. Trotz ihrer zierlichen Gestalt gelingt es Huppert, auf der Leinwand einschücht­ernde Präsenz zu entfalten, die sie ungebremst ausleben kann. Und natürlich atmet da automatisc­h Filmgeschi­chte mit. Wenn ihre Greta sich ans Piano setzt, um Liszt zu spielen, ist es kein weiter Weg in die Erinnerung zu Michael Hanekes Verfilmung von Elfriede Jelineks „Die Klavierspi­elerin“. Deshalb ahnt man bald, dass die vermeintli­ch liebenswer­te, einsame Dame es faustdick hinter den Ohren hat.

Jordan und sein Drehbuchau­tor Ray Wright decken schon nach zwanzig Filmminute­n die erste entscheide­nde Enthüllung auf, welche Greta als Serientäte­rin outet, die den Handtasche­ntrick nicht zum ersten Mal zur Kontaktauf­nahme genutzt hat. Hier geht es nicht um leise Zweifel, die sich langsam im Kopf des Publikums zur Gewissheit verdichten, sondern um die Steigerung­sformen des Wahnsinns, der in der Seele einer einsamen Frau mit erstaunlic­hem Kontrollve­rmögen zum Ausbruch kommt. Aber so sehr Isabelle Huppert auch in der Rolle der mehr als anhänglich­en Psychopath­in aufgeht, nutzt sich die Erzählung, deren sich steigernde Plotwendun­gen immer weniger überrasche­n, deutlich ab.

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Foto: Jonathan Hession, Capelight Pict. In ihr Apartment mit gedämpftem Licht bittet die einsame Witwe Greta (Isabelle Huppert, 66) ihre arglosen Opfer, um ihnen bedrängend nachzustel­len.
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