Körperwelten für Kenner
Gegenwartskunst Das Museum Villa Rot wagt in seiner neuen Ausstellung einen Blick „Auf Herz und Nieren“
Burgrieden-Rot Der Blick des Künstlers endet normalerweise an der Oberfläche des Körpers. Umso aufregender, wenn er bis unter die Haut geht, wie bei Rembrandts berühmter „Die Anatomie des Dr. Tulp“. Das 1632 entstandene Ölgemälde zeigt, wie ein gelehrter Mann neugierigen Zuschauern den geöffneten Arm eines fahlen Leichnams präsentiert. Fasziniert und doch von einem sanften Grusel erfasst, blicken die Männer auf Muskeln und Sehnen. Heute, fast 400 Jahre nachdem Rembrandt das in Den Haag ausgestellte Bild malte, ist das Innere des menschlichen Körpers längst kein Tabu, kein Rätsel mehr – und die Kunst blickt ganz anders auf den Körper, wie die Ausstellung „Auf Herz und Nieren“im Museum Villa Rot in Burgrieden-Rot zeigt.
Das Ausstellungshaus hat natürlich keinen Rembrandt zu bieten, dafür 17 Positionen der Gegenwartskunst, die ganz unterschiedliche Perspektiven auf den menschlichen Organismus eröffnen. Manches davon spielt ganz bewusst mit der Mischung aus Ekel und Faszination, welche die Anatomie-Wanderschau „Körperwelten“zum Publikumsrenner gemacht hat: In Zeiten, wo der Körper längst bis in die letzte Zelle erforscht wurde, ist für den Laien der Blick in sein Inneres immer noch Blick auf das Rätsel des Lebens – und auf die eigene Sterblichkeit.
Um diesen Schauer auszulösen braucht es nicht einmal einen echten Körper, Unbehagen stellt sich schon beim Betrachten von Anna Jermolaewas Fotoarbeit „V“ein. Denn was aus der Ferne wie eine Obduktionsszene wirkt, zeigt in Wirklichkeit eine Restauratorin bei der Arbeit an einem historischen Anatomiemodell, der Ende des 18. Jahrhunderts aus Wachs gefertigten „Mediceischen Venus“aus einem Wiener Museum. Leichtes Ekelgefühl löst Thomas Struths Aufnahme von sogenannten Moulagen aus, wirklichkeitsgetreue Abformungen von Missbildungen und Verletzungen aus der Berliner Charité, zusammengestellt zu einem Tableau. Nur etwas für Hartgesottene ist Ulrich Bluhms Kurzfilm „Nothing but a Pack of Neurons“. Er zeigt in kühlen Bildern, wie ein menschliches Gehirn mit einem Seziermesser in Scheiben geschnitten wird – Wissenschaft ist kein Ort für Emotion.
Doch „Auf Herz und Nieren“ist kein Gruselkabinett, sondern stellt auch wichtige Fragen zur Zukunft: So wie eine Videoarbeit von Zoë Hough, die ein klinisch-kaltes, aber auch surreales Szenario entwirft, bei dem Menschen selbst definieren können, ab welchem geistigen Zustand sie lieber tot als lebendig sein wollen. Oder Nick Ervinck, der für seine Serie „Human Mutation“hypermoderne Cyborgwesen erdachte, die dem biologischen Menschen in vielfacher Hinsicht überlegen sein könnten. Reichlich akademisch hingegen Alisa Barenboyms Arbeiten, die von Hormonen und Enzymen handeln – und ohne eine Führung nichts zu erzählen vermögen. Ganz anders als Birgit Diekers „Organsack“aus Kunstleder: Die Eingeweide wirken bei ihr wie ein modisches Deko-Objekt.
Doch die wichtigste Erkenntnis der Villa-Rot-Schau ist: Die Vorstellung des Menschen als unverletzliches Ganzes ist passé, der Körper ist veränderbar, manipulierbar, sogar verbesserbar. Mit diesem Wissen spielt der Künstler Malte Bruns, der die angeschlossene Kunsthalle bespielt. Anthropomorphe Gebilde, abgeformt von seinem eigenen Körper, verbinden sich mit industriell gefertigten Teilen zu Objekten, die an die organisch-abstrakten Plastiken Henry Moores erinnern, aber auch beunruhigen:
Kennt die Lust des Menschen an der eigenen Modifikation noch Grenzen?
Ausstellung
„Auf Herz und Nieren“und die Schau von Malte Bruns laufen bis 29. September.