Die ratlose Republik
Leitartikel Der Fall Frankfurt, Donald Trump, die Wirtschaftslage: In Deutschland wird gerade sehr viel gestritten, aber sehr wenig nachgedacht
diese Untat für ihre jeweilige ideologische Agenda zu mobilisieren. Eine Bundestagsabgeordnete der AfD verfluchte nach der Tat in einem Tweet den Tag der Geburt von Kanzlerin Angela Merkel – denn diese habe Deutschland nicht nur dies noch angetan, sie könne auch als kinderlose Frau niemals das Leid einer Mutter verstehen. Am anderen Ende des Spektrums stellten Kommentatoren jeden Verweis auf die ausländische Nationalität des Täters umgehend unter Rassismusverdacht.
So überdreht ist die Debattenkultur, dass Abhilfe schwer möglich scheint. Fakten sind außer Mode geraten, und das nicht nur an hitzigen Sommertagen. Wer fest überzeugt ist, dass der Tod in Deutschland an jedem Gleis, auf jeder Straße, hinter jeder Hecke lauert, wischt die – erstaunlich niedrigen – Kriminalitätsstatistiken schnaubend zur Seite. Wer umgekehrt den Zuzug möglichst vieler Migranten zum einzig denkbaren Weg in eine rosige deutsche Zukunft erklärt hat, wertet selbst die sanfteste Hinterfragung als Fremdenhass.
Dieser seltsame Dualismus beschränkt sich keineswegs auf die Flüchtlingspolitik. Auch zu ihrer Rolle in der Welt haben die Deutschen nichts Klares zu sagen, wie die Diskussionen dieser Woche zeigten. Die Debatte um einen möglichen Iran-Einsatz kreiste nicht um deutsche Interessen oder gar eine Strategie – sie kreiste um die Frage, ob man für oder gegen Donald Trump ist. Auch so entstehen
Fake News. Wer sich nur noch auf seine eigene Wahrheit einlässt, ist in Wahrheit ebenfalls ein: Wahrheitsverfälscher.
Das gefährdet, was eine demokratische Gesellschaft im Innersten zusammenhält: den öffentlichen Raum, in dem bessere Gedanken im Dialog eine Gesellschaft nach vorne bringen.
Zu so einem Dialog könnte gehören, stolz über die Leistungen in der Flüchtlingskrise zu sprechen – und zugleich offen über deren Schattenseiten. Zu so einem Dialog könnte die Meinung gehören, trotz schrecklicher Anschläge oder Morde keine ähnliche Sicherheitsarchitektur aufbauen zu wollen wie die Amerikaner nach den Anschlägen vom 11. September. Und andererseits die Ansicht, dass Sicherheit kein Schimpfwort ist und Verteidigungspolitik auch nicht.
Von so einem Diskurs ist Deutschland gerade meilenweit entfernt. Das gilt übrigens auch für die Diskussionen über die Wirtschaftslage und die Innovationspolitik, die zwischen Panik und Ignoranz schwanken.
Eigentlich ist es die Aufgabe der Volksparteien, diesen Dialog zu moderieren. Doch deren wichtigsten Akteure wirken gerade in der Großen Koalition in Berlin eher wie Überlebenskämpfer in eigener Sache. Darauf zu warten ist für uns als Bürger aber zu bequem. Letztlich speist sich der Diskurs eines Landes aus jedem von uns. Das Gute daran: Wir können ihn jederzeit ändern.
Sicherheit ist kein Schimpfwort