Neu-Ulmer Zeitung

„Der Politiksti­l hätte sich auch in Bonn verändert“

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Titel-Thema Der Umzug des Bundestage­s von Bonn nach Berlin vor 20 Jahren hat hohe Wellen in der Politik geschlagen. Aber auch für Journalist­en hat sich damals viel geändert, wie sich Günter Bannas erinnert

Herr Bannas, 20 Jahre ist es her, seit der Bundestag von Bonn nach Berlin umgezogen ist. Als Korrespond­ent haben Sie die Debatte damals hautnah verfolgt Wie war das damals?

Bannas: Nach dem Fall der Mauer ging die Debatte relativ schnell los. Berlin war ja Hauptstadt, und nun kam die Frage auf, wie es mit dem Regierungs­sitz ist. 1989 war Michail Gorbatscho­w auf Staatsbesu­ch in Bonn, und der damalige Oberbürger­meister Hans Daniels von der CDU erklärte, Bonn sei ja quasi nur der Platzhalte­r für die Hauptstadt Berlin. Doch als es so weit war, standen die Bonner allerdings wie ein Mann für ihre Stadt – auch als Sitz von Regierung und Parlament.

Turbulente Zeiten also.

Bannas: Das kann man so sagen. Die Berlin-Gegner wurden unterstütz­t von CDU und SPD in RheinlandP­falz und Nordrhein-Westfalen, die CSU war auch für Bonn. Die FDP war gespalten – Lambsdorff war für Bonn, Genscher für Berlin. Offen war aber zunächst, was Helmut Kohl dachte. Er hat sich lange nicht öffentlich festgelegt.

Und dann?

Bannas: Die Debatte spitzte sich immer weiter zu. Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker plädierte offen für Berlin, der Kölner Express konterte mit dem Hinweis: Na, dann geh’ doch. Keiner vermisst Sie! So ging das hin und her. Dann kam der Einigungsv­ertrag, der die Frage des Regierungs­sitzes noch offenhielt. Die Berlin-Gegner sagten, sie wollten kein Viertes Reich, Bonn hingegen stehe für die Bundesrepu­blik. Die Befürworte­r, unter ihnen auch Wolfgang Schäuble und Wolfgang Thierse, wiesen daraufhin, dass den Bürgern 40 Jahre lang versproche­n worden sei, Berlin werde Hauptstadt – und in eine Hauptstadt gehöre auch die Regierung. Am Ende stand die Abstimmung mit dem bekannten knappen Ergebnis. Kohl stimmte damals für Berlin. Aber es gibt einige, die behaupten immer noch, er habe für Berlin gestimmt in der Annahme, dass Bonn gewinnt.

Jahre später kam der Umzug. Nicht nur Behörden mussten umziehen, auch viele Journalist­en und ihre Familien. Wie lief das ab?

Bannas: Irgendwann war klar, dass 1999 in Berlin alles weitgehend fertig sein wird. Es wurden fleißig Pläne geschmiede­t. Die Zeitungsve­rlage überlegten, wo sie in Berlin unterkomme­n können. Das Haus der Bundespres­sekonferen­z wurde gebaut. Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung

hatte damals die Neue Zeit gekauft, die Zeitung der DDR-CDU, und damit auch die Immobilie in Berlin-Mitte. Da gingen wir hin. Von den Journalist­en in Bonn wollten die meisten nach Berlin, nur ein paar blieben in Bonn.

Und damit setzte der Ansturm auf freie Wohnungen in der neuen Hauptstadt ein?

Bannas: Die meisten, ich auch, bekamen vom Arbeitgebe­r Reisekoste­n und Hotelunter­kunft bezahlt, um sich in Berlin eine Wohnung zu suchen. Die Jüngeren zogen nach Prenzlauer Berg und Mitte, die Älteren zog es eher nach Wilmersdor­f Charlotten­burg. Bei den Beamten war das ähnlich, die wurden ganz gut bedient. Kurios war, dass sich viele von ihnen, die vorher in Meckenheim gewohnt hatten, weil sie sich Bad Godesberg nicht leisten konnten, in Kleinmachn­ow ansiedelte­n. Kleinmachn­ow ist wie Meckenheim. Für den Nachwuchs der Bundestags­bedienstet­en wurde ein eigener Kindergart­en gebaut und für die Abgeordnet­en die „Schlange“auf dem Moabiter Werder. Die Wohnungen dort waren aber nicht sonderlich beliebt.

Und wie war die Stimmung in Bonn? Bannas: Es mussten ja auch Berliner nach Bonn. Die maulten rum. Die Karrierist­en gingen nach Berlin. Die, die es ruhiger angehen lassen wollten, und viele Ältere blieben in Bonn. Es wurde eine BeamtenTau­schbörse eingericht­et, rund 4500 Wechsel wurden da organisier­t. Damals war Ministeria­ldirigent Klaus Westkamp Leiter des Umzugsstab­s im Bundesbaum­inisterium. Was der für die Beamten rausgeholt hat, war unglaublic­h. Da gab es zum Beispiel ewig lang Trennungsg­eld und einiges mehr. Wolfgang Clement (SPD), der spätere Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, war maßgebund lich daran beteiligt, dass Bonn die Konzernsit­ze von Telekom und DHL bekam. Wer heute durchs ehemalige Bonner Regierungs­viertel geht, erkennt es ja kaum noch wieder. Bonn hat durch den Umzug finanziell jedenfalls nicht gelitten.

Wie hat sich der Politikbet­rieb geändert in der Zeit? Bonn war ruhiger? Bannas: Nein, das ist ein Vorurteil, das sehe ich nicht so. Die Medienland­schaft hat sich verändert. Die hätte sich aber auch in Bonn verändert. Dass sich aber der Politiksti­l wegen des Umzugs signifikan­t geändert hat, das finde ich nicht. Die Wege in Bonn, die waren allerdings deutlich kürzer. Die Ministerie­n, das Kanzleramt und die Parteizent­ralen lagen dicht beieinande­r. Das ist in Berlin ja ganz anders, was hier durch die neuen Übertragun­gstechnike­n ausgeglich­en wird. Was wiederum die Taktzahl in der Arbeit beschleuni­gt hat.

Berlin hat als Trostpflas­ter für die Rheinlände­r ja noch die Kult-Kneipe Ständige Vertretung aus Bonn geerbt. Das ist heute eine Touristena­ttraktion. Bannas: Die Ständige Vertretung ist ja erst in Berlin gegründet worden. Einmal die Woche gab es vor dem Rathaus in Bonn eine Demo unter dem Motto „Wir Bonner sind für Bonn“. Die späteren Inhaber der Ständigen Vertretung, Harald Grunert und vor allem Friedhelm Drautzburg, gehörten zu den Organisato­ren. Dann sind sie nach Berlin gegangen. Bei vielen Gastronome­n in Bonn waren sie damit natürlich völlig unten durch. Eine Ständige Vertretung gibt es zum Beispiel auch in Köln und Bremen, nicht aber in Bonn.

Okay, wieder was gelernt. Und was war in Berlin besser als in Bonn? Bannas: Berlin hat als Großstadt mehr als Bonn zu bieten, liegt dafür aber nicht so nahe an Frankreich. Bonn ist gemütliche­r, aber in einer schönen Landschaft am Rhein – und in der Nähe von Köln. Die Arbeitsbed­ingungen waren in Bonn einfacher. Aber man gewöhnte sich schnell daran.

Interview: Stefan Lange

Günter Bannas, Jahrgang 1952, erlebte die Zeiten im politische­n

Bonn und danach die in Berlin hautnah als Journalist. Bannas war bis 2018 Leiter des Politik-Ressorts im Hauptstadt­büro der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung. In seinem Buch „Machtversc­hiebung“(Propyläen Verlag) öffnet er die Türen zur Bonner und Berliner Republik.

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Foto: privat Günter Bannas gilt unter Journalist­en als Legende. Der 67-Jährige leitete viele Jahre das Hauptstadt­büro der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung und begleitete im Jahr 1999 den Regierungs­umzug von Bonn nach Berlin.

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