Die Furcht vor einem neuen Wettrüsten wächst
Hintergrund Der INF-Vertrag gilt als historische Errungenschaft. Nun ist das Abrüstungsabkommen zwischen Russland und den USA Geschichte. Wechselseitige Drohungen verheißen nichts Gutes für die Zukunft
Moskau/Washington Befindet sich die Welt auf einer düsteren Zeitreise in eine überwunden geglaubte Zeit? Über Jahrzehnte beherrschte die Furcht vor Atomwaffen und Nachrüstung die politische Debatte, brachte in Deutschland Millionen von Menschen auf die Straße. Nun gibt es Anzeichen dafür, dass ein neues Wettrüsten bevorstehen könnte: Der INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen ist nach mehr als drei Jahrzehnten Laufzeit nicht mehr in Kraft. Die USA bestätigten am Freitag das angekündigte Aus für die Vereinbarung mit Russland. Moskau sei den Aufforderungen nach einer Zerstörung seines vertragswidrigen Marschflugkörpersystems SSC-8 nicht nachgekommen, erklärte US-Außenminister Mike Pompeo. Die Vereinigten Staaten könnten deswegen nicht an dem Vertrag festhalten. Russland trage die alleinige Verantwortung für das Aus.
Die Nato-Partner stellten sich geschlossen hinter die Entscheidung der USA. Das Außenministerium in Moskau erklärte, das Abkommen sei auf Initiative der USA beendet worden. Damit erlischt einer der wichtigsten Abrüstungsverträge zwischen den beiden Ländern. Am Freitag war die sechs Monate dauernde Kündigungsfrist abgelaufen. Die USA hatten den INF-Vertrag Anfang Februar mit Rückendeckung der Nato-Partner gekündigt, weil sie davon ausgehen, dass Russland ihn seit Jahren verletzt. Wenig später setzte auch Moskau das Abkommen aus. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation.
Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen konkret vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag verstoßen zu haben, weil sie weiter fliegen als erlaubt. Moskau bestreitet dies und beteuert, Vertragstreu gewesen zu sein. Das russische Waffensystem soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit Atomsprengköpfen bestücken lassen und mehr als 2000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 hingegen mit 480 Kilometern an. Das wäre vertragskonform, da das Abkommen lediglich den Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern untersagt.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte im
„Das ist kein guter Tag für die Sicherheit in Europa.“Für das Ende des Vertrags trage Russland die Verantwortung. Seit Jahren werde darüber schon diskutiert. „Diese Debatte hat schon Präsident Obama geführt, es ist also kein DonaldTrump-Thema“, sagte der SPDPolitiker. Nun gehe es darum, nicht in einen Rüstungswettlauf einzusteigen und defensiv darauf zu antworten. In einer am Freitag veröffentlichten Erklärung der Nato heißt es, die alleinige Verantwortung für das Ende des Vertrages trage Russland. Eine Situation, in der die Vereinigten Staaten sich vollständig an den INF-Vertrag hielten, Russland dies aber nicht tue, sei nicht haltbar. Die Militärallianz bekräftigte zudem ihre Entschlossenheit, auf das russische Marschflugkörpersystem zu reagieren. „Die Nato wird in angemessener und verantwortlicher Art und Weise auf die signifikanten Risiken antworten, die die russischen Marschflugkörper für die Sicherheit der Allianz darstellen“, hieß es in der Mitteilung. Russland hatte die USA zuvor erneut davor gewarnt, landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen in Europa zu stationieren.
Sollte es dazu kommen, behält sich Moskau nach Darstellung des Außenministeriums vor, analog in der Nähe der USA solche Waffen zu stationieren. Militärexperten in Moskau sehen etwa Venezuela oder Kuba als mögliche Standorte. VizeAußenminister Sergej Rjabkow schlug erneut ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa vor.
In einem Interview der Agentur
verwies er darauf, dass sich Russland ein einseitiges Moratorium auferlegt habe, solche Raketen vorerst nicht zu stationieren. Allerdings seien weder die USA noch die
„Diese Debatte hat schon Präsident Obama geführt, es ist also kein Donald-Trump-Thema.“Außenminister Heiko Maas (SPD)
Nato bisher auf den Vorschlag eines Moratoriums eingegangen. Moskau wolle sich auch nicht einschüchtern lassen.
Die Nato will nun in den kommenden Monaten entscheiden, wie sie auf das Aus für den Abrüstungsvertrag und die russischen SSC-8 reagiert. Eine Option ist, dass die Bündnisstaaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketenund Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue wirkungsvolle konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden, um Russland abzuschrecken. Die Stationierung von neuen landgestützten atomaren Mittelstreckenwaffen in Europa gehört nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit nicht zu den Optionen. Man müsse das russische Verhalten nicht spiegeln, um weiter eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten, heißt es zur Begründung.