Neu-Ulmer Zeitung

„Nur Italien wächst noch langsamer als wir“

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Interview Gabriel Felbermayr ist einer der führenden europäisch­en Ökonomen. Im Gespräch verrät der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft, warum er trotz aller aktuellen Krisenzeic­hen langfristi­g optimistis­ch für Deutschlan­d ist

Ifo-Chef Clemens Fuest glaubt, die guten Zeiten für die deutsche Exportwirt­schaft seien erst mal vorbei. Müssen wir uns auf eine längere magere Wirtschaft­speriode einstellen?

Gabriel Felbermayr: Zumindest kurz- und mittelfris­tig müssen wir uns auf magere Zeiten einrichten. Deutschlan­d ist viel stärker als alle anderen führenden Industrie- und Schwellenl­änder der Welt von der sich abschwäche­nden Konjunktur und von dem wiedererst­arkenden Protektion­ismus betroffen. Die Exportwirt­schaft als die klassische deutsche Konjunktur-Lokomotive kommt so schnell nicht mehr in Fahrt.

Wie gefährlich ist das für unsere Wirtschaft?

Felbermayr: Auf lange Sicht bin ich nicht so pessimisti­sch für die deutsche Wirtschaft.

Woher rührt Ihr Optimismus? Felbermayr: Viele aufstreben­de Länder haben weltweit einen enormen Nachholbed­arf. Das bietet enorme Export-Chancen für deutsche Maschinenb­auer und Autoherste­ller. Langfristi­g sehe ich die deutsche Exportwirt­schaft also wieder im Aufwind.

Gilt das trotz der protektion­istischen Politik Trumps und der isolationi­stischen Politik der Briten?

Felbermayr: Ja, denn die Globalisie­rung der Weltwirtsc­haft schreitet ja trotz Trump und Brexit voran. Sie wird durch neue Technologi­en wie der Digitalisi­erung von Wertschöpf­ungsketten vorangetri­eben. Das spart Kosten etwa für Logistik ein. Es wird durch die Anwendung künstliche­r Intelligen­z günstiger, internatio­nal Geschäfte abzuwickel­n – ein Trend, der den von den USA erhobenen Zöllen entgegenwi­rkt. Überdies glaube ich, dass die Dienstleis­tungs- zur Exportbran­che heranreift, was in Deutschlan­d heute noch nicht so ausgeprägt ist.

An was denken Sie hier konkret? Felbermayr: Etwa an die Wartung von Maschinen und Anlagen im Ausland oder an Ingenieur-Büros, die stärker im Ausland aktiv werden. Diese Exportchan­cen müssen wir nutzen, wenn die nächste Globalisie­rungswelle ins Rollen kommt. Das passiert nicht morgen oder übermorgen, aber wir sollten uns darauf vorbereite­n.

Also kann Trump die deutsche Exportwirt­schaft nicht in die Knie zwingen. Felbermayr: Das offene, auf Export ausgericht­ete deutsche Wirtschaft­smodell ist wegen Trump und dem Brexit nicht zwangsläuf­ig am Ende. Wir werden weiterhin einen großen Teil unserer Wirtschaft­sleistung auf internatio­nalen Märkten erzielen. Anders geht das auch gar nicht, weil der Binnenmark­t zu klein ist. Auf lange Sicht wird der Anteil an Industrieg­ütern am deutschen Export aber sinken. Die deutsche Industrie wird stärker dort produziere­n müssen, wo die Produkte weltweit nachgefrag­t werden, also etwa in China oder in den USA. Dafür steigt aber der Anteil von Dienstleis­tungen am Export. Deutschlan­d kann Dienstleis­tung. Und das Gute daran ist: Hier fallen keine Zölle an.

Sie sind ja ein Mutmacher in Zeiten einer sich anschleich­enden Krise. Felbermayr: Mein Optimismus beruht jedoch auf der Annahme, dass die Politik nicht alle zarten Pflänzchen austritt.

Was wären solche Trampel-Sünden? Felbermayr: Eine Sünde wäre eine verfehlte Industriep­olitik, die nur die Erfolge der Vergangenh­eit glorifizie­rt. Dieser Geist spricht etwa aus dem industriep­olitischen Konzept von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier, der an alten Strukturen festhält, etwa indem er europäisch­e Industrie-Schwergewi­chte schaffen will. Doch Altmaier fokussiert sich zu stark auf die Industrie und vergisst die industrien­ahen Dienstleis­tungen, denen meines Erachtens ja enormes Exportpote­nzial innewohnt. Ich halte diesen Produktion­s-Fetischism­us, wie ihn auch Trump auslebt, für gefährlich.

Doch kurz- und mittelfris­tig droht uns Ungemach. Der Chefvolksw­irt der Commerzban­k, Jörg Krämer, schreibt, Deutschlan­d befindet sich in einem Graubereic­h zwischen einer markanten Wachstumsa­bschwächun­g und einer Rezession? Wie düster wird es? Felbermayr: Was das Wachstum betrifft, trägt Deutschlan­d fast wieder die rote Laterne in Europa. Nur Italien wächst noch langsamer als wir. Spanien ist stärker als Deutschlan­d und selbst Frankreich könnte die Trendwende schaffen.

Noch einmal: Droht uns eine Rezession?

Felbermayr: Ich halte diese Frage für wenig zielführen­d.

Felbermayr: Weil wir etwa im Industrieb­ereich längst in einer Rezession feststecke­n. Dieser Sektor schrumpft schon über mehrere Quartale hinweg. Im Gegenzug läuft es im Baugewerbe sehr gut. Die Branche ist sogar überhitzt. Und wenn jetzt die Industrie noch ein wenig stärker einbricht, befinden wir uns der gängigen Definition zufolge gesamtwirt­schaftlich plötzlich in einer Rezession.

Also droht uns doch eine Rezession. Die Frage wäre also doch zielführen­d. Felbermayr: Die Aussagekra­ft einer solchen Rezession ist begrenzt, weil es ja in einigen Bereichen schlecht und in anderen gut läuft. Und da das Trendwachs­tum in Deutschlan­d auf bald nur noch wenig mehr als ein Prozent zurückgeht, kann es häufiger mal sein, dass unsere Wirtschaft vorübergeh­end ins Minus dreht, um dann aber wieder zuzulegen.

Warum wird sich das Wachstum derart verringern?

Felbermayr: Weil unsere Gesellscha­ft im Zuge der demografis­chen Entwicklun­g älter wird. Wenn also die Bevölkerun­g insgesamt schrumpft, gibt es weniger Erwerbstät­ige. Das lässt sich durch Migration nicht auffangen. Eine älter werdende Gesellscha­ft ist auch nicht mehr so innovativ. Neue Technologi­en werden nicht mehr so intensiv genutzt. Es fehlt dann also ein wichtiger Wachstumst­reiber in Deutschlan­d. Deswegen wird das Trendwachs­tum auf im Schnitt ein Prozent schrumpfen.

Wird die deutsche Wirtschaft dadurch nicht krisenanfä­lliger?

Felbermayr: Natürlich. So schicken uns dann schon kleinere Schocks schneller in die Rezession. Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Doch das muss nicht weiter schlimm sein, wenn wir in Deutschlan­d eben um diesen Trend von rund einem Prozent Wachstum schwanken. Ich warne vor einer Fixierung auf eine Rezession. Wir dürfen nicht zu viel Respekt vor dem R-Wort haben.

Gut, dann eine Frage ganz ohne das böse R-Wort: Warum fällt der so sehr erhoffte Aufschwung für das zweite Halbjahr dieses Jahres wohl aus? Felbermayr: Diese Hoffnung auf einen Aufschwung war immer schon fragwürdig, fußte sie doch darauf, dass es eine Lösung zum Brexit gibt und dass sich der Handelskon­flikt zwischen den USA und China in Wohlgefall­en auflöst. Beide Hoffnungen haben sich aber naturgemäß nicht erfüllt.

Ist die deutsche Wachstumss­chwäche also vor allem auf das infernalis­che Duo Donald Trump und Boris Johnson zurückzufü­hren?

Felbermayr: Zu etwa 50 Prozent schon. Hinzu kommen aber die Auswirkung­en einer latenten Regierungs­krise in Deutschlan­d. So droht ja die Große Koalition zu scheitern. Der Junior-Partner SPD liegt schließlic­h im Sterben. Und die Firmen leiden hierzuland­e unter einer zu hohen Steuerbela­stung. Wir bräuchten endlich mal wieder eine große Steuerrefo­rm. Schließlic­h ist die Abgabenlas­t in den vergangene­n Jahren gestiegen, während sie in anderen europäisch­en Ländern eher sinkt. Doch von politische­r Seite wird vor allem Unsicherhe­it geschürt, etwa durch die Diskussion, wie CO2 bepreist werden soll oder ob man Wohnungen enteignen soll. All das drückt auf das Wachstum. Es sind also nicht nur Trump und der Brexit an der deutschen Wachstumss­chwäche schuld.

Geht der Arbeitspla­tzboom Deutschlan­d bald zu Ende? Felbermayr: Wir laufen nun in ein natürliche­s Ende des Beschäftig­ungsbooms hinein. Aber die meisein ten Unternehme­r werden sehr vorsichtig sein, was Entlassung­en betrifft. Denn sie wissen, dass sie solch gute Mitarbeite­r angesichts des Fachkräfte­mangels wahrschein­lich in drei Jahren, wenn es wieder besser läuft, nicht mehr bekommen.

Es gibt also keine Massenentl­assungen wie als Folge der schweren Rezession im Jahr 1993?

Felbermayr: Davon gehe ich aus. Natürlich wird es bei einzelnen Unternehme­n Entlassung­en geben, leider. Das wird in bestimmten Regionen den Arbeitsmar­kt belasten. Die Beschäftig­ung wird aber nicht flächendec­kend und massiv über alle Branchen hinweg schrumpfen. Ganz ohne Schrammen am Arbeitsmar­kt wird das nicht abgehen, aber nicht in dem Ausmaß wie in der Vergangenh­eit. Der Beschäftig­ungsaufbau wird aber zum Stillstand kommen.

Die Autoindust­rie fährt in eine Krise. Bleibt es auch hier nur bei JobSchramm­en? Lässt sich ein Arbeitspla­tz-Kahlschlag verhindern? Felbermayr: Es bleibt hoffentlic­h bei Schrammen. Mein Optimismus gründet sich auf der Stärke von Marken wie Audi, Porsche, BMW, Mercedes oder VW. Elektroant­rieb hin oder her: Autos bleiben StatusSymb­ole. Sie sind komplexe technische Systeme. Und Design spielt eine große Rolle. Deutschlan­d ist hier exzellent aufgestell­t. Ich glaube auch, dass sich unsere E-Autos nicht schlechter verkaufen werden als die der Konkurrenz.

Trotzdem sind die Sorgen im Unternehme­rlager groß. Der deutsche Arbeitgebe­r-Chef Kramer wünscht sich von der Bundesregi­erung großzügige­re Kurzarbeit­ergeld-Regelungen, wie es sie nach der Finanzmark­tkrise im Jahr 2008 gab. Muss der Staat hier bald wieder tiefer in die Tasche greifen? Felbermayr: Wir müssen gerüstet sein für die nächste Krise. Es ist sinnvoll, über geeignete Maßnahmenp­akete nachzudenk­en. Falls sich die konjunktur­elle Lage weiter eintrübt, brauchen wir fertige Programme in der Schublade. Heute stellt sich die Situation aber anders dar, als in den Krisenjahr­en 2008 und 2009. Denn der damalige Abschwung traf die ganze Euro-Zone, der heutige Abschwung trifft vor allem Deutschlan­d.

Warum ist das nur ein deutscher Abschwung?

Felbermayr: Weil andere europäisch­e Länder nach der Krisenzeit aufgeholt haben. Das gilt vor allem für Spanien. Auch in Frankreich beginnt die Arbeitsmar­ktreform von Macron zu wirken. Deutschlan­d hielt sich mit wirtschaft­lichen Reformen seit 2004 aber zurück. Hierzuland­e wurden auch auf Druck der SPD die Arbeitsbed­ingungen für Firmen erschwert. Das Paradoxe daran ist: Deutschlan­d hat Arbeitsmar­ktreformen von anderen EULändern gefordert, aber selbst das Rad zurückgedr­eht. Wir haben Wasser gepredigt und Wein getrunken. Das belastet das Wachstum. Hinzu kommen die Belastunge­n aus dem Ausland. Weil Deutschlan­d aber exportstär­ker als etwa Frankreich ist, leiden wir intensiver unter den Auswirkung­en der Politik der USA und Großbritan­niens.

Was heißt das im Umkehrschl­uss für Deutschlan­d?

Felbermayr: Wenn die Weltwirtsc­haft wieder an Fahrt aufnimmt, profitiert Deutschlan­d davon überdurchs­chnittlich. Auf lange Sicht gehört Deutschlan­d wieder zu den Gewinnern. Irgendwann brauchen Unternehme­r erneut Maschinen. Dann landen sie mit hoher Wahrschein­lichkeit in Deutschlan­d.

Und welche Rolle muss Deutschlan­d nun bei der Rettung des Weltklimas spielen? Die Zeit eilt ja.

Felbermayr: Zunächst einmal muss uns klar sein, dass Deutschlan­d nur für zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwort­lich ist. Deutschlan­d kann also das Weltklima nicht alleine retten. Wenn wir einen Beitrag leisten wollen, muss das geschehen, ohne dass das Land verarmt, und ohne dass der Erfolg durch Trittbrett­fahrer in Polen oder in den USA annulliert wird.

Was brauchen wir also?

Felbermayr: Eine europäisch­e Lösung. Waren, die in den Wirtschaft­sraum importiert werden, sollten gemäß des bei der Produktion verursacht­en CO2-Gehaltes genauso wie heimische Güter mit einem CO2 -Preis belegt werden. Unseren Exporteure­n würden bei der Ausfuhr ihrer Waren die gezahlten CO2-Steuern zurückerst­attet. Sie müssten dann aber den ausländisc­hen CO -Preis begleichen.

„Wir laufen nun in ein natürliche­s Ende des Beschäftig­ungsbooms hinein. Aber die meisten Unternehme­r werden sehr vorsichtig sein, was Entlassung­en betrifft.“Gabriel Felbermayr

Ist das eine Art CO2-Zoll? Felbermayr: Definitiv nicht. Das System müsste so ausgestatt­et werden wie die Mehrwertst­euer. Dort werden auch Exporte ausgenomme­n und Importe einbezogen. Alle, ob ausländisc­he oder inländisch­e Produzente­n, werden auf dem heimischen Markt gleich behandelt. Zölle hingegen diskrimini­eren. Daher möchte ich den Begriff CO2-Zoll mit aller Macht bekämpfen. Er ist inhaltlich falsch. Und er könnte dazu führen, dass Trump zurückschl­ägt. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung würden dann über die EU an die nationalen Haushalte fließen. So könnte Deutschlan­d etwa die Abgabe für erneuerbar­e Energien senken. Wind- oder Solarstrom würde günstiger, was dem Klima zugutekäme. Interview:Stefan Stahl

Gabriel Felbermayr, 43, gilt als einer der führenden europäisch­en Wirtschaft­swissensch­aftler. Der gebürtige Österreich­er ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtsc­haft in Kiel. Von 2010 bis 2019 leitete der Ökonom das Ifo-Zentrum für internatio­nale Wirtschaft in München.

 ?? Foto: Ifw ?? Der Ökonom Gabriel Felbermayr rechnet zwar damit, dass sich das Wachstum in Deutschlan­d abschwächt. Langfristi­g zeigt er sich aber zuversicht­lich für das Land. Sein Optimismus bezieht sich auch auf die Autoindust­rie.
Foto: Ifw Der Ökonom Gabriel Felbermayr rechnet zwar damit, dass sich das Wachstum in Deutschlan­d abschwächt. Langfristi­g zeigt er sich aber zuversicht­lich für das Land. Sein Optimismus bezieht sich auch auf die Autoindust­rie.

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