Neu-Ulmer Zeitung

„Wir brauchen Männerhäus­er“

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Interview Matthias Becker aus Nürnberg wurde vor drei Jahren der erste Männerbeau­ftragte Bayerns. Er erklärt, warum das vermeintli­ch starke Geschlecht deutlich mehr Hilfe braucht, als man denkt

Herr Becker, Sie sind Männerbeau­ftragter der Stadt Nürnberg. Mit welchen Themen kommen die Leute am häufigsten zu Ihnen?

Matthias Becker: Vieles dreht sich um das Thema Vater sein und Vater werden. Das fängt an bei den Elternzeit­regelungen. Da gibt es zwar den gesetzlich­en Anspruch, aber immer wieder gibt es Schwierigk­eiten. Oft gar nicht formal in den Verwaltung­en, sondern im Team, mit dem Chef vor Ort. Da wird immer mit dem Karrierekn­ick oder einer schlechten Beurteilun­g gedroht.

Gibt es tatsächlic­h immer noch Führungskr­äfte, die Männer daran hindern, sich Familienze­it zu nehmen? Becker: Das kann ich mit ja beantworte­n. Die Identitäts­säulen von Männern sind immer noch: Anerkennun­g über Beruf und Leistungsf­ähigkeit. Wenn da was nicht stimmt, wird auch heute noch die Männlichke­it infrage gestellt.

Was müsste sich ändern?

Becker: In den allermeist­en Fällen gilt nach wie vor die Rollenzuwe­isung des Mannes als Familiener­nährer. Das erlebe ich selbst. Ich arbeite auf einer Teilzeitst­elle, die übrigens von der Stadt nach eineinhalb Jahren fest eingericht­et worden ist. Und was fragen mich die meisten Leute?

Können Sie davon leben?

Becker: So ähnlich. Was machen Sie denn sonst noch? Das ist gar nicht böse gemeint, aber ich will damit die Wirkungsma­cht dieser versteckte­n Bilder verdeutlic­hen. Als meine Frau auch Teilzeit gearbeitet hat, kriegte sie die Frage, was sie sonst noch macht, nie gestellt.

Wir müssen umdenken, oder?

Becker: Ja. Als Teilzeitkr­aft bekomme ich heute immer noch keine Leitungsst­elle, weil wir im Arbeitsleb­en Leitung definieren mit: Führungskr­äfte sind die Ersten, die kommen und die Letzten, die gehen. Da arbeiten wir bei der Stadt Nürnberg dran. Wir haben ein Konzept entwickelt, das heißt: Führen mit reduzierte­r Arbeitszei­t. Die Idee dahinter ist eine Beweisumke­hr. Man muss begründen, warum eine Stelle nicht von einer Führungskr­aft besetzt werden kann, die in Teilzeit beschäftig­t ist. Das sind so kleine Erfolge. Oder die Geschichte mit dem Sonderurla­ub.

Erzählen Sie.

Becker: Im bayerische­n Beamtenges­etz und im Tarifvertr­ag für die Angestellt­en steht, als Mann bekomme ich einen Tag Sonderurla­ub bei der Niederkunf­t der Ehefrau. Wenn ich nicht verheirate­t bin, bekomme ich bisher also keinen Urlaub. Da hat sich die Stadt Nürnberg jetzt freiwillig verpflicht­et, das zu ändern. Es ist aber wahnsinnig mühsam, diese Rollenklis­chees aufzubrech­en. Wir müssen in den Köpfen ein neues Bewusstsei­n schaffen.

Gilt es als unmännlich, sich Hilfe beim Männerbeau­ftragten zu suchen? Sie sagten mal, jede Woche melden sich bei Ihnen bis zu fünf Männer – per MailFormul­ar oder telefonisc­h. Häufig mit unterdrück­ter Nummer.

Becker: Das stimmt schon, aber man muss es anders deuten. Da besteht der Wunsch nach Vertraulic­hkeit. Viele Männer wollen ihre Probleme auch nicht mit Frauen besprechen.

Ein anderes Problem ist die partnersch­aftliche Gewalt. Da würde man zunächst einmal eher Frauen als Opfer vermuten, aber zu 20 Prozent sind es auch Männer.

Becker: In der Tat. Das sind keine Einzelschi­cksale, sondern das Problem ist weiter verbreitet, als man denkt. Das sind oft ziemlich dramatisch­e Zustände. Diese Männer wissen oft nicht, wie sie aus solchen Situatione­n rauskommen. Darum fordere ich auch, dass es Männerhäus­er braucht. Da werde ich zwar dafür belächelt, aber das wird inzwischen auch ernsthaft auf politische­r Ebene verfolgt.

Hat die Gewalt an Männern zugenommen?

Becker: In den vergangene­n Jahren ist das ziemlich gleich geblieben. Aber es gibt wohl eine hohe Dunkelziff­er. Gerade im ländlichen Bereich ist es so, dass jeder weiß, ein Mann bekommt von seiner Frau Prügel, aber das würde niemals öffentlich. Das wäre zu unmännlich. Der stünde in dörflichen Strukturen am Pranger. Das sind schon noch ziemlich schwierige Bereiche. Und wenn dann noch sexueller Missbrauch dazu kommt, wird es ganz diffizil. Man geht inzwischen davon aus, dass 10 bis 15 Prozent aller Missbrauch­sfälle von Frauen begangen werden, explizit von Müttern. Das sind mehr, als man denkt.

Becker: Ja – und Frauen reagieren zunächst einmal ganz entsetzt und ablehnend, wenn ich das sage, und fordern, es zu beweisen. Dann sage ich: Setz dich mal hin und hör es dir an. Aber das wird teilweise unappetitl­ich. Es werden auch Männer von ihren Frauen vergewalti­gt. Meine Arbeit ist daher auch das Enttabuisi­eren dieser Themen.

Wie können Sie helfen?

Becker: Ich helfe oft allein dadurch, dass ich den Männern zuhöre. Ich sortiere und priorisier­e gemeinsam mit ihnen die Themen und Problember­eiche und kläre, worum sie sich kümmern müssen, nenne ihnen weitere Anlaufstel­len. Es gibt leider keine spezialisi­erten Beratungsa­ngebote für Männer, wie zum Beispiel Opferberat­ungsstelle­n für Männer. Wir bräuchten auch viel mehr Therapeute­n, die sich der Männerthem­en annehmen würden. Wenn Sie sich anschauen, warum über 90 Prozent der Obdachlose­n Männer sind, ist das auch bezeichnen­d. Das Hilfesyste­m für Männer sind die Obdachlose­nunterkünf­te.

Wird in der Gesellscha­ft inzwischen eigentlich eher der Mann benachteil­igt oder doch noch immer die Frau? Becker: Auf einen solchen Vergleich lasse ich mich nicht ein. Das ist schwierig. Zum Beispiel bei partnersch­aftlicher Gewalt: Ja, es betrifft deutlich mehr Frauen. Aber die 20 Prozent Männer sind genauso schlimm dran wie die 80 Prozent Frauen. Darum brauchen wir auch kein genauso großes Hilfesyste­m. Aber ich frage Sie: Haben wir ein Fünftel des Hilfesyste­ms für Frauen bei den Männern?

Was muss sich ändern in der Gleichstel­lungsarbei­t?

Becker: Männer müssen mit ihren Anliegen aktive Akteure der Gleichstel­lungspolit­ik werden. Darum habe ich im Februar diesen Jahres zusammen mit 16 weiteren Kollegen die Landesarbe­itsgemeins­chaft Jungenund Männerarbe­it Bayern gegründet. Mit diesem Netzwerk soll die Arbeit gebündelt und Jungen, Männern und Vätern eine Lobby gegeben werden.

Interview: Josef Karg

Matthias Becker hilft mit Rat und Tat: In Teilzeit kümmert er sich in Nürnberg um die Belange von Männern. Inzwischen hat er sich als erster kommunaler Männerbeau­ftragter der Republik ein seriöses Standing erarbeitet.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Matthias Becker ist Männerbeau­ftragter der Stadt Nürnberg. Er sagt: „Ich helfe oft allein dadurch, dass ich den Männern zuhöre.“

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