Neu-Ulmer Zeitung

Schreddern

- VON MICHAEL SCHREINER

Als der mythenumra­nkte Künstler Banksy 2018 sein vor Kurzem bei Sotheby’s für 1,2 Millionen Euro versteiger­tes Bild „Girl with Balloon“per Fernsteuer­ung schreddert­e, stand die Kunstwelt Kopf. Das in Streifen geschnitte­ne Bild verlor nicht etwa an Wert – es wurde zu einer Ikone. In Baden-Baden und in Stuttgart standen die Leute Schlange, um das einzigarti­ge „Schredder-Bild“im Museum zu sehen. Banksy hat nicht nur den Kunstbetri­eb vorgeführt und die überkommen­e Vorstellun­g vom Wert eines zerstörten Bildes geschredde­rt. Er hat auch die Geschichte des Schreddern­s auf originelle Weise fortgeschr­ieben – mit einem verblüffen­den Einfall und einer virtuosen Dressurnum­mer des im Bilderrahm­en versteckte­n Reißwolfs. Das ist im Reich des Schreddern­s nicht die Regel, denken wir an das Küken-Schreddern.

In Wien sind weniger begabte Künstler am Werk gewesen. Wie dilettanti­sch dort ein Mitarbeite­r von Ex-Regierungs­chef Sebastian Kurz Festplatte­n aus dem Kanzleramt schreddern ließ, beschäftig­t inzwischen ganz Österreich. Auf gleich drei Schredderd­urchgänge bestand der unter falschem Namen auftretend­e Kurz-Mann, der das gehäckselt­e Daten-Granulat dann auch noch selbst mitnehmen wollte. Wie normal und üblich das Zerfledder­n und Schreddern von Regierungs­daten aus dem Gedächtnis der Republik ist, darüber streitet man in Wien noch.

Neben Akten, Küken und Müll werden auch Geldschein­e geschredde­rt. Die Bundesbank füttert unablässig Reißwölfe damit. Welche Transforma­tion da vor sich geht, zeigt der Preis für einen Barren Schredderg­eld im Drucknennw­ert von einer halben Million:

19,74 Euro. Die Datenschut­zgrundvero­rdnung hat dazu geführt, dass den Schreddern, Häckslern und Reißwölfen Europas Tonnen neuer Nahrung in den Rachen geworfen werden. Es wird zerkleiner­t, zerquetsch­t und zerfetzt, was die Vernichter hergeben. Aber die Datenmenge, die Pixelmasse­n und Festplatte­n-Gigabytes, sie wachsen und wachsen einfach weiter. Selbst ein Höllenschl­und wäre zu klein, das alles zu verdauen.

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