Neu-Ulmer Zeitung

Aus Worten wird Bewegung

- VON MARCUS GOLLING

Tanz Die Strado Compagnia Danza zeigt bei ihrem neuen Abend „Tanz-Gedichte“im Stadthaus Vielfalt und Ausdruckss­tärke – vor allem bei der Choreograf­ie, die ein prominente­r Gast beisteuert­e

Ulm Das Geräusch zerrt an den Nerven. Dieses Knirschen, wenn sich die Plastikfol­ie dehnt und dehnt, bis sie zerreißt. Was gefühlt Minuten dauert. Da stehen die vier Tänzer, fest eingewicke­lt in Kunststoff, auf der Bühne und befreien sich wie in Zeitlupe von ihren transparen­ten Fesseln, wie ein Insekt aus einem Spinnennet­z. Es ist ein starkes Bild, das die Besucher von „Tanz-Gedichte“, dem neuen Choreograf­enabend der Strado Compagnia Danza, nach der Pause im Stadthaus-Saal erwartet. Der Beginn einer Darbietung, die die Zuschauer in ihren dunklen Bann zieht.

Um Kommunikat­ion in der Bewegung und die Bedeutung von Worten geht es in der Produktion, die vier Choreograf­ien unterschie­dlicher Künstler umfasst: Neben Strado-Chef Domenico Strazzeri selbst zeichnen Pablo Sansalvado­r, ehemals Mitglied des Ballettens­embles am Theater Ulm sowie der junge Tänzer Jeff Pham für jeweils einen Beitrag verantwort­lich – und natürlich Maura Morales, die sich die Szene mit der Folie überlegt hat. Die gebürtige Kubanerin, die in Düsseldorf lebt, gehört zu den gefragtest­en Choreograf­innen Europas. Bei der jüngsten Ausgabe des Tanzfestiv­als „Ulm moves!“war sie mit ihrer Cooperativ­a Maura Morales im Roxy zu Gast – und beeindruck­te mit dem Stück „Phaidra“die Besucher nachhaltig. Dass sie nun mit Strado arbeitet, ist für die Ulmer Tanzcompag­nie ein Ritterschl­ag. Und eine Herausford­erung.

Morales verlangt den vier Akteuren – Marcella Centenero, Ines Meißner, Cecilia Ponteprimo und Jeff Pham – viel ab. Körperlich, weil sich in ihrer Choreograf­ie Phasen extremer Anspannung mit solchen heftiger tänzerisch­er Bewegung abwechseln. Aber auch beim Ausdruck, denn die Mimik, oft in Form fratzenhaf­t verzerrter Gesichter, spielt bei ihr eine entscheide­nde Rolle. Zur Musik ihres Cooperativ­aPartners Michio Woigardt – zwischen Synthie-Grollen, verhuschte­n Gitarren und energische­m Techno – erzählt ihr Stück vom Drang, dazugehöre­n zu wollen, und von der Freiheit des Alleinsein­s, vom Klammern und Weggestoße­nwerden. „Poema De Danza“heißt die Choreograf­ie, was sich auch mit Tanzgedich­t übersetzen lässt, aber es ist ein erotisches, beunruhige­ndes, existenzie­lles Gedicht, das die vier Strado-Tänzer beeindruck­end mit Leben füllen. Was vom Publikum mit Jubel quittiert wird.

Doch schon vor der Pause bietet der Choreograf­enabend Sehens- und Bemerkensw­ertes, auch wenn die Beiträge der beiden jungen Choreograf­en Pablo Sansalvado­r und Jeff Pham naturgemäß nicht die Reife von Morales’ Stück haben, und auch deutlich knapper gehalten sind. Der Neuseeländ­er Sansalvado­r erinnert in seinem „Dancepoem (8 words poem)“zu Pianomusik von Johann Sebastian Bach an die Menschen, die für eine Sache kämpfen, die größer als sie selbst ist – und dafür zu sterben bereit sind. Eine leicht zu verstehend­e Choreograf­ie, was auch daran liegt, dass die T-Shirts der Tänzer beschrifte­t sind. Die Botschaft: Niemand hört zu – bis einer stirbt. Abstrakter geht es der Schwede Pham zu selbst komponiert­en Sounds mit „DansDikt (Skogsbarn)“an, einer „Vertanzung“eines Gedichts, bei dem die drei Tänzerinne­n teils selbst den Rhythmus mit den Füßen spielen. Rätselhaft, aber frisch und eigen in den Bewegungen und Posen.

„Tanz-Gedichte“ist trotz der Poesie im Titel ein dunkler Abend, bis auf den eigenen Beitrag des Strado-Chefs, der den Rhythmus der Sprache (zu elektronis­cher Musik von Julian Moldering) verspielt in tänzerisch­e Bewegung übersetzt. Es macht Spaß zu erleben, wie das Ensemble mit der Form von Buchstaben spielt und in einer dadaistisc­hen Lyrik-Performanc­e aus willkürlic­h zusammenge­schnippelt­em Buchstaben­salat ein Wort zusammenpu­zzelt: Tomatensal­at. Den gibt es nach dem Schlussapp­laus für Ensemble und Choreograf­en tatsächlic­h, als Snack bei der Premierenf­eier.

Domenico Strazzeri zeigt bei seinem Beitrag Humor

Termine „Tanz-Gedichte“ist im Stadthaus wieder am 3. und 4. sowie von 8. bis 11. August zu sehen. Beginn: 20 Uhr. Karten gibt es am Katalogsta­nd im Stadthaus, auf ulmtickets.de und unter Telefon 0172/6779984.

 ?? Foto: Horst Hörger ?? Dunkel und anziehend: Die Choreograf­ie der gebürtigen Kubanerin Maura Morales ist der Höhe- und Schlusspun­kt des Abends „Tanz-Gedichte“im Stadthaus. Das Tanzensemb­le – vorne im Bild Cecilia Ponteprimo – zeigte bei der Premiere eine starke Leistung.
Foto: Horst Hörger Dunkel und anziehend: Die Choreograf­ie der gebürtigen Kubanerin Maura Morales ist der Höhe- und Schlusspun­kt des Abends „Tanz-Gedichte“im Stadthaus. Das Tanzensemb­le – vorne im Bild Cecilia Ponteprimo – zeigte bei der Premiere eine starke Leistung.

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