Aus Worten wird Bewegung
Tanz Die Strado Compagnia Danza zeigt bei ihrem neuen Abend „Tanz-Gedichte“im Stadthaus Vielfalt und Ausdrucksstärke – vor allem bei der Choreografie, die ein prominenter Gast beisteuerte
Ulm Das Geräusch zerrt an den Nerven. Dieses Knirschen, wenn sich die Plastikfolie dehnt und dehnt, bis sie zerreißt. Was gefühlt Minuten dauert. Da stehen die vier Tänzer, fest eingewickelt in Kunststoff, auf der Bühne und befreien sich wie in Zeitlupe von ihren transparenten Fesseln, wie ein Insekt aus einem Spinnennetz. Es ist ein starkes Bild, das die Besucher von „Tanz-Gedichte“, dem neuen Choreografenabend der Strado Compagnia Danza, nach der Pause im Stadthaus-Saal erwartet. Der Beginn einer Darbietung, die die Zuschauer in ihren dunklen Bann zieht.
Um Kommunikation in der Bewegung und die Bedeutung von Worten geht es in der Produktion, die vier Choreografien unterschiedlicher Künstler umfasst: Neben Strado-Chef Domenico Strazzeri selbst zeichnen Pablo Sansalvador, ehemals Mitglied des Ballettensembles am Theater Ulm sowie der junge Tänzer Jeff Pham für jeweils einen Beitrag verantwortlich – und natürlich Maura Morales, die sich die Szene mit der Folie überlegt hat. Die gebürtige Kubanerin, die in Düsseldorf lebt, gehört zu den gefragtesten Choreografinnen Europas. Bei der jüngsten Ausgabe des Tanzfestivals „Ulm moves!“war sie mit ihrer Cooperativa Maura Morales im Roxy zu Gast – und beeindruckte mit dem Stück „Phaidra“die Besucher nachhaltig. Dass sie nun mit Strado arbeitet, ist für die Ulmer Tanzcompagnie ein Ritterschlag. Und eine Herausforderung.
Morales verlangt den vier Akteuren – Marcella Centenero, Ines Meißner, Cecilia Ponteprimo und Jeff Pham – viel ab. Körperlich, weil sich in ihrer Choreografie Phasen extremer Anspannung mit solchen heftiger tänzerischer Bewegung abwechseln. Aber auch beim Ausdruck, denn die Mimik, oft in Form fratzenhaft verzerrter Gesichter, spielt bei ihr eine entscheidende Rolle. Zur Musik ihres CooperativaPartners Michio Woigardt – zwischen Synthie-Grollen, verhuschten Gitarren und energischem Techno – erzählt ihr Stück vom Drang, dazugehören zu wollen, und von der Freiheit des Alleinseins, vom Klammern und Weggestoßenwerden. „Poema De Danza“heißt die Choreografie, was sich auch mit Tanzgedicht übersetzen lässt, aber es ist ein erotisches, beunruhigendes, existenzielles Gedicht, das die vier Strado-Tänzer beeindruckend mit Leben füllen. Was vom Publikum mit Jubel quittiert wird.
Doch schon vor der Pause bietet der Choreografenabend Sehens- und Bemerkenswertes, auch wenn die Beiträge der beiden jungen Choreografen Pablo Sansalvador und Jeff Pham naturgemäß nicht die Reife von Morales’ Stück haben, und auch deutlich knapper gehalten sind. Der Neuseeländer Sansalvador erinnert in seinem „Dancepoem (8 words poem)“zu Pianomusik von Johann Sebastian Bach an die Menschen, die für eine Sache kämpfen, die größer als sie selbst ist – und dafür zu sterben bereit sind. Eine leicht zu verstehende Choreografie, was auch daran liegt, dass die T-Shirts der Tänzer beschriftet sind. Die Botschaft: Niemand hört zu – bis einer stirbt. Abstrakter geht es der Schwede Pham zu selbst komponierten Sounds mit „DansDikt (Skogsbarn)“an, einer „Vertanzung“eines Gedichts, bei dem die drei Tänzerinnen teils selbst den Rhythmus mit den Füßen spielen. Rätselhaft, aber frisch und eigen in den Bewegungen und Posen.
„Tanz-Gedichte“ist trotz der Poesie im Titel ein dunkler Abend, bis auf den eigenen Beitrag des Strado-Chefs, der den Rhythmus der Sprache (zu elektronischer Musik von Julian Moldering) verspielt in tänzerische Bewegung übersetzt. Es macht Spaß zu erleben, wie das Ensemble mit der Form von Buchstaben spielt und in einer dadaistischen Lyrik-Performance aus willkürlich zusammengeschnippeltem Buchstabensalat ein Wort zusammenpuzzelt: Tomatensalat. Den gibt es nach dem Schlussapplaus für Ensemble und Choreografen tatsächlich, als Snack bei der Premierenfeier.
Domenico Strazzeri zeigt bei seinem Beitrag Humor
Termine „Tanz-Gedichte“ist im Stadthaus wieder am 3. und 4. sowie von 8. bis 11. August zu sehen. Beginn: 20 Uhr. Karten gibt es am Katalogstand im Stadthaus, auf ulmtickets.de und unter Telefon 0172/6779984.