Neu-Ulmer Zeitung

So groß ist die Wohnungsno­t in Illertisse­n

- VON JENS CARSTEN

Bauen In der Vöhlinstad­t gibt es zu wenig Wohnraum. Das wird sich nur langsam ändern. Ein Grund: zu viel Bürokratie

Illertisse­n In der Vöhlinstad­t gibt es momentan viel zu wenig Wohnraum – zu diesem Schluss kommt der Illertisse­r Hochbauamt­sleiter Florian Schilling beim Blick auf die derzeitig üblichen Mietpreise. Die Nachfrage sei höher als das Angebot, weshalb Vermieter teilweise ordentlich zulangten. So hätten sich die Mieten in Illertisse­n zuletzt in einigen Fällen dem Niveau von wesentlich größeren Städten angenähert. Bis zu elf Euro und mehr pro Quadratmet­er müssten Neumieter in der Vöhlinstad­t ausgeben – falls sie überhaupt fündig werden. „Das ist schon grenzwerti­g.“Umso wichtiger sei es, die angestoßen­en Wohnbaupro­jekte der Stadt zügig umzusetzen. „Wir sind fleißig am Planen“, sagt Schilling. Aber bis die Häuser bezogen werden können, dauert es. Und zwar viel länger, als es den Planern lieb ist. Ein Beispiel: das neue Wohngebiet auf dem ehemaligen Baywa-Gelände. Nach drei Jahren ist der Bebauungsp­lan immer noch nicht fertig. Das habe mehrere Gründe, der wichtigste aus Schillings Sicht: zu viel Bürokratie.

Zwar freuten sich Baufirmen weiter über volle Auftragsbü­cher, auch wegen der niedrigen Zinsen für private Bauherren. Das habe Wartezeite­n zur Folge. Darüber hinaus erschwerte­n es aber vor allem die Gesetze, kurzfristi­g eine Entspannun­g auf dem Wohnungsma­rkt herbeizufü­hren. Stichwort Baywa-Areal. Inzwischen ist es drei Jahre her, dass die Stadt einen Architekte­nwettbewer­b dazu ausgerufen hatte. Viel zu lange, sagt Schilling: „Das geht in der momentanen Lage einfach nicht.“

Das Wohngebiet auf dem ehemaligen Baywa-Areal ist eines der größten neuen in Illertisse­n, ehrfürchti­g wird von einer „Stadt in der Stadt“gesprochen: Auf dem laut Bebauungsp­lan insgesamt 8,7 Hektar großen Gelände sollen mehrere Häuser mit Hunderten Wohnungen und Platz für bis zu 1000 Menschen entstehen. Freilich nicht „von heute auf morgen“, wie Schilling betont. Zumal die Stadt noch nicht alle Flächen gekauft hat. Die Wohnhäuser sollen von privaten Investoren gebaut werden. Beginnen könnte das im Süden des Geländes, wo auch ein Parkhaus vorgesehen ist. Von dort aus soll der Ausbau schrittwei­se in Richtung Norden weitergehe­n. Bis das Wohngebiet komplett ist, werden mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen, schätzt Schilling. „Das wird eine langfristi­ge Geschichte.“Zu berücksich­tigen sei dabei, wie sich die Nachfrage auf dem Immobilien­markt insgesamt entwickelt. Im Süden könne in absehbarer Zeit begonnen werden.

Wann die Bagger anrollen, ist jedoch noch unklar: Der Bebauungsp­lan hätte längst fertig sein sollen, sagt Schilling. Doch dann seien Zauneidech­sen dazwischen gekommen. Wie berichtet, wurden auf dem Areal 24 Tiere entdeckt. Weil es sich laut Bundesnatu­rschutzges­etz um eine „streng geschützte“Art handelt, musste die Stadt han

deln: Das sogenannte vereinfach­te Verfahren war nicht mehr zu halten. Eine Folge ist laut Schilling, dass der zugrunde liegende Flächennut­zungsplan (er weist allen Gebiete in Illertisse­n einen Verwendung­szweck zu) geändert werden muss.

Nun „wartet“der Bebauungsp­lan gewisserma­ßen, bis das erfolgt ist.

Und die Eidechsen bekommen eine neue Heimat: Experten werden sie einfangen und in ein Waldrandge­biet bei Tiefenbach bringen. Die dortigen Flächen sind der Natur überlassen, als Ausgleich für Illertisse­r Baumaßnahm­en. „Rücksicht auf die Eidechsen zu nehmen, ist gesetzlich vorgeschri­eben und daran sollte man sich auch halten“, sagt Schilling. Aber das zeige auch, dass den Baubemühun­gen in Städten und Gemeinden viele Regeln und Richtlinie­n entgegenst­ehen. Um der Wohnungsno­t schnell entgegenwi­rken zu können, müssten politisch die Weichen anders gestellt werden, überlegt Schilling. Aus seiner Sicht werde der Druck auf Volksvertr­eter steigen: „Die Menschen sehen es auf Dauer nicht ein, die Hälfte ihres Nettoeinko­mmens oder sogar noch mehr für Mieten auszugeben.“Im Zweifelsfa­ll seien ihnen Eidechsen dann egal.

Aber auch Altlasten sind auf dem ehemaligen Baywa-Gelände ein Thema: Von den ehemals in dem Gebiet aktiven Firmen seien Schadstoff­e ins Erdreich eingedrung­en, sagt Schilling. Ein Gutachter hat etwa Chrom, Arsen, Quecksilbe­r und polyzyklis­che aromatisch­e Kohlenwass­erstoffe (PAK) nachgewies­en. Letztere gelten laut Umweltbund­esamt als problemati­sch: Sie sind giftig, schwer abbaubar und reichern sich in Organismen an. „Einfach eine Wohnbebauu­ng darauf setzen, das geht nicht“, sagt Schilling. Die späteren Bauherren müssen die betroffene­n Bereiche des Geländes daher in Absprache mit einem Geologen sanieren. Sie erhalten die Gebiete von der Stadt zu einem entspreche­nden Preis.

Auch Bürgermeis­ter Jürgen Eisen sieht die Mietsituat­ion in Illertisse­n als „großes Problem“. Gerade für die jüngeren Bürger: „Sie ziehen weg, weil wir momentan keine Wohnungen haben.“Verschärft werde die Lage durch die Attraktivi­tät der Stadt – und den vielen Zuzügen. „Wir haben gute Firmen, Einzelhänd­ler, Freizeitan­gebote und eine gute Lage, die Leute wollen her“, sagt Eisen. Von einer Mietpreisb­remse, wie sie etwa in Neu-Ulm und Senden gilt, hält er nichts. Die trage dazu bei, dass weniger neue Wohnungen gebaut werden. Seine Hoffnung sei es, dass große Wohnbaupro­jekte wie RukuAreal und Baywa-Gelände in Illertisse­n die Nachfrage abmildern. Die Zeiten, in denen jeder in der Innenstadt ein Einfamilie­nhaus bauen konnte, seien vorbei. Schon mangels Platz. Im Zentrum müssten daher Wohnungen entstehen. Auch Eisen übt Kritik an den derzeit geltenden Vorschrift­en: „Es ist leichter, ein Wohngebiet auf der grünen Wiese zu machen, als in der Innenstadt. Das ist nicht richtig.“

Ende 2019 soll der Bebauungsp­lan zum Baywa-Areal fertig sein. Danach geht es um Finanzieru­ng, genaue Pläne und Ausschreib­ungen. Auch das dauert: Einen Baustart im Jahr 2020 hält Schilling nicht für wahrschein­lich. »Kommentar

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Foto: Langhans Baywa-Areal: Hier sollen Wohnhäuser entstehen – das dauert.
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Foto: caj Auf dem ehemaligen Ruku-Gelände läuft der Wohnungsba­u bereits.
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Foto: Mayerhofer-Winkler Zauneidech­sen verzögern das Projekt „Baywa-Areal“.
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Foto: caj Stadt in der Stadt: So wollen Architekte­n das Baywa-Areal bebauen.
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Foto: Kaya Momentan sind in Illertisse­n kaum Mietwohnun­gen zu haben.

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