Neu-Ulmer Zeitung

„Der nächste Nazi-Skandal kommt“

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Interview Der österreich­ische Journalist Helmut Brandstätt­er erklärt, wie während der Amtszeit der ÖVP/FPÖ-Koalition ein Klima der Angst entstand und warum er sich um die Pressefrei­heit sorgt

Herr Brandstätt­er, in Ihrem Buch über Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seinen FPÖ-Innenminis­ter Kickl beschreibe­n Sie Österreich unter der ÖVP/FPÖ-Regierung „auf dem Weg in eine autoritäre Republik“. Übertreibe­n Sie nicht?

Helmut Brandstätt­er: Die FPÖ hat ein Kooperatio­nsabkommen mit Putins Partei „Einiges Russland“geschlosse­n. Putin tut alles, um die Europäisch­e Union zu destabilis­ieren. Er finanziert deshalb auch rechtsextr­eme Parteien in Europa.

Auch die FPÖ?

Brandstätt­er: Wir wissen es nicht. Aber wenn eine österreich­ische Partei von jemandem unterstütz­t wird, der die EU zerstören will, kann das nicht zum Vorteil Österreich­s sein.

Als einer der führenden Journalist­en Österreich­s treten Sie kurz vor dem Ruhestand als Parlaments­kandidat für die Neos an. Die ÖVP mit Sebastian Kurz kam für Sie nicht infrage? Brandstätt­er: Ich habe mich immer als Bürgerlich­er verstanden. Als bürgerlich­er Wechselwäh­ler, und ich war von der Stimmung bei den Neos sehr angetan. Mich hat an Sebastian

„ Kurz hat einen unglaublic­hen Machtanspr­uch und setzt diesen mit wenig Skrupel durch.“ Helmut Brandstätt­er

Kurz von Anfang an die Mischung aus autoritäre­m Gehabe und relativ wenig Verständni­s für komplexe Themen gestört. Ich bin sicher, dass er sich nicht mit den historisch­en Wurzeln der FPÖ oder mit Burschensc­haften beschäftig­t hat. Wenn jemand in der Flüchtling­spolitik von einer Achse München–Wien–Rom spricht, dann weiß er nicht, dass dieser Begriff historisch besetzt ist. Sebastian Kurz hat einen unglaublic­hen Machtanspr­uch und setzt diesen mit wenig Skrupel auch nach innen durch. Das ist das Gegenteil von dem, mit dem ich aufgewachs­en bin.

Sie haben kürzlich bei der Entgegenna­hme eines Journalist­enpreises in der Dankesrede gesagt, Österreich stehe „am Anfang vom Ende der Pressefrei­heit“. Können Sie das belegen? Brandstätt­er: Sehr gut. ÖVP und FPÖ wenden unterschie­dliche Methoden an, haben aber dasselbe Ziel: Sie wollen bestimmen, worüber berichtet und was geschriebe­n wird. Während die FPÖ zu brachialer Gewalt neigt und Journalist­en unter Druck setzt, geht die ÖVP subtiler vor. Die FPÖ hat versucht zu behaupten, dass ich mit einem SS-Mann verwandt bin. Als Quelle haben sie eine Neo-Nazi-Website angegeben. Sie wollten mich so unter Druck setzen. Und der Parteisend­er FPÖ TV hat vor meinem Privathaus gefilmt, nach dem Motto: „Schiedsric­hter, wir wissen, wo dein Auto steht. Wir werden hinkommen und dreinhauen.“

Inwiefern übt die konservati­ve ÖVP Druck aus?

Brandstätt­er: Ganz praktisch, indem ein Pressespre­cher einen Redakteur anruft und sagt: Spricht dort die sozialisti­sche Tageszeitu­ng

Das ist kein Witz, sondern es heißt: Wir verfolgen, was du schreibst. Wir halten dich für einen SPÖ-Anhänger. Man versucht, Angst zu verbreiten, indem man signalisie­rt, wir können auch den Eigentümer anrufen und ihm sagen, was du für einer bist.

Wie würde ein Eigentümer des Mediums dann vermutlich reagieren? Brandstätt­er: Wissen Sie, wie hoch das Inseratenb­udget der Bundesregi­erung ist? Im letzten Jahr offiziell 44 Millionen Euro. Auch die sozialdemo­kratisch regierte Stadt Wien vergibt Inserate in Millionenh­öhe. Da findet so etwas wie gegenseiti­ge Erpressung statt. Auch Politiker werden erpresst. Denn es gibt Redaktione­n, die Politiker anrufen, Geschichte­n oder Inserate verlangen und ankündigen, andernfall­s etwas Negatives zu schreiben. Ist das anders als in Deutschlan­d? Brandstätt­er: Deutschlan­d ist nicht das Paradies, aber ich habe niemals diese Abhängigke­it und die Angststimm­ung erlebt, die in den letzten Jahren hier herrscht. Es herrscht zu viel Angst bei uns, und dagegen aufzustehe­n führt dazu, dass man kritisiert wird.

Wollen Sie sich als künftiger Politiker dagegen engagieren?

Brandstätt­er: Die Zahl der Mitarbeite­r in den Pressestel­len übersteigt die der Redakteure in den Medien immer weiter. Deshalb brauchen wir eine andere Presseförd­erung. Eine, die sich an Qualität orientiert, an der Existenz von Auslandsko­rresponden­ten und einem Redakteurs­statut anstelle dieses Inseratenw­ahnsinns.

Sehen Sie die Neos in einer künftigen Regierung?

Brandstätt­er: Schon die Frage ist ein Kompliment. Die Neos hatten bei der letzten Wahl 5,3 Prozent. Aber auch Hans-Dietrich Genscher war mit einer schwachen FDP ein starker Minister, damals war die CDU/CSU eben stark. Wir schließen eine Regierungs­beteiligun­g nach heutigem Stand in einer Dreierkoal­ition mit ÖVP und Grünen nicht aus; denn Sebastian Kurz will nicht mit der SPÖ koalieren.

Wo würde der politische Schwerpunk­t der Neos liegen? Brandstätt­er: In der Bildungspo­litik mit allen Facetten. Über Künstliche Intelligen­z bis hin zu den Folgen der Globalisie­rung und der Elitenförd­erung haben sie viele Antworten parat. Generell gefällt mir, dass für Neos Bildung das wichtigste Thema ist. Die Lösung vieler Probleme liegt in der Bildung. Dafür will ich arbeiten.

Kurz hat eine neue Koalition mit der FPÖ nicht ausgeschlo­ssen. Brandstätt­er: Was ihn von einer FPÖ-Koalition abhalten könnte, ist die Erkenntnis, dass ein nochmalige­s Scheitern das Ende seiner Macht ist. Kurz kann nicht noch einmal sagen, ich habe es nicht gewusst. Und der nächste Nazi-Skandal kommt. Er ist nicht aufzuhalte­n.

Interview: Mariele Schulze Berndt

Helmut Brandstätt­er, 64, hat die liberal-konservati­ve Tageszeitu­ng „Kurier“seit 2010 als Chefredakt­eur und seit 2013 auch als Herausgebe­r geführt. Der Jurist arbeitete seit 1982 für den ORF, unter anderem als Korrespond­ent in Bonn und Brüssel. Von 1997 bis 2003 leitete er den deutschen Nachrichte­nkanal n-tv. 2005 gründete er seine eigene Kommunikat­ions- und Beratungsa­gentur. Helmut Brandstätt­ers aktuelles Buch „Kurz & Kickl – Ihr Spiel mit Macht und Angst“ist im Verlag Kremayr-Scheriau erschienen.

 ?? Foto: Robert Jäger, dpa ?? Helmut Brandstätt­er gehört zu den prominente­sten Journalist­en Österreich­s. Doch nun will er die Seiten wechseln und als Politiker für die liberalen Neos antreten – aus Sorge um die Demokratie in seinem Land, wie er sagt.
Foto: Robert Jäger, dpa Helmut Brandstätt­er gehört zu den prominente­sten Journalist­en Österreich­s. Doch nun will er die Seiten wechseln und als Politiker für die liberalen Neos antreten – aus Sorge um die Demokratie in seinem Land, wie er sagt.

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