Badeflaute
Gesundheit Es ist eine unappetitliche Sache, die da in Friedrichshafen passiert ist: Tagelang flossen Fäkalien in den Bodensee, mehr als 230 Badegäste wurden krank. Seit dem Wochenende ist der betroffene Uferabschnitt wieder geöffnet. Nur: Normal ist hier noch nichts
Friedrichshafen Es ist der Tag, den Debbie Haller-Clarke herbeigesehnt hat. Der Tag, an dem das Absperrband verschwunden ist. Und auch die Hinweisschilder, auf denen in dicken Lettern stand „Baden verboten“. Es ist der Tag, an dem der Bodensee hier, in diesem Strandabschnitt bei Friedrichshafen, endlich wieder das ist, was er ja sein sollte: Ein Gewässer, das sauber genug ist, dass man darin auch ruhigen Gewissens schwimmen kann.
Doch so einfach sind die Dinge nun einmal nicht. Nicht nach all den Berichten über Fäkalien und Schmutzwasser, die sich in letzter Zeit ungefiltert in diesen Bereich des Bodensees ergossen haben. Nicht nach den Geschichten von Badegästen, die von Brechdurchfall und Norovirus berichten. Debbie HallerClarke weiß das nur zu gut. Auch wenn sie an diesem sonnigen Samstagmittag hinter dem Tresen des Café Strandgut steht, hier im Freizeitgelände Manzell, und wartet. Auf Badegäste, die einen Kaffee trinken wollen. Auf Wassersportler, die ein Board ausleihen und damit auf dem See paddeln wollen. Oder auf ganz normale Sommertage am Bodensee. „Warten wir ab, ob sich das heute noch normalisiert“, sagt sie. So leer wie in den letzten Tagen, räumt Debbie Haller-Clarke aber ein, war es hier noch nie. „Es sind auch jetzt deutlich weniger Leute.“
Zehn Tage lang war der Uferabschnitt bei Friedrichshafen auf einem Kilometer Länge gesperrt. Zehn Tage, in denen auch das kleine Café Strandgut, von dem aus man direkt aufs Wasser blickt, kaum Gäste hatte. An einem Montag, sagt die Pächterin, „da war hier gar niemand“. Da hat sie das Café dann kurzerhand zugesperrt.
Ein paar harmlose Wolken ziehen an diesem Tag über den blauen Himmel. In der Ferne richten Windsurfer ihre Segel aus. Ein Schlauchboot treibt übers Wasser. Eine Frau, die mit ihrem Hund auf einer Bank Platz genommen hat, blickt gedankenverloren auf den See, der klar und blau daliegt.
Für Alica Hengge ist es der perfekte Tag, um hier ihre Strandmatte wieder auszurollen. Gleich will sie ins Wasser – dort, wo gerade ein paar Kinder planschen. In den letzten zehn Tagen ist Hengge ein paar Kilometer in die andere Richtung gefahren, wenn sie schwimmen wollte – nach Kressbronn. „Aber so viele warme Tage gab es in der letzten Zeit ja gar nicht“, sagt sie. Jetzt, wo das Badeverbot rund um Friedrichshafen seit Freitag aufgehoben wurde und pünktlich dazu auch der Sommer an den Bodensee zurückkehrt, ist auch sie wieder an ihrem Lieblingsplatz.
Nur, mal ehrlich: Will man hier überhaupt baden? Hier, wo Ende Juli entdeckt wurde, dass sich seit geraumer Zeit eine Brühe aus Fäkalien und Schmutzwasser in den See ergießt? Und beschleicht einen da nicht ein ungutes Gefühl, wenn man an genau dieser Stelle schwimmen geht? Die junge Frau, die mit einer Freundin hier ist, schüttelt entschieden den Kopf: „So oft, wie das Wasser getestet wurde, wird schon alles in Ordnung sein.“
Ob Amelie-Marie Fröschl das genauso sieht, ist schwer zu sagen. Zwei Wochen ist es her, dass sich die 14-Jährige mit ihren Mitschülern auf dem Manzeller Freizeitgelände traf. Ein kleines Abschiedsfest für die achte Klasse ihrer Realschule wollten sie feiern – so kurz, bevor die Ferien beginnen. Doch dieser schöne Sonntagnachmittag hatte für das Mädchen heftige Nachwirkungen.
„Es ging Dienstag früh los“, erzählt ihre Mutter Sandra Fröschl. Gegen 6 Uhr wachte ihre Tochter wegen starker Übelkeit auf. Bis zehn Uhr abends plagte die 14-Jährige ein heftiger Brechdurchfall. „Ihr ging es so elend, wie ich das bei ihr noch nie erlebt habe. Dazu kamen leichtes Fieber und Schwindel.“Die Mutter war kurz davor, ihre Tochter ins Krankenhaus zu bringen, ließ es aber dann doch. Am nächsten Tag stellte sich heraus: Auch neun Klassenkameraden von Amelie-Marie waren fast zur selben Zeit krank geworden. Und alle waren sie an jenem Nachmittag im Bodensee baden. Ähnlich klangen die Geschichten von zwei andere Schulklassen, die hier gefeiert hatten. Fröschl informierte daraufhin das Gesundheitsamt.
In Manzell staunten die Badegäste dann nicht schlecht, als am Mittwochnachmittag plötzlich das Gesundheitsamt mit der Feuerwehr am Strand auftauchte. Wer sich dort gerade im Bodensee abkühlte, wurde aus dem Wasser geschickt und das Ufer daraufhin mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Schnell war die Rede davon, dass Verunreinigungen aus einem Bach die Ursache sein könnten. In Wasserproben waren Kolibakterien und EnterokokErst Nach der Verunreinigung mit Abwasser und Fäkalien in einem kleinen Teil des Bodensees bei Friedrichshafen haben die Behörden am Freitag Entwarnung gegeben. Laborproben hätten Werte „deutlich unterhalb der Grenzwerte nach EU-Badewasserrichtlinie“ergeben. „Gänzlich keimfreie, natürliche Badegewässer gibt es nicht“, betonten die Behörden. Die Wasserqualität werde, wie an allen offiziell ausgewiesenen Badestellen, weiter regelmäßig überprüft. (böm) ken festgestellt worden. Inzwischen ist klar: 232 Menschen hat das verschmutzte Wasser krank gemacht, darunter fünf Norovirus-Fälle und eine Salmonellen-Infektion.
Wie es so weit kam, ist nicht nur eine wenig appetitliche, sondern auch eine etwas komplizierte Geschichte. Sie handelt, grob gesagt, von mit Krankheitserregern belastetem Abwasser. Und, wenn man tiefer eintaucht, von Mischwasserkanälen, veralteten Regenüberlaufbecken, vor allem aber von einem Kanal, der dieses Becken mit der Kläranlage verbindet. Nur hat niemand bemerkt, dass dieser Kanal verstopft war. So sammelte sich tagelang das Abwasser von zwei Stadtteilen und dem Klinikum im Rückhaltebecken, das förmlich überquoll. Die Brühe aus Fäkalien und Schmutzwasser floss über einen Bach ungehindert in den Bodensee. als mehr und mehr Krankheitsfälle gemeldet wurden, trat das ganze Malheur zutage.
Berthold Bieser ist gerade seine übliche Strecke im Bodensee geschwommen. So, wie er es gerne hier in Manzell tut. Und, wie er es auch noch an jenem Mittwoch vor knapp zwei Wochen, an dem der Fäkalien-Vorfall bekannt wurde, getan hat. „Krank war ich danach nicht“, sagt Bieser, der es sich mit seiner Frau Gabi und einem Kaltgetränk im Café Strandgut gemütlich gemacht hat. Das hier, sagen die beiden, ist ihr liebster Strandabschnitt am Bodensee. Sie erinnern sich noch an Zeiten, als der See wegen der Hitze gekippt war. Die jüngste Aufregung aber verstehen die Biesers nicht. Ebenso wenig die aufgeregten Schlagzeilen. „Da wurde viel zu viel Wind gemacht“, sagt Berthold Bieser.
Nun hat er ja recht. Schließlich war es ja nur ein Kilometer Uferbereich, den man am Bodensee gesperrt hat – und der ist als Deutschlands größter See bekanntlich um ein Vielfaches größer. Andererseits ist es ja so: Das Badeverbot hat Friedrichshafen mitten in der Urlaubszeit getroffen. Der Ekel vor dem Dreckwasser ist groß – zumal dem Bodensee, der als TrinkwasserReservoir für fünf Millionen Menschen dient, doch regelmäßig höchste Wasserqualität bescheinigt wird. Und dann liefen auch bei den Behörden mehrere Dinge schief.
Zwölf Regenüberlaufbecken gibt es in Friedrichshafen, elf sind mit elektronischer Messtechnik ausgestattet. Nun ist die Verstopfung gerade bei dem einzigen noch nicht umgerüsteten Becken aufgetreten, betont Monika Blank, Pressesprecherin der Stadt. Dabei sollte auch dieses Becken längst einen Sensor haben, der Störungen automatisch meldet. 2016 wurde das Bauprojekt ausgeschrieben, doch die Angebote, die im Rathaus ankamen, lagen weit über der Kostenberechnung von einer halben Million Euro. Also wurde die Modernisierung zurückgestellt.
Klar ist schon jetzt: Der FäkalienFall wird die Stadt weiter beschäftigen.
Die zehn Schüler, die im See badeten, wurden krank Wie das Badewasser am Bodensee kontrolliert wird Sieben Badegäste haben Strafanzeige gestellt
Sieben Badegäste, die am Freizeitgelände Manzell schwimmen waren, haben mittlerweile Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt. Das bestätigt Tanja Kraemer, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Diese ermittelt seit Bekanntwerden des Abwasserproblems wegen Gewässerverunreinigung und fahrlässiger Körperverletzung.
Und eine Familie hat eine Schadenersatzforderung angekündigt. Nicht, weil die komplette Familie unter Brechdurchfall gelitten hätte oder die Kinder erkrankt wären. Nein, im Schreiben, das der Stadt vorliegt, geht es um die Großeltern. Die waren offenbar am Bodensee im Urlaub und haben nahe Friedrichshafen gebadet. Eigentlich hätten sie ihren Enkel betreuen sollen. Doch weil sie krank wurden, ging das nicht.
Olga Deding dürfte bei solchen Aussagen nur verwundert den Kopf schütteln. Die Frau aus Bad Waldsee hat sich unweit des Café Strandgut in den Kies gesetzt, die Beine ausgestreckt, den Blick aufs Wasser gerichtet. Im Sommer kommt sie oft hierher, schon weil sie Verwandtschaft in der Nähe hat. Trotzdem sagt sie: „Der Bodensee ist was Besonderes, hier ist richtiges Urlaubsfeeling.“
Zum Schwimmen aber ist Olga Deding heute nicht hier. Weil sie sich vor dem Wasser ekelt? Weil sie Angst hat, krank zu werden? Deding winkt ab. Sie hat keine Sorge davor, ins Wasser zu gehen. Die ganze Aufregung um das Badeverbot, die Folgen, das ärgert sie. Dann erzählt sie, dass Freunde von ihr zehn Kilometer weiter, in Langenargen, Urlaub machen wollten. Gebucht war schon. „Aber sie haben ihn abgesagt.“Deding hat noch versucht, ihnen das auszureden, zu erklären, dass Langenargen ja gar nicht vom Badeverbot betroffen sei – zwecklos. „Den Leuten wurde so viel Angst gemacht.“