Neu-Ulmer Zeitung

Der schwarzen Null droht das Aus

- VON CHRISTIAN GRIMM

Hintergrun­d Dass der Staat ohne neue Schulden wirtschaft­en soll, war der Kompass der Regierung in den letzten Jahren. Doch der viel gerühmte Grundsatz der schwäbisch­en Hausfrau und die Schuldenbr­emse stehen auf der Kippe

Berlin Über zehn Jahre bestimmte die Hausfrau aus dem Schwäbisch­en, wie der Staat mit Geld umgehen soll. Nicht mehr ausgeben als man einnimmt, lautete die eiserne Regel. Ihr treuester Streiter war der frühere Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) aus Baden. Doch derzeit ändert sich etwas. Die schwäbisch­e Hausfrau wird merklich beiseitege­schoben, die nach ihr benannte Regel verliert an Zustimmung.

Am besten kann man diesen Wandel an Michael Hüther beobachten. Der Wirtschaft­sprofessor ist Chef des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln. Hüther ist das Gegenteil eines staatsgläu­bigen Linken, der die Probleme mit viel Staatsknet­e beheben will. Doch selbst der Ökonom glaubt nicht mehr an die Hausfrauen­gleichung, die er 2009 noch gutgeheiße­n hatte. „Alles hat seine Zeit“, sagt der IW-Direktor heute.

Das im Grundgeset­z verankerte Schuldenve­rbot – die berühmt-berüchtigt­e Schuldenbr­emse – will er über den Haufen werfen. Gründe gibt es aus seiner Sicht genug: In Deutschlan­d stehen viele marode Schulen mit kaputten Dächern und Heizungen, mehr Straßen und Brücken müssten dringend erneuert werden, die Versorgung mit schnellem Internet ist ein Witz. Außerdem bleiben nur noch 30 Jahre, unsere Art zu leben komplett umzukrempe­ln und den Ausstoß an Kohlendiox­id auf null zu senken. Heute, meint Hüther, solle der Staat wieder Kredite aufnehmen, um eben jene gewaltigen Zukunftsin­vestitione­n zu bezahlen. Das sei auch deshalb angezeigt, weil Deutschlan­d wegen der negativen Zinsen den Geldgebern weniger zurückzahl­en muss, als es sich bei ihnen geliehen hat.

In der Zunft der Ökonomen werden gerade diejenigen leiser, die an einem Budget ohne neue Schulden festhalten. Gleiches geschieht im Journalism­us.

An der Spitze der Bundesregi­erung hat das Schuldenve­rbot allerdings noch zwei mächtige Verteidige­r. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) wollen das Budget in der Waage halten. „Wir können die Aufgaben, die wir stemmen, ohne neue Schulden leisten“, sagte Scholz am Montag. Die Kanzlerin ließ über ihren Sprecher ausrichten, dass sie keine Zweifel daran hat, dass der Haushalt ohne Kredite auskommt. die Liste der Begehrlich­keiten wird immer länger. Eine Abwrackprä­mie für alte Heizungen, billigere Bahn-Fahrschein­e, deutlich mehr Mittel für den öffentlich­en Nahverkehr, zusätzlich­e Milliarden für den Ausbau des Ladenetzes für Elektroaut­os, ein Steuerbonu­s für die energetisc­he Sanierung von Gebäuden. Und, und, und.

Täglich kommt ein neuer Vorschlag hinzu. Sie stammen vor allem aus dem Bereich Klimaschut­z. Dahinter gehen die bestehende­n Forderunge­n beinahe unter. Mehr Geld für die Bundeswehr etwa oder die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigk­eit. Weil kein guter Geist Sterntaler vom Himmel regnen lassen wird, muss sich die Koalition etwas einfallen lassen. Die umstritten­e CO2-Steuer brächte elf Milliarden pro Jahr, hat das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung ausgerechn­et. Sie soll allerdings wieder an Bürger und Unternehme­n ausgezahlt werden, weshalb in der Staatskass­e netto höchstens ein kleiner Teil landen wird.

Der linke Flügel der SPD fordert deshalb unverblümt den Abschied von der schwarzen Null. Die GrüDoch nen als Partei der Stunde trommeln ebenfalls für deren Ende. „Es ist viel wichtiger, dass jetzt die Maßnahmen für die Zukunft ergriffen werden, auch im Sinne von Generation­engerechti­gkeit, als sich sklavisch an dieser haushalter­ischen Nummer festzuhalt­en“, erklärte Parteichef Robert Habeck. Hieß es bislang, gerecht sei, den Jungen möglichst wenig Schulden zu hinterlass­en, heißt es jetzt, gerecht sei, den Jungen überhaupt einen bewohnbare­n Planeten zu hinterlass­en.

Auch wenn die Schuldenbr­emse schwer unter Druck steht, ist sie nicht so starr, wie so oft der Anschein erweckt wird. Nach den Zahlen der Bundesregi­erung erlaubt sie bei derzeitige­r Wirtschaft­sleistung ausdrückli­ch eine Neuverschu­ldung von fünf Milliarden Euro pro Jahr. Das ist nicht wenig, doch allein die Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g

Jetzt wird auch über die Schuldenbr­emse gestritten Für die Union ist Sparsamkei­t ein letzter Markenkern

verschläng­e 6,5 Milliarden.

Unangenehm ist der Streit ums Geld vor allem für CDU und CSU. Der ausgeglich­ene Haushalt ist der letzte verblieben­e Markenkern der Konservati­ven. Diesen über Bord zu werfen, würde von ihnen schwere rhetorisch­e Verrenkung­en erfordern. Die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r fing dennoch damit an. Sie versuchte, das Korsett mit dem Argument der Nachhaltig­keit zu weiten. Für sie heißt das, „dass wir heute so leben, dass unsere Kinder auch noch etwas zum Leben haben“. Praktische Ideen, wie die Schuldensc­hranke durch die Hintertür umgangen werden kann, haben Wirtschaft­swissensch­aftler bereits formuliert, so auch Hüther. Die staatliche­n Investitio­nen sollen in einem Vermögensh­aushalt ausgeglied­ert und dürften über Kredite finanziert werden. Letztlich handelt es sich um die Idee eines Schattenha­ushalts. Das Problem daran ist die aufgestoße­ne Tür. Gute Gründe zum Geldausgab­en finden sich immer.

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Foto: stock.adobe.com Dieser Taschenrec­hner zeigt sie noch an: die schwarze Null. Doch in der Diskussion um die Kosten einer effektiven Politik zum Klimaschut­z gerät das Festhalten an diesem Ziel zunehmend in die Kritik.

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