Der schwarzen Null droht das Aus
Hintergrund Dass der Staat ohne neue Schulden wirtschaften soll, war der Kompass der Regierung in den letzten Jahren. Doch der viel gerühmte Grundsatz der schwäbischen Hausfrau und die Schuldenbremse stehen auf der Kippe
Berlin Über zehn Jahre bestimmte die Hausfrau aus dem Schwäbischen, wie der Staat mit Geld umgehen soll. Nicht mehr ausgeben als man einnimmt, lautete die eiserne Regel. Ihr treuester Streiter war der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus Baden. Doch derzeit ändert sich etwas. Die schwäbische Hausfrau wird merklich beiseitegeschoben, die nach ihr benannte Regel verliert an Zustimmung.
Am besten kann man diesen Wandel an Michael Hüther beobachten. Der Wirtschaftsprofessor ist Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln. Hüther ist das Gegenteil eines staatsgläubigen Linken, der die Probleme mit viel Staatsknete beheben will. Doch selbst der Ökonom glaubt nicht mehr an die Hausfrauengleichung, die er 2009 noch gutgeheißen hatte. „Alles hat seine Zeit“, sagt der IW-Direktor heute.
Das im Grundgesetz verankerte Schuldenverbot – die berühmt-berüchtigte Schuldenbremse – will er über den Haufen werfen. Gründe gibt es aus seiner Sicht genug: In Deutschland stehen viele marode Schulen mit kaputten Dächern und Heizungen, mehr Straßen und Brücken müssten dringend erneuert werden, die Versorgung mit schnellem Internet ist ein Witz. Außerdem bleiben nur noch 30 Jahre, unsere Art zu leben komplett umzukrempeln und den Ausstoß an Kohlendioxid auf null zu senken. Heute, meint Hüther, solle der Staat wieder Kredite aufnehmen, um eben jene gewaltigen Zukunftsinvestitionen zu bezahlen. Das sei auch deshalb angezeigt, weil Deutschland wegen der negativen Zinsen den Geldgebern weniger zurückzahlen muss, als es sich bei ihnen geliehen hat.
In der Zunft der Ökonomen werden gerade diejenigen leiser, die an einem Budget ohne neue Schulden festhalten. Gleiches geschieht im Journalismus.
An der Spitze der Bundesregierung hat das Schuldenverbot allerdings noch zwei mächtige Verteidiger. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wollen das Budget in der Waage halten. „Wir können die Aufgaben, die wir stemmen, ohne neue Schulden leisten“, sagte Scholz am Montag. Die Kanzlerin ließ über ihren Sprecher ausrichten, dass sie keine Zweifel daran hat, dass der Haushalt ohne Kredite auskommt. die Liste der Begehrlichkeiten wird immer länger. Eine Abwrackprämie für alte Heizungen, billigere Bahn-Fahrscheine, deutlich mehr Mittel für den öffentlichen Nahverkehr, zusätzliche Milliarden für den Ausbau des Ladenetzes für Elektroautos, ein Steuerbonus für die energetische Sanierung von Gebäuden. Und, und, und.
Täglich kommt ein neuer Vorschlag hinzu. Sie stammen vor allem aus dem Bereich Klimaschutz. Dahinter gehen die bestehenden Forderungen beinahe unter. Mehr Geld für die Bundeswehr etwa oder die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Weil kein guter Geist Sterntaler vom Himmel regnen lassen wird, muss sich die Koalition etwas einfallen lassen. Die umstrittene CO2-Steuer brächte elf Milliarden pro Jahr, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet. Sie soll allerdings wieder an Bürger und Unternehmen ausgezahlt werden, weshalb in der Staatskasse netto höchstens ein kleiner Teil landen wird.
Der linke Flügel der SPD fordert deshalb unverblümt den Abschied von der schwarzen Null. Die GrüDoch nen als Partei der Stunde trommeln ebenfalls für deren Ende. „Es ist viel wichtiger, dass jetzt die Maßnahmen für die Zukunft ergriffen werden, auch im Sinne von Generationengerechtigkeit, als sich sklavisch an dieser haushalterischen Nummer festzuhalten“, erklärte Parteichef Robert Habeck. Hieß es bislang, gerecht sei, den Jungen möglichst wenig Schulden zu hinterlassen, heißt es jetzt, gerecht sei, den Jungen überhaupt einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen.
Auch wenn die Schuldenbremse schwer unter Druck steht, ist sie nicht so starr, wie so oft der Anschein erweckt wird. Nach den Zahlen der Bundesregierung erlaubt sie bei derzeitiger Wirtschaftsleistung ausdrücklich eine Neuverschuldung von fünf Milliarden Euro pro Jahr. Das ist nicht wenig, doch allein die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung
Jetzt wird auch über die Schuldenbremse gestritten Für die Union ist Sparsamkeit ein letzter Markenkern
verschlänge 6,5 Milliarden.
Unangenehm ist der Streit ums Geld vor allem für CDU und CSU. Der ausgeglichene Haushalt ist der letzte verbliebene Markenkern der Konservativen. Diesen über Bord zu werfen, würde von ihnen schwere rhetorische Verrenkungen erfordern. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer fing dennoch damit an. Sie versuchte, das Korsett mit dem Argument der Nachhaltigkeit zu weiten. Für sie heißt das, „dass wir heute so leben, dass unsere Kinder auch noch etwas zum Leben haben“. Praktische Ideen, wie die Schuldenschranke durch die Hintertür umgangen werden kann, haben Wirtschaftswissenschaftler bereits formuliert, so auch Hüther. Die staatlichen Investitionen sollen in einem Vermögenshaushalt ausgegliedert und dürften über Kredite finanziert werden. Letztlich handelt es sich um die Idee eines Schattenhaushalts. Das Problem daran ist die aufgestoßene Tür. Gute Gründe zum Geldausgaben finden sich immer.