Sie hat sich bemüht
Bürgerfragen Kanzlerin Angela Merkel ist aus dem Urlaub zurück und wird bei einer Veranstaltung in Stralsund heftig kritisiert
Berlin/Stralsund Nach nur 20 Minuten kam es für Angela Merkel ganz dicke. Die Kanzlerin hatte sich für ihren ersten öffentlichen Termin nach ihrem Urlaub zu einer Debatte mit Lesern der in Stralsund angesagt – eigentlich ein Heimspiel für die CDU-Politikerin. Hier hat sie ihren Wahlkreis, hier wird sie gewählt, hier hatte sie am Nachmittag noch ihren Patenpinguin „Alexandra“besucht. Doch ein Teilnehmer bringt die schöne Fassade zum Einsturz: Er wirft Merkel Rechtsbruch in Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug vor, schlimmer noch: Merkel habe Deutschland in die Diktatur geführt, sagt er.
Das ist starker Tobak, im Veranstaltungssaal des Stralsunder Ozeanums wird es schlagartig still. Merkel, die nach ihrem Urlaub nicht wirklich erholt aussieht und die offenbar von einer Erkältung geplagt wird, kontert mit dem coolen, ruhigen Tonfall, der ihr in solchen Fällen von offensichtlicher Provokation zu Eigen geworden ist. Dass der Fragende hier so offen reden dürfe, spreche ja schon gegen seine These von einer Diktatur, sagt die Kanzlerin. Sie habe auch nicht den Eindruck, dass die AfD im Bundestag ein Blatt vor den Mund nehmen müsse.
Den Vorwurf, sie habe Rechtsbruch begangen, als sie im Herbst 2015 tausende Flüchtlinge ins Land ließ, weist Merkel zurück. Es ist ein Vorwurf, der sich hartnäckig hält, der gerade wieder von CDU-Politikern wie dem ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen durchs Land getragen wird. Und es ist ein Vorwurf, der im Osten gerne weiterverbreitet wird – er könnte bei den anstehenden Landtagswahlen eine entscheidende Rolle spielen, er könnte der AfD zum Sieg verhelfen. Merkel weicht jedoch nicht zurück: Es sei richtig gewesen, „dass wir in einer humanitären Ausnahmesituation geholfen haben“.
Neben den lauten Sätzen ist auch Zeit für stille Bekenntnisse. Nach dem Tod ihrer Mutter wird Merkel gefragt, nach ihren öffentlichen Zitteranfällen. Wie sie damit umgehe, will eine Frau aus dem Publikum wissen. Die Regierungschefin hält einen kurzen Augenblick inne. Es ist einer dieser Momente, in dem man ihr abnimmt, dass sie tatsächlich über eine Antwort erst einmal nachdenken will. Als Politikerin, sagt sie dann, sei sie eine Person des öffentlichen Raums. „Da werden andere Maßstäbe angelegt“, erklärt sie, das gelte zum Beispiel fürs Fotografieren. Darüber hinaus gebe es aber auch ein Interesse, „wenn der Vater stirbt oder die Mutter stirbt oder ich krank bin“, sagt die Kanzlerin. Sie verstehe dieses Interesse, deshalb nehme sie sich regelmäßig in die Pflicht, sich daraufhin zu prüfen, ob sie ihren Aufgaben nachkommen könne. Trotzdem, sagt die 65-Jährige, habe sie sich immer Räume geschaffen, „in denen man auch privat sein kann“. Dazu gehöre „ein Raum, in dem ich traurig sein kann, ohne dass darüber Bericht erstattet werden muss“.
Merkel arbeitet sich auch an den üblichen Politik-Themen ab. Ein Konjunkturpaket will sie nicht, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato beurteilt sie positiv.
Aber die meiste Zeit geht es den Fragenden um den Menschen Merkel. Einer will wissen, ob sie tatsächlich 2021 mit der Politik aufhört? Ja, das wird sie, auch wenn sie nicht ausschließt, doch noch die ein oder andere Rede zu halten, „wenn mich jemand einlädt“. Als Tierliebhaberin outet sich die Regierungschefin noch, vor allem dann, wenn man diese Tiere in der Wildnis oder der freien Landschaft beobachten kann. Merkels Lieblingstiere sind übrigens Hasen, Rehe, Vögel, Kraniche – und Erdkröten.
Ganz zum Schluss will dann noch jemand wissen, was denn einst über die Kanzlerin in den Geschichtsbüchern stehen soll? Da muss Merkel dann wieder ein wenig nachdenken. Die Antwort lautet: „Sie hat sich bemüht.“