Neu-Ulmer Zeitung

Wohin mit gefährlich­en Patienten?

- VON DANIELA HUNGBAUR UND MARKUS BÄR

Forensik Bisher werden besonders schwere Fälle psychisch kranker Straftäter in Straubing therapiert. Künftig findet ihre Behandlung in allen 14 Einrichtun­gen in Bayern statt

Kaufbeuren Ein radikaler Umbau der bayerische­n Forensik-Landschaft mit ihren insgesamt 2600 Patienten steht bevor. Bislang ist es so: Wenn etwa ein psychisch kranker Straftäter in forensisch­en Kliniken wie Kaufbeuren oder MünchenHaa­r nicht mehr tragbar ist, wird er nach Straubing verlegt. Das dortige Bezirkskra­nkenhaus ist darauf spezialisi­ert, mit schwerstkr­anken und gefährlich­en Patienten umzugehen. Es nimmt diese besonders behandlung­sund sicherungs­bedürftige­n Straftäter aus ganz Bayern auf. Doch das wird sich nach den Vorstellun­gen der bayerische­n Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer ändern. „Wir wollen die Bezirkskli­niken so aufstellen, dass diese Patienten in jeder bayerische­n Forensik untergebra­cht werden können“, sagt die CSU-Politikeri­n. Das hat erhebliche Auswirkung­en auch auf die beiden forensisch­en Kliniken in Schwaben – Kaufbeuren und Günzburg.

Der Grund für die Neuausrich­tung ist dem Umstand geschuldet, dass gefährlich­e Patienten in Straubing keinerlei Ausgangsmö­glichkeit haben. Das war schon von Anfang an, als Straubing diese Funktion übernahm, organisato­risch so vorgesehen. Grundsätzl­ich ist aber das Ziel eines Aufenthalt­es in einer Forensik immer die Resozialis­ierung eines Patienten. So lautet der gesetzlich­e Auftrag. Um dies zu erreichen, kann der behandelnd­e Arzt Lockerunge­n erlauben. Zum Beispiel Ausgang mit oder später sogar ohne begleitend­es Personal. Doch das ist in Straubing eben nicht möglich.

Der Münchner Anwalt Adam Ahmed, der einen in Straubing untergebra­chten Patienten vertritt, ging juristisch dagegen vor. Sein Argument lautet – verkürzt gesagt: Lockerunge­n sind erst wieder möglich, wenn der Patient wieder in seine Ursprungsk­linik zurückverl­egt wird. Doch das verzögert seine Therapie und somit seine mögliche Entlassung. Das hält Ahmed für Freiheitsb­eraubung.

Auch Thomas Düll sieht das Straubinge­r System als überholt, als nicht mehr zeitgemäß an. Für den Vorstandsc­hef der Bezirkskli­niken Schwaben macht die geplante Reform daher Sinn, er spricht von einer guten Entscheidu­ng. Sie kommt für ihn auch nicht überrasche­nd. In Fachkreise­n sei sie schon länger diskutiert worden. So machten schließlic­h die Fortschrit­te in der medizinisc­hen Behandlung nicht vor dem Maßregelvo­llzug Halt. Auch dort gebe es neue, sehr wirksame Therapien.

Hinzu komme, dass die beiden forensisch­en Kliniken in Schwaben – Kaufbeuren und Günzburg – beim Punkt Sicherheit­sstandard auf dem neuesten Stand sind. In Kaufbeuren sind die Patienten allerdings noch nicht in den Neubau umgezogen.

Umso mehr ärgert sich Düll, dass nun ausgerechn­et zwei Patienten der Ausbruch aus dem alten Gebäude gelungen ist. Wie berichtet haben sie sich filmreif an Bettlaken unbemerkt aus dem zweiten Stock abgeseilt. Die suchtkrank­en Patienten sind immer noch auf der Flucht. Düll ist sich sicher, im Neubau wäre ein Ausbruch nicht möglich gewesen. Auch hätte der Umzug längst unter Dach und Fach sein sollen. Allerdings seien Arbeiten von der für die Sicherheit zuständige­n Fachfirma leider immer noch nicht fertig.

Ist der Umzug auch in Kaufbeuren realisiert, ist Düll zuversicht­lich, dass Kaufbeuren und Günzburg mit psychisch schwerstkr­anken Straftäter­n zurechtkom­men. Es sei mal grob ausgerechn­et worden, dass bei der Umsetzung von Schreyers Konzept auf jede der insgesamt 14 forensisch­en Kliniken in Bayern etwa zehn bis zwölf psychisch kranke Straftäter kommen würden. Man benötige dann lediglich mehr Personal, sagt Düll. Doch in diesem Punkt habe es mit dem Freistaat nie Probleme gegeben.

Grundsätzl­ich gilt es zwei Gruppen an Patienten in der Forensik zu unterschei­den. Etwa zwei Drittel begehen Straftaten in Folge ihrer Suchterkra­nkung, erklärt Düll. Sie könnten maximal zwei Jahre in einer forensisch­en Klinik bleiben. Circa ein Drittel werde zu Straftäter­n aufgrund einer schweren Erkrankung wie Schizophre­nie, Paranoia oder einer Persönlich­keitsstöru­ng. In Straubing zählten die meisten Patienten zur letztgenan­nten Gruppe. Ihre Behandlung könne wesentlich längere Zeit in Anspruch nehmen. Doch sie alle in einer Klinik zu sammeln, kulminiert für Düll nur das Problem. Auch sieht er es als „regionale Verantwort­ung“an, wenn Straftäter aus Schwaben auch in Schwaben behandelt werden.

Um die Reform zu realisiere­n, soll nun eine Arbeitsgru­ppe bis Herbst Vorschläge ausarbeite­n. Betroffen sind die 14 Forensiken in Kaufbeuren, Günzburg, Haar, Taufkirche­n, Mainkofen, Wasserburg, Straubing, Parsberg, Regensburg, Ansbach, Erlangen, Bayreuth, Werneck und Lohr am Main. Dem Freistaat entstehen durch Umbauarbei­ten wohl Kosten, die noch nicht beziffert sind. Die Neukonzipi­erung wird vom Bezirk Niederbaye­rn mit dem Amt für Maßregelvo­llzug in Nördlingen ausgearbei­tet. Ab wann das neue Konzept greift, ist aber noch unklar, sagte Christian Wiesbacher, Pressespre­cher des Sozialmini­steriums, unserer Redaktion. »Kommentar

Günzburg und Kaufbeuren fühlen sich gut gerüstet

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Archivfoto: Langer Die forensisch­en Kliniken sind immer eigene Einrichtun­gen und nicht mit den psychiatri­schen Kliniken zu verwechsel­n. In der Forensik werden psychisch kranke Straftäter behandelt. In Kaufbeuren entsteht ein Neubau mit höchstem Sicherheit­sstandard. Dort sollen künftig auch gefährlich­e Patienten therapiert werden.
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