Neu-Ulmer Zeitung

Legende am Lenkrad

- VON RUDOLF BÖGEL

Reportage Vom Mercedes 300 SL bis zum Fiat 500 Sanitätsau­to mit Blaulicht: Das ist die Ennstal Classic, die wichtigste Oldtimer-Rallye nach der Mille Miglia. Unser Autor durfte in einem nur zwei Mal gebauten Porsche mitfahren. Am Steuer: „Strietzel“Stuck

Er ist ein Schelm, ein Schalk, ein Lausbub. Wahlweise hört er auf Strietzel oder Stucki. Und dass er langsam auf die 70 zugeht, merkt man ihm überhaupt nicht an. „Das macht immer noch Spaß, das hört hoffentlic­h nicht auf“, sagt er, als er im Tunnel einen Gang runterscha­ltet und sich über das Brüllen der Auspuffanl­age und die Fehlzündun­gen freut. „Man kann dieses Auto sogar fahren hören“.

Man hört: Autofahren ist HansJoachi­m Stucks große Leidenscha­ft. Ehemaliger Formel-1-Rennfahrer, Gewinner der 24 Stunden von Le Mans, deutscher Tourenwage­nMeister. So viele Erfolge haben nicht so viele deutsche Rennfahrer aufzuweise­n. Seit 2011 ist er für den Volkswagen-Konzern tätig. „Hans Joachim Stuck, Konzern Kommunikat­ion, Repräsenta­nt Motorsport“steht auf seiner Visitenkar­te. Man könnte auch sagen: Der Strietzel ist Markenbots­chafter.

Und heute gilt seine Botschaft der Vergangenh­eit. Einer PorscheRen­nlegende. Der 356 B 2000 GS Carrera GT ist auch besser unter seinem Spitznamen „Dreikantsc­haber“bekannt – wegen seiner keilförmig­en Nase und dem abrupten Abbruch der Dachlinie! Der für Renneinsät­ze modifizier­te 356er wiegt dank Alu-Leichtbauw­eise 195 Kilogramm weniger als das Original. Und damit nur 820 Kilo. Das macht den GT (Baujahr 1963) pfeilschne­ll. 155 PS aus einem ZweiliterV­ierzylinde­r-Boxermotor beschleuni­gen den Rennwagen auf 235 Stundenkil­ometer.

Anno 1963 schaffte Pilot Herbert Linge mit diesem Porsche als erster GT-Fahrer überhaupt die Nürburgrin­g-Nordschlei­fe in weniger als zehn Minuten.

Und jetzt ist die Legende wieder auf der Straße. „Magst auch ein Polster“fragt Stucki kurz vor dem Start zur Ennstal Classic in Gröbming, bei der Fahrer aus 18 Nationen antreten. Und deutet auf ein grünes Sitzkissen. Nein danke, bloß keine Schwäche zeigen, wenn man schon mit einer der größten deutschen Rennfahrer in einem Auto sitzt. Was heißt hier sitzt, man liegt mehr. Allerdings ziemlich hart. Wenn das bloß mal kein Fehler war. Das mit dem Kissen.

Mit der Startnumme­r 128 gehen wir ins Rennen. Was heißt Rennen, hier geht es mehr ums Ankommen und dann sind da noch die ganzen Sonderprüf­ungen. Einen Durchschni­tt von Tempo 40 halten – Höchststra­fe für einen ehemaligen Formel-1-Piloten. Oder genau auf die Sekunde über eine Ziellinie fahren. „Am besten, du zählst die letzten 30 Sekunden runter, den Rest mach ich“, sagt Stuck. Und tatsächlic­h rollen wir mit der letzten Sekunde über das Ziel. Wow, der Mann kann ja nicht nur schnell sein.

Die Legende Stuck ist herrlich unkomplizi­ert. Er ist sofort beim Du, man ratscht, sofern es der an ein kleines Kanonenroh­r erinnernde Monsteraus­puff erlaubt, und irgendwie hat man nach einer halben Stunde das Gefühl, sich schon lange zu kennen. Zwei Bayern untereinan­der halt. Tankstopp, kalte Cola, Stucki holt sich eine Tüte Gummibärch­en. Dann geht es weiter durch das Gesäuse, eine atemberaub­ende Kalkalpen-Landschaft. Mit Krach und Karamba. Bei Stuck ist man gerne Beifahrer. Die Kurven nimmt er so exakt wie ein Chirurg das Messer vor dem entscheide­nden Schnitt. Von Stuck stammt der Satz: Jede Kurve hat einen Lenkwinkel. Also zirkelt er in die nächste RechtsLink­s-Kombinatio­n. Das fühlt sich gut an, das ist Studium ganz nah am Objekt. Und ja, es stimmt. Rein in die Kurve, Lenken, raus aus der Kurve, Gas geben. So einfach kann Autofahren sein.

Und so vergehen die Stunden wie im sprichwört­lichen Flug. Gelegentli­ch machen wir einen Stopp. Zum Beispiel auf dem Hauptplatz von Steyr. Sobald Hans Joachim Stuck aussteigt, wird er von Fans umringt. Von Jung und Alt, von Frau und Mann. Er badet in der Menge. Hier ein Autogramm, da ein Selfie, hier ein Foto, da ein Video. Stück für Stück kämpft sich Stuck durch die Menge, um einen Schluck Kaffee zu bekommen, bevor es weitergeht auf dem 451 Kilometer langen Teilstück, das zu bewältigen ist.

Hier in Steyr, kurz vor dem Einsteigen, vermeldet das „Popometer“(O-Ton Stuck), dass es doch nicht mehr geht. „Steht das Angebot mit dem Polster noch“, fragt der Journalist und verweist auf das malträtier­te Hinterteil. Ein kurzes Grinsen, dann schiebt Stuck sein zweites Sitzkissen herüber. Brüllend startet der Renn-Carrera wieder auf die Straßen. Porsche-Feeling pur. Und das mit dem einen Lenkwinkel für jede Kurve, das machen wir künftig auch so. Mit dem Ausgang des Rennens haben wir übrigens nur wenig zu tun. Was den Fahrspaß angeht, hätten wir mit Sicherheit aber einen Platz auf dem Treppchen verdient gehabt.

Im Schnitt Tempo 40 halten – Höchststra­fe für Rennfahrer

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Fotos: Porsche Tolle Oldtimer vor traumhafte­r Kulisse – das ist die Ennstal Classic. Im Bild der Porsche 356 B 2000 GS Carrera GT, auch „Dreikantsc­haber“genannt. Pilotiert wurde der Wagen von Hans-Joachim Stuck, mit unserem Autor als Beifahrer.
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Wo Hans-Joachim Stuck (links) aussteigt, ist er sofort von Fans umringt.

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