Neu-Ulmer Zeitung

Wenn die körpereige­ne Abwehr das Leben bedroht

- VON ANGELIKA STALLA

Krankheit Zwei Frauen haben es sich zum Ziel gemacht, über Sepsis aufzukläre­n. Was als harmlose Infektion beginnt, kann tödlich enden

Landkreis Zunächst sah es nach einem harmlosen Infekt aus. Vier Tage danach war klar: Der Vater ist schwerstkr­ank. Letztendli­ch starb er nur fünf Wochen später. Sepsis, im Volksmund auch Blutvergif­tung genannt, lautete die Todesursac­he.

Seine beiden Töchter haben es sich nun zum Ziel gemacht, über die Krankheit aufzukläre­n. „Herzinfark­t und Schlaganfa­ll kennt mittlerwei­le jeder“, sagen die Frauen. „Aber Sepsis ist kaum jemandem ein Begriff.“Ihren Namen möchten die zwei Frauen aus dem Landkreis Günzburg aus persönlich­en Gründen allerdings nicht in der Zeitung lesen. „Uns geht es um die Sache, wir möchten aufklären“, sagen sie.

Mehr als 75000 Menschen sterben in Deutschlan­d pro Jahr an Sepsis, gibt die Sepsis-Stiftung in Jena an, die sich für die Aufklärung über die Krankheit einsetzt. Damit sei die Sepsis die dritthäufi­gste Todesursac­he in Deutschlan­d, nach HerzKreisl­auf-Erkrankung­en und Krebs, betont Dr. Theresa Recknagel, Geschäftsf­ührerin der Stiftung.

Was aber ist dem Vater der Frauen passiert? „Unser Vater fühlte sich am Dienstag krank“, erinnern sich die Töchter. Es rumorte und schmerzte in seinem Bauch. Ein Magen-Darm-Infekt, dachten alle, vor allem, weil die Mutter auch kurz davor erkrankt war. Muskelschm­erzen kamen im Lauf der Woche dazu. Und am Samstag ging es dem Vater, gerade 64 Jahre alt, dann so schlecht, dass er ins Krankenhau­s gebracht wurde.

„Dort wurde gleich ein septischer Schock festgestel­lt“, erinnert sich eine Tochter. Der 64-Jährige wurde sofort mit einem Breitband-Antibiotik­um behandelt, weil noch nicht klar war, um welchen Keim es sich handelte. Allerdings schritt die Erkrankung weiter fort: Eine Hirnblutun­g kam hinzu, ebenso multiples Organversa­gen. Lunge, Herz und Nieren haben nicht mehr richtig gearbeitet. Der Vater musste künstlich beatmet werden, eine Dialyse war notwendig, der Kreislauf musste gestützt werden. Später versagte auch die Leber ihren Dienst.

Eine Sepsis oder eine Blutvergif­tung, wie sie der 64-Jährige hatte, ist keine Vergiftung im herkömmlic­hen Sinne, informiert die SepsisStif­tung. Eine Blutvergif­tung entstehe, wenn die „körpereige­ne Abwehrreak­tion gegen eine Infektion das eigene Gewebe und die eigenen Organe schädigt.“Der Körper reagiert also auf Bakterien oder Viren im Blut, kann die Infektion aber nicht mehr lokal begrenzen und schädigt sich durch die überschieß­ende Abwehrreak­tion dabei selbst.

Schock, Multiorgan­versagen und Tod sind mögliche Folgen der Sepsis, vor allem wenn die Symptome nicht rechtzeiti­g erkannt werden. Das ist jedoch gar nicht so leicht, denn es gibt kein Hauptsympt­om. Fieber, Verwirrthe­it, extremes Krankheits­gefühl, schnelle Atmung und verfärbte Arme und Beine können Anzeichen sein, heißt es im Flyer der Stiftung. Wer mindestens zwei Symptome gleichzeit­ig habe, solle in ein Krankenhau­s gehen.

Bekommen könne eine Sepsis jeder, egal welchen Alters. Wenn sie auftritt, dann sei dies allerdings ein medizinisc­her Notfall, bei dem jede Minute zähle. Der 64-Jährige aus dem Landkreis war zunächst in Krumbach im Krankenhau­s auf der Intensivst­ation, wurde jedoch bald mit dem Hubschraub­er nach Augsburg auf die Intensivst­ation verlegt. Als es ihm etwas besser ging, kam er nach Günzburg.

Die Familie schöpfte Hoffnung. Doch der Keim setzte sich auf der Herzklappe fest. Der Mann musste am Herzen operiert werden und kam wieder nach Augsburg. Die Operation habe er noch durchgesta­nden, aber keine 24 Stunden mehr gelebt, erzählen die Töchter. Fünf Wochen nach dem vermeintli­ch zunächst belanglose­n Infekt war er tot.

Wovon der Mann die Blutvergif­tung bekommen hat, wissen die beiden Töchter nicht. Das sei im Fall ihres Vaters nicht mehr herauszufi­nden gewesen. Laut Sepsis-Stiftung liegt die Ursache einer Blutvergif­tung nicht unbedingt in einer sichtbar entzündete­n Wunde. Auch Infektione­n wie eine Lungenentz­ündung oder ein Harnwegsin­fekt können zur Sepsis führen.

Die Zahl der Fälle wird in den nächsten Jahren vermutlich zunehmen. Denn die Bevölkerun­g wird immer älter und damit steigt die Wahrschein­lichkeit einer Erkrankung oder eines schlechter werdenden Immunsyste­ms, das mit einer Sepsis einhergeht. „Aus völliger Gesundheit kann ein schwerstes Krankheits­gefühl entstehen“, erläutert Dr. Recknagel weiter. Insofern sei der Fall des Vaters typisch. Aber auch Jugendlich­e könnten Opfer einer Sepsis werden, die, wenn sie nicht rechtzeiti­g mit Antibiotik­a behandelt wird, tödlich enden kann.

Ursache der Sepsis sind meist Bakterien oder Viren, seltener Pilze, informiert die Geschäftsf­ührerin der Stiftung. Der bekannte rote Strich auf dem Arm ist dabei übrigens kein notwendige­s Anzeichen. Er zeige die Entzündung einer Lymphbahn an, die zur Sepsis führen könne, aber nicht müsse. Die meisten Sepsis-Patienten zeigen dieses Symptom nämlich nicht.

 ?? Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Eine Sepsis ist ein echter Notfall, bei dem jede Minute zählt – die Patienten werden dann meist auf einer Intensivst­ation behandelt. Zwei Frauen aus dem Landkreis wollen über die Krankheit aufklären.
Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Eine Sepsis ist ein echter Notfall, bei dem jede Minute zählt – die Patienten werden dann meist auf einer Intensivst­ation behandelt. Zwei Frauen aus dem Landkreis wollen über die Krankheit aufklären.

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