Das neue Gesicht der Proteste gegen Putin
Porträt Ljubow Sobol hat sich binnen kürzester Zeit einen Namen als Kämpferin gegen Korruption und Unterdrückung gemacht. Kann sie die zerstrittene Opposition einigen?
Sie trägt die Liebe im Namen – doch für Präsident Wladimir Putin hat sie nur Verachtung übrig: Die russische Oppositionspolitikerin Ljubow (zu Deutsch: Liebe) Sobol hat sich seit Beginn der Demonstrationen gegen die Nichtzulassung von 57 Kandidaten für die Kommunalwahlen in der Hauptstadt – darunter sie selbst – schlagartig einen Namen gemacht. Je schneller die 31-Jährige zu einer zentralen Figur der Proteste aufstieg, desto öfter wurde sie verhaftet, drangsaliert und zu Geldstrafen verurteilt. Was die resoluten Sicherheitskräfte nicht bedachten: Jeder Akt der Einschüchterung mehrt den Ruf Sobols als furchtloser Kämpferin gegen Korruption und Unterdrückung.
Die blonde Juristin mit der markanten dunklen Hornbrille begann ihr Jurastudium 2006. Nebenbei arbeitete
sie in Moskau als Sekretärin an einem Bezirksgericht. Doch offensichtlich entwickelte sie bereits zu dieser Zeit eine wachsende Abneigung gegen das korrupte und staatshörige juristische System Russlands: Kaum hatte sie ihr Diplom 2011 in der Tasche, schloss sie sich dem profilierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny an. Mit der ihr eigenen Beharrlichkeit begann sie an seiner Seite ihren Kampf gegen die Veruntreuung von Staatsgeldern. Nawalny gilt, seit er 2013 in Moskau trotz staatlicher Repressionen stolze 27
Prozent bei den Bürgermeisterwahlen erreichte, als Staatsfeind Nummer eins. Entsprechend oft sitzt er – wie auch jetzt wieder – hinter Gittern. Doch Sobol ist zur Stelle. Elegant gekleidet, doch jederzeit bereit, den Polizisten, die sie in den vergitterten Bus zerren, energisch Kontra zu geben. Ihr Trumpf: Sie spielt gekonnt mit den sozialen Medien. Ihre LiveVideoauftritte, in denen sie korrupte Behörden attackiert, über ihren Hungerstreik spricht oder neue Aktionen ankündigt, kursieren nicht nur in Oppositionskreisen. Ihr Mut ist ansteckend, wenn die verheiratete Mutter einer Tochter auf Twitter vor einer nicht genehmigten Demonstration versichert: „Noch einmal: Ich habe keine Angst… Ich gehe hin.“Dabei werden die Gründe, Angst zu haben, von Tag zu Tag zahlreicher.
Denn die harte Linie der Behörden gegen sie zeigt, dass ihre mächtigen Gegner sie ernst nehmen – und zunehmend nervös werden, weil die Proteste der meist jungen Russen trotz brutaler Polizeigewalt und Massenverhaftungen nicht abebben.
Ob Sobol tatsächlich die chronisch zerstrittene russische Opposition einigen kann, ist allerdings völlig offen. Noch ist zudem unklar, wie weit ihre Ambitionen gehen. Ist ihre zur Schau getragene, fast schüchterne Bescheidenheit authentisch, oder ist sie bereits entschlossen, Herausforderin der Nomenklatura zu werden. So weit dürften die meisten der Demonstranten auf den sommerlichen Straßen Moskaus gar nicht denken. Sie zeigen ihre ganze Zuneigung in einem Sprechchor, der immer populärer wird: „Für die Liebe“, skandieren sie rhythmisch. Simon Kaminski