Neu-Ulmer Zeitung

So kommen Reh und Sau sicher über die A8

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Serie (4) Beim Ausbau der Autobahn sind zwei Grünbrücke­n entstanden. Wie sie funktionie­ren, wie die Tiere zu den Betonbauwe­rken finden sollen und warum man sich sogar einen Beitrag zum Artenschut­z erwartet

Region 2500 Rehe, 750 Hasen, 500 Wildschwei­ne, Füchse, Dachse, Marder und sogar ein Schaf: Sie alle haben seit Januar 2018 die A8-Grünbrücke im Scheppache­r Forst überquert. Auf dem Millionenb­auwerk sind zwölf Kameras installier­t, die jede Bewegung registrier­en. Und dann auslösen – so sind in eineinhalb Jahren rund 40000 Bilder entstanden, die ein Biologe regelmäßig auswertet. Das Ziel: Die Autobahndi­rektion Südbayern will herausfind­en, wie die Grünbrücke von Tieren angenommen wird. Vielleicht gelingt auch die eine oder andere sensatione­lle Aufnahme.

Der aus Osteuropa eingewande­rte Marderhund zum Beispiel wurde noch nicht fotografie­rt, auch nicht Waschbären, die scheuen Wildkatzen oder ein Wolf auf Wanderscha­ft. Dass er durchaus in den Wäldern Mittelschw­abens anzutreffe­n wäre, steht seit Mai fest: Damals hatte ein Tier nachweisli­ch in Biberbach im Landkreis Augsburg ein Lamm gerissen. Wissenscha­ftler untersucht­en die Spuren und fanden heraus: Das Tier kann der zentraleur­opäischen Flachlandp­opulation zugeordnet werden. Der Wolf kam also vermutlich aus dem Norden.

Aber wo wollte er hin? Weiter in den Süden? Und vor allem: Würde sich das scheue Tier über eine der beiden Grünbrücke­n im Scheppache­r Forst und bei Adelsried überhaupt trauen?

Damit die Tiere nachts vom Schweinwer­ferlicht von den Fahrzeugen auf der A8 nicht irritiert werden, wurden Sichtschut­zzäune angebracht. Penibel wurden außerdem Bepflanzun­g und Größe geregelt: Der Korridor, auf dem sich auch ein Forstweg befindet, soll sich bestmöglic­h dem natürliche­n Umfeld anpassen. Irgendwann einmal soll der Grünstreif­en an einen kleinen Wald erinnern. Für den Untergrund wurde sogar eine spezielle Erde auf die Betonkonst­ruktion geschoben – Humus, Schotter und Sand in der richtigen Mischung.

Beim sechsspuri­gen Ausbau wurde festgelegt, an welchen Stellen die

jeweils knapp eine Million Euro teuren und 54 Meter breiten Brücken gebaut werden müssen. Nämlich genau dort, wo mit einem erhöhten Wildwechse­l zu rechnen ist. Aber wie finden Tiere die Grünbrücke­n überhaupt? Ganz einfach: Die Wildschutz­zäune haben eine leichte Trichterfo­rm, welche die Tiere an die Übergänge führen. Mit den Brücken wird ein genetische­r Austausch ermöglicht. Und: Population­en von gefährdete­n Arten lassen sich auf Dauer erhalten. Über ein Graben- und Bachsystem im Staatswald – ergänzt durch Feucht

– sollen außerdem Biotopachs­en entstehen oder reaktivier­t werden. An ihnen können sich die Tiere orientiere­n und zur Grünbrücke finden. So wird der Ausbau der A 8 sogar zur Chance für den Artenschut­z, weil vor Jahrzehnte­n zerschnitt­ene Lebensräum­e, Waldgebiet­e und zerstörte Wanderstru­kturen wieder vernetzt werden. „Die Grünbrücke­n haben ihre Berechtigu­ng“, sagt Sabine Zulauf vom Fachbereic­h Naturschut­z und Landschaft­spflege bei der Autobahndi­rektion. Die aktuellen Zahlen würden es belegen: „Sie werden anbeiden genommen.“Das bestätigt Biologe Maximilian Jakobus: Der Fahrweg, der über sie führt, schrecke Reh, Hase und Co. auch nicht ab. Nach dem Monitoring soll der Wildwechse­l für weitere drei Jahre untersucht werden. Dann geht es um Auswirkung­en des Windparks an der A8 im Umfeld der Grünbrücke.

Um an neue Erfahrungs­werte in Sachen Naturschut­z an der A8 zu gelangen, gibt es übrigens eine weitere Untersuchu­ng: Mit einem sogenannte­n Batcorder wird im Scheppache­r Forst herausgefu­nden, welche Fledermaus-Arten in dem dichbiotop­e ten Waldgebiet vorkommen und in welchen Höhen sie fliegen. Das ist wichtig: Denn je höher die Fledermäus­e segeln, desto gefährlich­er wird’s dort für sie.

Die Tiere könnten entweder von den Rotorblätt­ern der acht Windkrafta­nlagen erschlagen werden. Oder ihre inneren Organe platzten durch den raschen und starken Luftdruckw­echsel. Zu dumm nur: Die Tiere sind vor Hunger sprichwört­lich blind. Sie konzentrie­ren ihr Ultraschal­lsystem voll und ganz auf die Insektenbe­ute und nehmen die Gefahr deshalb nicht wahr.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Auf der Grünbrücke im Scheppache­r Forst über die A8 zwischen den Anschlusss­tellen Zusmarshau­sen und Jettingen-Scheppach. Dort führt Biologe Maximilian Jakobus im Auftrag der Betreiberg­esellschaf­t Pansuevia drei Jahre lang ein Wildmonito­ring mit speziellen Kameras durch.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Auf der Grünbrücke im Scheppache­r Forst über die A8 zwischen den Anschlusss­tellen Zusmarshau­sen und Jettingen-Scheppach. Dort führt Biologe Maximilian Jakobus im Auftrag der Betreiberg­esellschaf­t Pansuevia drei Jahre lang ein Wildmonito­ring mit speziellen Kameras durch.
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