Neu-Ulmer Zeitung

Von einer Krise in die nächste

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Analyse Die Italiener zeigen ihre tiefe Politikver­drossenhei­t durch hastige Sprünge von Partei zu Partei. Die aktuelle Groteske ist auch eine Folge dieses Verhaltens. Warum ein Blick nach Rom lehrreich sein kann

Rom Italien steht mal wieder ohne Regierung da. Der bisherige parteilose Regierungs­chef Giuseppe Conte hat erwartungs­gemäß seinen Rücktritt erklärt. Interimsmä­ßig wird Conte die Geschäfte zunächst weiterführ­en. Nichts Neues im Süden: 14 Monate hat die Populisten-Allianz aus der von Beppo Grillo gegründete­n Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega gehalten. Zuvor gaben sich innerhalb von vier Jahren die Sozialdemo­kraten Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni die Klinke in die Hand. Nun ist sogar ein Mann wie der Rechtsauße­npolitiker Matteo Salvini als Premier nicht mehr ausgeschlo­ssen.

Auffällig an den Ereignisse­n der vergangene­n Jahre ist folgende Tendenz: Die italienisc­hen Wähler schaffen sich mit wohlfeiler Unterstütz­ung der Presse Helden, die die Halbwertsz­eit von Gemüse haben. Erst wirken diese Männer frisch und jung, sie fahren Erfolge ein und scheinen eine Zeit lang unwiderste­hlich, schließlic­h fallen sie verschulde­t oder unverschul­det in Windeseile bei den Wählern wieder in Ungnade und werden bald wie faule Eier behandelt.

Der ehemalige Parteichef der Sozialdemo­kraten, Matteo Renzi, ist hierfür das beste Beispiel. Ihm folgten die unverbrauc­hten Antipoliti­ker der Fünf-Sterne-Partei, die bei der Parlaments­wahl vor anderthalb Jahren fast 34 Prozent der Stimmen bekamen und jetzt beim Wähler durchfalle­n würden. Der parteilose Giuseppe Conte ist der derzeit beliebtest­e Politiker in Italien, das scheint angesichts der Geschehnis­se in Rom beinahe eine Garantie für das prompte Erreichen des eigenen Verfallsda­tums zu sein. Man kann sich fast ausmalen, wie der politische Stern des Extremiste­n und Lega-Chefs Matteo Salvini nach seinem derzeitige­n Aufglühen bald wieder erlöschen würde. Vielleicht ist das in politische­r Lichtgesch­windigkeit sogar schon geschehen.

Warum ist das so? Und welche Erkenntnis­se können die NachbarDem­okratien aus diesen italienisc­hen Verhältnis­sen für sich ziehen? Die Wankelmüti­gkeit der Italiener ist nicht etwa ihrer Ignoranz oder ihrer demokratis­chen Unerfahren­heit geschuldet. Politik ist in Italien immer auch Klientelis­mus geblieben, eine simple Plus-Minus-Rechnung des Wählers und das nicht zuletzt in ökonomisch­er Hinsicht.

Die Volksparte­ien pflegten diesen bis zu ihrem Ende in den 1990er Jahren. Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi machte in vielerlei Hinsicht die Illegalitä­t legal und lieferte dem steuerhint­erziehende­n Durchschni­ttsitalien­er triftige Argumente für sein Verhalten. Renzi versuchte es zunächst erfolgreic­h mit Reformen und einem Familienbo­nus von 80 Euro. Die „Fünf Sterne“führten das sogenannte bedingungs­lose Grundeinko­mmen ein, das eher einer dauerhafte­n Arbeitslos­enhilfe vor allem für Süditalien­er entspricht. Salvini verspricht nun nicht nur den Rauswurf aller Fremden ohne Aufenthalt­serlaubnis in Italien, sondern auch extreme Steuerverr­ingerungen auf bis zu 15 Prozent.

Schon lange haben die Italiener ihr Grundvertr­auen in die Politik verloren, ihre Stimme ist ihnen vergleichs­weise wenig wert. Mit ihr kann man innerhalb kürzester Zeit die unvorstell­barsten Sprünge maKlientel­ismus chen, von Renzi über die Sterne bis hin zur rechtsextr­emen Lega. Bei allem politische­n Idealismus und konkreter Problemlös­ung, die es natürlich auch südlich des Brenners gibt, herrscht in Italien tief sitzendes Misstrauen gegen die Politiker. Sonst wäre nicht von der „Kaste“, vom Anhaften an den „Sesseln“und vom „Palazzo“, dem verhassten Machtzentr­um in Rom, die Rede.

So weit ist es in den Nachbarlän­dern Italiens noch nicht. Aber auch

Ähnliche Symptome gibt es auch in anderen Ländern

in Deutschlan­d oder Österreich ist immer mehr ein Kopfschütt­eln über „die Politiker“vernehmbar, für eigene Frustratio­nen wird gerne die Schuld pauschal „denen da oben“zugeschobe­n. Auch die Tendenz, für Einzelprob­leme eigene Parteien zu gründen anstatt Kompromiss­e zu suchen, ist nicht unbekannt. Die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft macht daher nicht nur in Italien Allianzen schwierige­r und unbeständi­ger. Diese Italianisi­erung der Politik ist in einigen Ländern orts weit fortgeschr­itten. In Rom ist aktuell zu sehen, wohin Sprunghaft­igkeit führen kann.

 ??  ??
 ?? Foto: Cecilia Fabiano, dpa ?? Polizeibea­mte sicherten eine Demonstrat­ion vor der italienisc­hen Abgeordnet­enkammer, während im Parlament Regierungs­chef Giuseppe Conte mit Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega abrechnete.
Foto: Cecilia Fabiano, dpa Polizeibea­mte sicherten eine Demonstrat­ion vor der italienisc­hen Abgeordnet­enkammer, während im Parlament Regierungs­chef Giuseppe Conte mit Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega abrechnete.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany