Kaffeesatzlesen auf Italienisch
Sondierungen Aufatmen sieht anders aus: Nach dem Ende der chaotischen Populisten-Allianz scheint jetzt alles und nichts möglich
Rom Matteo Salvini hat sich womöglich verzockt. Die populistische Regierung zwischen seiner rechten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung ist am Ende und Neuwahlen sind nicht garantiert.
Wie geht es jetzt weiter in Italien?
Der für seine Besonnenheit bekannte Staatspräsident Sergio Mattarella hat die Fäden in der Hand. Er führt bis Donnerstagabend Gespräche mit den Vertretern der Parteien. Mattarella muss abklopfen, ob sie bereit sind, eine neue Regierung zu bilden, die an die Stelle des gescheiterten Bündnisses aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung tritt. Sollte es dafür keine Bereitschaft geben, ist eine Neuwahl die einzige Möglichkeit – früher oder später.
Wie sieht der Zeithorizont aus?
Erwartet wird, dass innerhalb weniger Tage eine Entscheidung fällt. „Wenn die Delegationen bei den Unterredungen im Quirinalspalast keinen Ton rausbringen, wäre die Konsequenz, dass Mattarella alle nach Hause schickt“, schreibt der Corriere della Sera. Vermutet wird, dass der Staatschef dann rasch eine Übergangsregierung einsetzt, die bis zu einer schnellen Neuwahl die Geschäfte führt und auch die Wahl organisiert. Dafür müsste Mattarella auch die Parlamentskammern auflösen. Von diesem Zeitpunkt an könnte eine Wahl nach 60 Tagen stattfinden. Bis Ende Dezember muss das wichtige Haushaltsgesetz verabschiedet werden. Das ist die dringendste Aufgabe einer wie auch immer gearteten neuen Regierung.
Wer würde von einer Neuwahl am meisten profitieren?
Der Auslöser der Krise: der bisherige Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini. Er will eine Neuwahl am liebsten schon im Oktober. In Umfragen ist seine Lega seit Monaten mit rund 37 Prozent vorne. Salvini ist der starke Mann in der Regierung mit den Fünf Sternen gewesen. Vor allem sein rigoroser Kurs gegen Migranten ließ seine Zustimmungswerte immer weiter steigen. Doch am Mittwoch ist die Rede davon, dass selbst Salvini sich mittlerweile kaum noch große Chancen ausrechnet, dass es wirklich zu einer Wahl kommt.
Warum?
Zwischen den Fünf Sternen und den oppositionellen Sozialdemokraten (PD) bahnt sich ein Bündnis an. PD-Chef Nicola Zingaretti öffnete sich am Mittwoch für Verhandlungen. Dem Staatsoberhaupt müssten die eigentlich beiden tief zerstrittenen politischen Kräfte aber glaubhaft machen, dass sie eine „echte“Regierung sind – das Land also bis zum Ende der Legislaturperiode führen wollen und sich nicht nur zusammenraufen, um eine Neuwahl und damit Salvini zu verhindern. Zingaretti machte klar, dass es nur eine „Regierung der Umkehr“geben kann – weg vom bisherigen Kurs der Lega und der Fünf Sterne.
Was steht der Allianz im Weg?
Die Unstimmigkeiten fangen nicht erst bei den Inhalten an. „Es ist eine grundsätzliche Frage. In der Vergangenheit hieß es immer: Man kann nicht miteinander, man will nicht miteinander, man hat sich als größte politische Gegner gesehen“, sagt Caroline Kanter, Direktorin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. Die FünfSterne-Bewegung habe sich stets als „anti-systemische Kraft“verstanden, die PD sei eine traditionelle Partei.
Würde sich mit so einem Bündnis etwas für Europa ändern?
Vermutlich ja. Die PD ist eine europafreundliche Partei, weshalb sich der Ton in Richtung Brüssel entschärfen könnte. Zudem machte Zingaretti klar, dass es eine Änderung der Migrationspolitik geben müsste. Dies könnte sich positiv auf zuletzt durch Italien blockierte Verhandlungen auf der Suche nach einer Lösung für die Verteilung von Bootsflüchtlingen auswirken. Sicher ist das alles aber nicht – die FünfSterne-Bewegung hat Salvinis rigorosen Anti-Migrationskurs bislang mitgetragen und keine Konfrontation mit der EU gescheut.
Hat sich die Regierungskrise für Salvini als Schlappe entpuppt?
Das ist offen – noch ist unklar, ob Salvini nicht doch schnelle Neuwahlen bekommt. Aber: „Analysten wären sehr überrascht, wenn er sich da so verkalkuliert hätte“, sagt ItalienExpertin Kanter. „Ich würde eine Neuwahl bislang nicht komplett abschreiben. Dass Salvini zuletzt schwach dastand, stimmt schon. Aber vielleicht gibt es noch einen Überraschungsmoment. Er wird vermutlich weiter kämpfen, auch wenn er sich in dieser Krise auch aus den eigenen Reihen Kritik eingefahren hat.“Lena Klimkeit, dpa