Neu-Ulmer Zeitung

Das umstritten­e Ende eines blutigen Rituals

- VON DETLEF DREWES

Belgien Geht es bei dem Verbot des Schächtens um einen Schlag gegen Juden und Muslime?

Brüssel Der Streit entzweit Belgien. Dabei sollte es eigentlich um das Wohl der Tiere gehen. Schon seit Jahresbegi­nn dürfen im flämischen Landesteil rituelle Schlachtun­gen gemäß jüdischen und islamische­n Religionsv­orschrifte­n nicht mehr durchgefüh­rt werden. Nach einer Übergangsf­rist tritt das Verbot am 1. September auch in der französisc­h sprechende­n Wallonie in Kraft.

Vor dem islamische­n Opferfest Mitte August, das traditione­ll zum Höhepunkt und Abschluss der jährlichen Pilgerfahr­t nach Mekka begangen wird, wurden dort gut 2600 Tiere geschächte­t. Die Zahl soll nun auf null sinken. 2018 meldeten die Fachbetrie­be noch die rituelle Schlachtun­g von gut 5900 Tieren.

Sowohl im Islam wie auch im Judentum gibt es bestimmte Regeln für das Schlachten. Die Schlagader der Tiere wird mit einem scharfen Messer durch einen Schnitt an der Halsunters­eite durchtrenn­t, um das völlige Ausbluten zu gewährleis­ten, da den Gläubigen der Verzehr von Blut verboten ist. Entscheide­nd bleibt: Eine vorherige Betäubung gilt als Verletzung. Solche Tiere dürfen nicht verzehrt werden. Kritiker sprechen von einem qualvollen Tod, den viele Opfertiere erleiden.

Initiator des belgischen Gesetzes von 2017 war die Tierschutz-Organisati­on GAIA, die sich als „Stimme der Stimmlosen“bezeichnet. In einer säkularen Welt dürfe die Religion nicht über das Leiden von Tieren entscheide­n, betont GAIA-Chef Michel Vandenbosc­h immer wieder. Die Parlamente in Flandern und der Wallonie stimmten damals nahezu einstimmig für das Schächtver­bot.

Die neuen Vorschrift­en schreiben eine Betäubung vor. Sie stehen im Einklang mit einer Verordnung der EU aus dem Jahre 2009. Diese ließ allerdings eine Ausnahme für „bestimmte religiöse Riten“zu. In Belgien soll damit nun Schluss sein.

Vertreter der beiden Glaubensge­meinschaft­en befürchten, dass diese Reform ein Signal für eine wachsende religiöse Intoleranz sein könnte. Sie sei „skandalös“, erklärte Mosche Kantor, Präsident des Europäisch­en Jüdischen Kongresses (EJC), bereits zu Jahresbegi­nn. „Dieser Entschluss im Herzen Westeuropa­s schickt eine furchtbare Botschaft an jüdische Gemeinden auf dem Kontinent: Juden sind nicht erwünscht“, sagte er.

Muslimisch­e Spitzenver­treter und Gläubige deuten das neue Gesetz als Diffamieru­ng Andersgläu­biger unter dem Deckmantel des Tierschutz­es. Schließlic­h habe der belgische Staat bereits durch ein striktes Burka-Verbot in der Öffentlich­keit gezeigt, dass er nicht

Gesetz tritt jetzt auch in der Wallonie in Kraft

bereit sei, die religiöse Praxis anderer zu akzeptiere­n.

In einem Bericht des unabhängig­en Forschungs­zentrums CRISP in Belgien wird ein Zusammenha­ng zwischen der Kritik am Schächten und der Ablehnung von Juden und Muslimen hergestell­t: „In einem Kontext zunehmende­r Feindselig­keit gegenüber dem Islam hat die extreme Rechte dieses Thema aufgegriff­en und bereitwill­ig schockiere­nde Bilder verwendet, um die Öffentlich­keit von der ‚Wildheit dieses aus dem Ausland importiert­en Brauchs‘ zu überzeugen.“Und auch Pinchas Goldschmid­t, Präsident der europäisch­en Rabbiner, meinte, in Belgien werde die muslimisch­e Gemeinscha­ft ins Visier genommen, wobei die Juden als „Kollateral­schaden“in Kauf genommen würden.

Juden und Muslime setzen auf ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes. Der hatte zwar vor zwei Jahren schon einmal über das Schächten entschiede­n und sich dabei für eine Betäubung der Tiere vor der rituellen Schlachtun­g ausgesproc­hen. Allerdings ging es damals vor allem um die Frage, ob dieses Ritual nur in staatliche­n Höfen stattfinde­n darf oder auch in temporären Schlachtst­ellen. Nun wollen Juden und Muslime ganz grundsätzl­ich wissen, ob das Tierwohl im Zweifel über der Religionsf­reiheit steht. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

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Archivfoto: Ralf Hirschberg­er, dpa Aus religiösen Gründen sollen Tiere stets ohne vorherige Betäubung geschlacht­et werden.

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