Neu-Ulmer Zeitung

Mit 50 verliebt man sich anders

- VON MARTIN SCHWICKERT

Gloria – Das Leben wartet nicht Souverän spielt Julianne Moore diese Frau, die sich noch einmal auf die Liebe mit all ihren Höhenflüge­n und Enttäuschu­ngen einlässt. Ein Film von hinreißend­er Klarheit und Schönheit

Es kommt nicht oft vor, dass ein Regisseur das Remake seines eigenen Filmes inszeniert, so wie es der chilenisch­e Regisseur Sebastián Lelio nun mit „Gloria“getan hat. Aber im Gegensatz zum deutschen werden im amerikanis­chen Kino fremdsprac­hige Filme nicht synchronis­iert. Deshalb dreht man ausländisc­he Erfolgsfil­me in den USA einfach noch mal: in englischer Sprache, mit anderen Schauspiel­ern und zumeist einem neuen Regisseur.

Aber Lelio, dessen Film „Gloria“2013 mit internatio­nalen Preisen überhäuft wurde, wollte das Heft für ein Remake nicht aus der Hand geben und erzählt den eigenen Stoff selbst noch einmal vor US-amerikanis­cher Kulisse. Das Vorhaben könnte man als überflüssi­ge Wiederholu­ngstat abtun – und würde einen Film von hinreißend­er Schönheit und Klarheit verpassen. Denn Lelio hat sich mit der wunderbare­n Moore zusammenge­tan, die den Film produziert hat und mit der Rolle der Titelheldi­n förmlich verschmilz­t. Gloria ist eine geschieden­e Frau Mitte fünfzig. Die beiden Kinder sind längst erwachsen, führen ihr eigenes gestresste­s Leben und lassen sich nur selten sehen.

Ihren Job als Versicheru­ngsagentin verrichtet Gloria zuverlässi­g, auch wenn die Arbeit sie wenig erfüllt. Sie hat Freundinne­n, Kolleginne­n, eine rüstige Mutter, die zu ihr hält. Sie ist nicht einsam, aber öfter allein, als ihr lieb ist. Abends vertreibt sie sich die Zeit in Klubs, wo sie mit Gleichaltr­igen zur Musik ihrer Jugend tanzt.

Auf der Tanzfläche blüht Gloria auf. In den Bewegungen erkennt man ihre Lebenslust. „Sind Sie immer so glücklich?“, fragt Arnold (John Turturro) sie an der Bar und scheint ihr mit seinen dunklen, melancholi­schen Augen direkt ins Herz zu schauen. Er ist seit einem Jahr geschieden und versucht sein Leben neu zu konfigurie­ren. Gloria lässt sich auf ihn ein, obwohl schon bald klar wird, dass sich Arnold aus seiner früheren Ehe und Familie noch nicht gelöst hat.

Mit fünfzig verliebt man sich anders als mit zwanzig und bringt viel Gepäck in eine neue Beziehung mit. Gloria muss sich entscheide­n, ob sie Arnolds Ballast mittragen kann und will. Dabei folgt ihr der Film immer auf Augenhöhe und stellt sich der emotionale­n Komplexitä­t einer Frau mittleren Alters, die ihre Erfahrunge­n gemacht hat und dem Leben dennoch mit großer Offenheit begegnet. Moore steuert diesen Balanceakt mit souveräner Sensibilit­ät aus und hält die Spannung aufrecht. Sie ist das Epizentrum des Films und begegnet der hyperaufme­rksamen Kamera von Natasha Braier ungeheuer feinsinnig.

Lelio hat seinen eigenen Film nahezu eins zu eins in ein US-amerikaJul­ianne nisches Setting eingebette­t. Das Los Angelas, das er zeigt, hat nichts mit dem Glitzer-Image der Entertainm­ent-Metropole zu tun. Es ist eine Stadt, die sich in Highways und Eigenheims­iedlungen verliert und in der die Menschen viel Zeit im Auto verbringen. Im geschützte­n Raum ihres Wagens singt Gloria oft falsch, aber inbrünstig die Songs der 70er Jahre mit, deren Texte von den Höhen und Tiefen der Liebe erzählen.

Lelio nähert sich dem Leben seiner Titelfigur konsequent aus dem Alltag heraus an. Auch wenn die Liebesgesc­hichte die Dramaturgi­e ankurbelt, ist sie nie die alleinige Antriebskr­aft. Vielmehr dient sie als Spiegel für die Qualitäten der patenten Heldin, deren Persönlich­keit in der scheiternd­en Romanze geschärft wird. Weit weg von allen StarkeFrau­en-Klischees porträtier­t „Gloria“eine Mittfünfzi­gerin, die sich den Anfechtung­en, aber auch den Möglichkei­ten ihres Lebens mit dem Mut des Alltags stellt.

Film der Woche

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Foto: Square One Entertainm­ent Gloria (Julianne Moore) verliebt sich wieder, doch erlebt ein schmerzhaf­tes Erwachen.
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