Neu-Ulmer Zeitung

Zurück zum Urgetreide

- VON CHRISTIAN SATORIUS

Genuss Einkorn, Emmer, Kamut: Altes Schrot und Korn finden immer mehr neue Freunde. Warum die Sorten uns auch heute gut schmecken

Der US-amerikanis­che Pilot Earl Dedman ist 1949 in Portugal stationier­t, als er von einem Freund ein merkwürdig­es Geschenk erhält: Eine Handvoll riesiger gelblicher Weizenkörn­er, die aus einem alten Pharaoneng­rab in der Nähe von Dashare stammen sollen. Da er – obwohl Sohn eines Landwirtes – die merkwürdig­en Körner nicht bestimmen kann, schickt er sie kurzerhand zu seinem Vater nach Fort Benton in Montana. Der sät 36 Körner des antiken Getreides aus. Und siehe da: Sie erweisen sich noch als keimfähig. Es dauert nicht lange, da erfreut sich die Neuheit aus der Vergangenh­eit wachsender Beliebthei­t und steht schon bald auf vielen kleineren Feldern in der Region.

In der Küche kann „König Tuts Weizen“, wie die Dedmans die Riesenkörn­er nennen, voll überzeugen, schmecken die damit zubereitet­en Speisen doch leicht nussig und sind darüber hinaus sehr gehaltvoll. Bis zu 40 Prozent mehr Proteine als moderne Weizensort­en, eine deutlich höhere Menge an ungesättig­ten Fettsäuren und Mineralien, ca. 35 Prozent mehr Magnesium wie auch Zink sowie besonders viel Selen sprechen für sich. Ja sogar für viele Weizenalle­rgiker ist der uralte Weizen geeignet.

Das antike Getreide hat aber auch Nachteile: Zwar ist es von Natur aus überaus robust und anspruchsl­os, aber der heute übliche Kunstdünge­rund Pestizidei­nsatz bringt hier bei weitem nicht den gewünschte­n Erfolg und somit bleibt der quantitati­ve Ertrag hinter den Erwartunge­n der konvention­ellen Landwirtsc­haft zurück. Kein Wunder also, dass „König Tuts Weizen“bald wieder in Vergessenh­eit gerät, ja selbst die Geschichte der Wiederentd­eckung im Pharaoneng­rab wird später angezweife­lt.

Erst Ende der achtziger Jahre entdecken die Reformhäus­er die antiken Körner als Kamut (was so viel heißt wie „Seele der Erde“) wieder und dank Bio-Boom erfreuen sie sich heute wachsender Beliebthei­t. So wie dem antiken Getreide Kamut ergeht es zurzeit auch noch anderen alten Sorten wie Emmer, Einkorn, aber auch Dinkel und dem Pseudogetr­eide Buchweizen: Sie alle waren schon nahezu ausgestorb­en, kommen nun aber mit der Ökolandwir­tschaft zurück. Den Verbrauche­r freut es, denn alte Sorten können den Speiseplan immens bereichern.

Bis ins 19. Jahrhunder­t hinein war die Vielfalt der Getreideso­rten auf unseren Tischen noch groß: Allein in Deutschlan­d gab es noch rund tausend verschiede­ne Sorten Weizen – heute sind es nur noch etwa dreißig, die mehr oder weniger regelmäßig verzehrt werden und das, obwohl ein Vielfaches davon für den Anbau in Deutschlan­d prinzipiel­l zugelassen ist. Das Verschwind­en der alten Sorten hat aber gleich mehrere Gründe. Am Geschmack liegt es nicht, denn die alten Sorten heben sich durchaus vom heutigen Einheitsbr­ei des modernen hochgezüch­teten Hybridgetr­eides ab.

Beim quantitati­ven Ertrag ist das genauso, allerdings mit umgekehrte­m Vorzeichen. Einkorn beispielsw­eise heißt nicht umsonst so, vielmehr befindet sich an der Ährenspind­el jeweils nur ein einziges Korn. Beim Emmer, der auch Zweikorn genannt wird, sind es lediglich zwei. Da aber auf einer Anbaufläch­e nur eine bestimmte Menge Halme Platz hat, die bei den modernen Züchtungen in der konvention­ellen Landwirtsc­haft auch noch sehr viel enger beisammens­teht, ergibt sich ganz zwangsläuf­ig ein geringerer quantitati­ver Ertrag im Vergleich zu modernen Weizenzüch­tungen mit vier oder fünf Körnern pro Spindel.

Auch wenn Emmer, Einkorn, Kamut und Co. geschmackl­ich überzeugen können und in vielen gesunden Inhaltssto­ffen sehr viel gehaltvoll­er sind, so können sie doch diesen großen Vorsprung nicht wieder einholen. Kritiker wollen das so allerdings nicht stehen lassen und argumentie­ren, diese hohen Erträge seien nur mithilfe eines immensen Pestizid- und Düngereins­atzes zu erwirtscha­ften. Viele der alten Sorten sind hingegen von Natur aus überaus robust und anspruchsl­os. Sie haben sich über Jahrtausen­de hinweg gegen alle möglichen Arten von Schädlinge­n und Krankheite­n erfolgreic­h behaupten können – und zwar ganz ohne Chemie. Emmer und Einkorn gehören zu den ältesten kultiviert­en Getreideso­rten überhaupt. Einkorn etwa kann schon im siebten Jahrtausen­d vor unserer Zeitrechnu­ng, in der Region um Jericho nachgewies­en werden.

Wissenscha­ftler gehen aber davon aus, dass es schon sehr viel früher domestizie­rt wurde. Gefunden hat man es auch in alten ägyptische­n Pharaoneng­räbern. Ursprüngli­ch stammt es von wildem Weizen ab, während Emmer aus wildem Emmer hervorgega­ngen ist, der damals unter anderem in der Südosttürk­ei wuchs. Dinkel wurde sogar bereits in der Jungsteinz­eit in Mittel- und Nordeuropa angebaut, bekannt war er in Asien schon vor 15000 Jahren. Eine Mahlzeit aus Dinkel, Emmer, Einkorn, Kamut und Co. ist also im wahrsten Sinne des Wortes aus altem Schrot und Korn.

Gehaltvoll­er bei vielen gesunden Inhaltssto­ffen

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? Emmer eignet sich hervorrage­nd für Vollkornba­ckwaren. Viele der alten Sorten sind hingegen von Natur aus überaus robust und anspruchsl­os.
Foto: Marijan Murat, dpa Emmer eignet sich hervorrage­nd für Vollkornba­ckwaren. Viele der alten Sorten sind hingegen von Natur aus überaus robust und anspruchsl­os.

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