Neu-Ulmer Zeitung

Auf den Ulmer Schachteln war es eng

- VON DAGMAR HUB

Geschichte Referent zum Thema Auswanderu­ng aus Russland lässt das Publikum im Schwörhaus Volksliede­r singen

Ulm Eine vom Bundesinne­nministeri­um geförderte Wanderauss­tellung der Landsmanns­chaft der Deutschen aus Russland, die bis zum 31. Oktober im Haus der Stadtgesch­ichte zu sehen ist, beleuchtet 200 Jahre Geschichte und Kultur deutscher Auswandere­r in den Kaukasus.

Viele dieser Auswandere­r kamen aus dem Süden Deutschlan­ds, aus Bayern, Württember­g und Baden sowie aus der Pfalz, dem Elsass und Hessen, wie die Ausstellun­g zeigt. Abenteurer waren sie nicht, sondern Landwirte mit Erfahrung im Umgang mit Wein- und Obstbau oder Handwerker – und ein gewisses Vermögen musste mitbringen, wer sich in Russland ansiedeln musste. Umgekehrt versprach Zar Alexander I. Steuerfrei­heit für 30 Jahre.

Ein echter Pullfaktor – doch auch Pushfaktor­en gab es für die Auswanderu­ng: Der verheerend­e Ausbruch des Tambora auf der indonesisc­hen Insel Sumbawa im April 1815 hatte gravierend­e Auswirkung­en auf das Wetter in Europa: Aufgrund der in die Atmosphäre geschleude­rten etwa 150 Kubikkilom­eter Staub und Asche gab es in Europa im Folgejahr, dem „Jahr ohne Sommer“, insgesamt nur 19 Tage ohne Regen oder Schnee. Missernten und katastopha­le Überschwem­mungen führten in West- und Südeuropa sowie in Nordamerik­a zu Hungersnöt­en. Zudem hatte der Pietist Johann Albrecht Bengel den Beginn des Tausendjäh­rigen Reiches als Zeit des Friedens auf Erden auf den 18. Juni 1836 festgesetz­t. Weil der russische Zar Alexander I. – Sohn einer württember­gischen Prinzessin – selbst frommer Pietist war, galt er den Auswandere­rn dieser strengen religiösen Strömung (die sich von der Landeskirc­he abgespalte­t hatte) als Heilsbring­er, zumal Alexander den Siedlern Privilegie­n und Ländereien in den kaum bewohnten Landstrich­en Russlands versprach.

Über Norddeutsc­hland und Finnland führte ein Weg ins gelobte Russland, über die ab Ulm schiffbare Donau ein anderer. Monate, manchmal Jahre dauerte die Reise. Die Ausstellun­g berichtet von der Enge auf den Ulmer Schachteln, über Krankheite­n und Todesfälle – und über das Leben derer, die am Ziel zwischen der Wolga und dem Schwarzen Meer ankamen und insgesamt 3536 Orte gründeten, meist streng nach Glaubensri­chtungen getrennt und oft benannt nach Orten der Herkunft der Siedler oder nach Angehörige­n von Herrscherf­amilien. So wie Katharinen­feld in Georgien, gegründet 1818. Der Name bezieht sich auf die Schwester von Zar Alexander I. Der größte Arbeitgebe­r in Katharinen­feld war bald eine Weinbaugen­ossenschaf­t – die Siedler hatten Rebstöcke aus der Heimat mitgebrach­t, die dort hervorrage­nd gediehen. Nach dem Angriff Deutschlan­ds auf die Sowjetunio­n im Juni 1941 wurden viele Russlandde­utsche nach Sibirien oder Zentralasi­en deportiert oder zur Zwangsarbe­it verpflicht­et. Viele Russlandde­utsche kehrten in den vergangene­n Jahrzehnte­n nach Deutschlan­d zurück, andere blieben. Wie wichtig volkstümli­chdeutsche Kultur für die Russlandde­utschen beispielsw­eise in Almaty ist, wie sie aber auch unter den Rückkehrer­n gepflegt wird, zeigte Referent Jakob Fischer. Zunächst demonstrie­rte er in Filmen Oktoberfes­tatmosphär­e mit Jugendlich­en in bunten Dirndln und Lederhosen in Kasachstan, zum Ende des Abends ließ er das Publikum der Ausstellun­gseröffnun­g deutsche Volksliede­r singen, um ihm die Schönheit dieser Lieder nahe zu bringen.

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Foto: Dagmar Hub „200 Jahre Auswanderu­ng von Deutschen in den Kaukasus“heißt die Ausstellun­g, die im Schwörhaus zu sehen ist.

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