Evangelische Kirche nutzt Münstergefühle
Glaube Unterhalb des höchsten Kirchturms der Welt sollen ganz unbürokratisch neue Schäfchen gewonnen werden
Ulm Ein Stehtisch, ein Strauß Blumen, ein Plakat und Sitzgelegenheiten auf Bänken. Und Martin Luther selbst am Bankende – die Puppe mit dem freundlichen Luther-Gesicht ist ein Maskottchen: Ein ruhiger Bereich an der Nordpforte des Ulmer Münsters – in der Nähe der Automaten für die Eintrittskarten zum Turmaufstieg – ist ab kommenden Samstag „Kircheneintrittsstelle“.
Das Ulmer Münster will mit diesem Angebot Menschen erreichen, die sich einen Kirchenwiedereintritt oder einen Übertritt aus einer anderen Konfession überlegen, aber keine langen Formalien wollen oder den Besuch beim örtlichen Pfarrer scheuen. Das Angebot der Kircheneintrittsstelle am Ulmer Münster gilt auch für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern. Bedingung ist allerdings grundsätzlich: Wer in die evangelische Kirche eintreten oder wieder eintreten möchte, muss getauft sein, und er darf keiner anderen Kirche angehören.
Von zehn bis zwölf Uhr wird die Kircheneintrittsstelle ab kommenden Samstag, 14. September, besetzt sein. Am ersten Tag wird Pfarrerin Stefanie Klitzner Dienst tun, die an der Lukaskirche in Ulm Pfarrerin ist. Die Liste der Pfarrer und Pfarrerinnen ist lang, die sich angeboten haben, die Kircheneintrittsstelle an Samstagen zu besetzen.
Vorbild ist die Esslinger Kircheneintrittsstelle, erklärt Münsterpfarrer Peter Schaal-Ahlers, der vor seiner Ulmer Zeit Citypfarrer in Esslingen war. „Das Modell gibt es schon länger“, sagt er. Die samstägliche Öffnungszeit ist allerdings ein Experiment und kann angepasst werden, wenn der sich eine andere Zeitspanne als günstiger herausstellt. Zusätzlich hat die Münstergemeinde ein kleinformatiges Leporello erstellen lassen, dass zehn Gründe dafür aufzählt, Kirchenmitglied zu sein – einer davon beispielsweise ist kirchliche Musik und Kunst als „prägende Kräfte unserer Kultur“. Ein anderer ist, dass in der Kirche nicht das „Prinzip von Leistung und Gegenleistung“gilt, sondern das Leben als Geschenk zu entdecken ist. Oft sind es besondere Lebenssituationen, die dazu führen, dass Menschen das Bedürfnis verspüren, nach Jahren wieder in die Kirche einzutreten. Die Bitte, Pate zu sein für ein Kind, ein Trauerfall oder eine Krankheit. Es kann aber auch sein, dass sich bereits wenige Wochen nach Kirchenaustritt bei jemandem ein diffuses Gefühl einstellt, dass sich die Situation nicht richtig anfühlt, erzählt Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Aber ob kurz nach dem Austritt oder nach langen Jahren - die Hemmschwelle, ins örtliche Pfarrbüro zu gehen, kann noch sein. Deshalb wünschte man sich am Münster ein solch niederschwelliges Angebot einer Kircheneintrittsstelle. Wobei Gohl sicher ist, dass man das Münster als Kirchengebäude nicht unterschätzen darf. „Es löst Emotionen aus.“Der Wunsch nach Sozialkontakten etwa in einem Frauenkreis ist es eher selten, der jemanden wieder in die Kirche eintreten lässt. Meist sei es wohl der Wunsch nach einer geistlichen Heimat.“Ein ernsthafter Wunsch jedenfalls muss vorhanden sein, um wieder in die Kirche einzutreten. 52 Kircheneintritten im Jahr 2018 stehen im Kirchenbezirk Ulm fast 500 Kirchenaustritte gegenüber. „Das tut uns weh“, gibt Ernst-Wilhelm Gohl zu.
Doch der Austritt aus der Kirche bedeutet nicht, dass die Taufe des Christen ungültig wird – sie bleibt bestehen, und verspürt jemand den Wunsch, in die Kirche zurückzukehren, soll sie ihm auch offenstehen, sagt Pfarrerin Stefanie Klitzner. Sie versteht die langen Prozesse besonders gut, die hinter Überlegungen zum Kirchenaustritt und zum Wiedereintritt stehen. Sie selbst trat aus, als sie 18 wurde, erzählt sie – und entschloss sich dann, Pfarrerin zu werden. Gespannt ist sie auf Begegnungen in der Kircheneintrittsstelle. Denn vermutlich werden nicht nur Menschen kommen, die wieder in die evangelische Kirche eintreten wollen, sondern auch Menschen, die einfach zunächst ihre Gedanken zum Ausoder Eintritt loswerden wollen oder die Informationen haben wollen, die Entscheidungshilfe sein können.