„Roter Stern Belgrad ist wie der FC Bayern“
Interview Der ehemalige Bundesliga-Trainer Dragoslav Stepanovic über den ersten Champions-League-Gegner der Münchner, die Probleme im serbischen Fußball nach dem Krieg und ein Zitat, das den Serben berühmt gemacht hat
Herr Stepanovic, Roter Stern Belgrad, für den Sie in den 70er Jahren als Spieler aufgelaufen sind, startet gegen den FC Bayern in die ChampionsLeague-Gruppenphase. Hat Roter Stern in München eine Chance? Stepanovic: Warum nicht? Roter Stern hat im vergangenen Jahr Liverpool geschlagen. Natürlich ist Bayern der Top-Favorit. Aber die beiden Unentschieden gegen Hertha und Leipzig haben gezeigt, dass die Bayern noch nicht so weit sind, wie man das erwartet hat. Gleichzeitig hat sich Roter Stern jetzt zum zweiten Mal hintereinander für die Gruppenphase der Champions League qualifiziert. Das bringt die Mannschaft weiter. Sie hat sich an den Mittwoch-Samstag-Rhythmus und das Champions-League-Niveau gewöhnt.
Die Spieler des serbischen Rekordmeisters sind den deutschen Fußball-Fans unbekannt – bis auf den deutschen ExNationalspieler Marko Marin. Stepanovic: Er hat nach seinem Wechsel ins Ausland bei so vielen Vereinen gespielt und ist nirgends richtig glücklich geworden. Jetzt hat er in Belgrad endlich seinen Platz gefunden. Er genießt das. Die serbische Super Liga ist nicht so stark, ich würde sagen vergleichbar mit der 2. oder 3. Liga in Deutschland. Marin kann hier seine technischen Stärken ausspielen. Die gegnerischen Verteidiger kleben nicht so an ihm. Er hat mehr Bewegungsfreiheit. Der FC Bayern ist aber ein ganz anderes Kaliber, als die Gegner in der serbischen Liga. Ich glaube nicht, dass er hier in München so brillieren kann.
Wer sticht sonst noch aus der Elf der Namenlosen heraus?
Stepanovic: Da ist zum Beispiel Milan Borjan, ein erstklassiger Torhüter. Der ist für Roter Stern so etwas wie der Manuel Neuer für Bayern. Nur, dass Borjan nicht für die serbische Nationalmannschaft, sondern für Kanada spielt. Er war im Krieg mit seiner Familie dorthin geflüchtet. Der Spanier Cañas organisiert das Mittelfeld. Im Sturm sind Boakye und Pavkov torgefährlich, um nur ein paar Namen zu nennen. Normalerweise spielt Roter Stern ein hohes Pressing. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das auch gegen den FC Bayern München veranstalten.
Die Mannschaft von Trainer Vladan Milojevic hat in den vergangenen Jahren die serbische Liga dominiert. Ist Roter Stern so etwas wie der FC Bayern von Serbien?
Stepanovic: Ja, das kann man so sagen. Roter Stern Belgrad ist wie der FC Bayern Rekordmeister, der größte Klub in Serbien und hat fünf Millionen Anhänger. Die Champions League-Qualifikation im vergangenen Jahr und in diesem Jahr haben dem Verein sehr geholfen. Roter Stern hatte Schulden, hat sich aber erholt. Die Einnahmen aus der Champions League waren und sind wahnsinnig wichtig für den Klub. Die serbischen Vereine leben normalerweise davon, Spieler auszubilden und sie dann an Klubs in Europa zu verkaufen – man könnte fast sagen, um jeden Preis. Das ist bei Roter Stern Belgrad inzwischen anders. Der Verein gibt immer noch Spieler ab, aber nur dann, wenn der Preis auch wirklich stimmt.
Sie selbst spielten in den 70er Jahren bei Roter Stern, als der Verein noch zu den Top-Klubs im europäischen Fußball zählte.
Stepanovic: Roter Stern war für damalige Verhältnisse ein sehr gut organisierter Verein, mit einem fantastischen Publikum. Zu unseren Spielen kamen 80000, 90000 Zuschauer ins Stadion. Aber die Ansprüche der Zuschauer waren auch sehr hoch. Die Leute haben immer erwartet, dass wir Meister werden, den Pokal holen und am besten noch einen europäischen Wettbewerb gewinnen. Es gab auch eine sehr, sehr schwere Phase während meiner Zeit bei Roter Stern. Ich hatte mich gerade von einer Verletzung erholt, da kam ein Brief. Ich dachte, ich muss sterben. Da stand, dass ich zur Armee muss. Eigentlich für ein Jahr. Weil ich zwei Kinder hatte, sind mir drei Monate erlassen worden. Neun Monate ohne Training und ohne Ligaspiele. Ich war mir sicher, dass das mein Karriereende ist. Aber das war es nicht. Ich kam zurück und bin mit Roter Stern noch Meister geworden.
Auf internationaler Ebene stellte sich für Roter Stern erst 1991 der erhoffte Sieg ein. Die Star-Truppe um Prosinecki holte im Finale gegen Marseille den Europapokal der Landesmeister. Stepanovic: Nachdem man Bayern im Halbfinale ausgeschaltet hatte. Damals hat Roter Stern in München gewonnen. Prosinecki, Savicevic, Pancev, Mihajlovic – die Mannschaft war top besetzt.
Dann kam der Bürgerkrieg ... Stepanovic: Und die Mannschaft fiel komplett auseinander. Vorher hat der Klub immer nur einzelne Spieler an die europäischen Top-Klubs verloren. Zu meiner Zeit durfte man erst mit 27 ins Ausland gehen. Ich war 28, als ich zu Eintracht Frankfurt wechselte. Hat ein Spieler Roter Stern verlassen, wurde er ersetzt, durch ein serbisches Talent oder einen Spieler aus dem restlichen Jugoslawien. Das passierte immer wieder und war kein Problem. Aber dann hat sich die ganze Mannschaft aufgelöst. Es hat ewig gedauert, bis sich der Verein erholt hat. Ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert.
Sie selbst sind später als Trainer in Ihre Heimat zurückgekehrt und arbeiteten bei mehreren serbischen Klubs. Stepanovic: Ich habe dort sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Während und nach der Kriegszeit haben die falschen Leute die Führung in den Vereinen übernommen. Leute, die mit dem Krieg Geld verdient haben. Es wurden Spiele verschoben. Und es sind kaum noch Zuschauer gekommen. Viele Leute konnten es sich einfach nicht mehr leisten, ins Stadion zu gehen. Inzwischen sind die Klubs wieder in den richtigen Händen. Insgesamt geht es den Menschen in Serbien wieder deutlich besser. Die Löhne steigen, ausländische Firmen investieren. Das macht sich auch in den Zuschauerzahlen in den Fußballstadien bemerkbar.
Belgrad gilt als Partyhochburg ... Stepanovic: Das Nachtleben ist sicher ganz oben in der Rangliste der europäischen Städte. Aber auch sonst ist Belgrad eine tolle Stadt. Jeder, der nach Belgrad oder nach Serbien kommt, wird das nicht vergessen. Wir Serben sind sehr gastfreundlich, keine Monster, die gerne Leute killen. Der Eindruck ist während der Kriegsjahre entstanden.
Nicht nur Rio, auch Belgrad hat sein Maracanã-Stadion. Es gilt als Hexenkessel.
Stepanovic: Was die Fans da veranstalten, ist der Wahnsinn. Da gibt es 90 Minuten lang Unterstützung für die eigene Mannschaft, egal wie es steht. Und dazu die Choreos – das ist vergleichbar mit Frankfurt. Gegen Roter Stern in Belgrad zu spielen, ist nicht leicht.
Nicht leicht hat es auch Niko Kovac als Trainer beim FC Bayern München.
Stepanovic: Das stört mich, dass ein erfolgreicher Trainer wie Niko Kovac in München um seinen Job zittern muss. Er hat die Meisterschaft und den Pokal gewonnen. Niko Kovac ist ein toller Trainer. Das hat er schon in Frankfurt gezeigt.
Die Bayern-Verantwortlichen erwarten von Kovac neben Meisterschaft und Pokalsieg auch Erfolge in der Champions League. Kann er in dieser Saison die Champions League gewinnen?
Stepanovic: Bayern hat neue Spieler geholt, die gut reinpassen. Man hat sich auf Positionen verstärkt, wo Bedarf da war. Trotzdem traue ich Bayern nicht zu, dass sie die Champions League gewinnen.
Auch wenn Sie recht haben sollten, wird für Niko Kovac und die BayernFans das Leben weitergehen ... Stepanovic: (Lacht) Lebbe geht weider.
Als Eintracht-Trainer haben Sie sich nach der verlorenen Meisterschaft am letzten Spieltag in Rostock mit diesem Satz unsterblich gemacht.
Stepanovic: Ja, ich werde immer wieder darauf angesprochen. Egal, in welcher Stadt ich bin, da kommen Leute auf mich zu und sagen: „Sie kenne ich doch. Ich weiß Ihren Namen nicht. Aber Sie sind doch der Mann, der gesagt hat: Lebbe geht weider.“Ein Satz, der auch für Roter Stern gilt, falls das Spiel gegen Bayern verloren geht. Es gibt dann immer noch fünf Spiele, die man gewinnen kann.
Interview: Roland Wiedemann
Dragoslav Stepanovic, 71, trainierte zahlreiche deutsche Vereine, darunter Eintracht Frankfurt und Bayer Leverkusen. Zuletzt betreute der hessische Botschafter für Flüchtlinge den serbischen Klub Radnicki Nis bis 2014.