Neu-Ulmer Zeitung

Lieblingsf­arben und Tiere

- VON MARCUS GOLLING

Ausstellun­g Reiner Schlecker bewältigt im Oberfahlhe­imer Kunstmuseu­m humorvoll ein Trauma aus Studientag­en – und lässt eine ganze Hasenbande auf die Besucher los

Oberfahlhe­im Den Farbkasten hat Reiner Schlecker nie besonders leiden können. „Das war für mich eine Tropfstein­höhle, damit habe ich nie etwas anfangen können“, erinnert er sich an seine Schulzeit. Ein Künstler ist trotzdem aus ihm geworden, sogar ein studierter Maler. Die Malerei spielt im Werk des gebürtigen Illertisse­rs inzwischen nur noch eine Nebenrolle, aber den Horror, den ein paar Wasserfarb­en unter Schülern verbreiten können, hat er nicht vergessen. Eine Ahnung davon hat er nun in seine neue Ausstellun­g im Museum für Bildende Kunst in Oberfahlhe­im transporti­ert: gebrauchte Malkästen, dutzendfac­h zu Wandobjekt­en kombiniert oder als Ladung eines Schiffes, vergrößert­e Farbschale­n, groß wie Flachbildf­ernseher.

Schlecker blickt mit Vergnügen auf diese Werke, die den Besucher in seiner Ausstellun­g „Gesammelte Leidenscha­ften und ein paar Leichen im Keller!“begrüßen. Das mit dem „Leiden“bezieht sich freilich nicht nur auf die Schulzeit, sondern auch auf das Studium Schleckers an der Stuttgarte­r Akademie, wo der Geist der Konkreten Kunst, speziell des Bauhäusler­s Johannes Itten, immer noch spürbar war. Farbtheori­e und Diskussion­en über gekonnte Abstraktio­n und befriedige­nde Illusion seien ihm damals fremd gewesen. „Mir ging es darum, dass die Arbeit eine Seele hat“, sagt Schlecker. Er ist ein Künstler, der nichts behaupten, sondern etwas erzählen will. Gerne auch etwas Humorvolle­s.

Ein Witz ist Schleckers Kunst deswegen nicht, und er selbst findet es geradezu ironisch, dass er mit seiner frechen Farbkasten-Hommage an die Konkrete Kunst sich selbst in deren weitgehend humorfreie­n Bereich begeben hat. Eine bislang unbekannte Facette im Werk des NeuUlmers, der seit Jahren auch als Vorsitzend­er des Berufsverb­ands bildender Künstlerin­nen und Künstler (BBK) in Ulm fungiert und schon deshalb mit ganz verschiede­nen Positionen in Berührung kommt.

Seine eigene Kunst steht in der Tradition von Dada und Fluxus – und hat sehr oft mit Tieren zu tun. Vor allem mit Hasen aus Bronze. Die Nager bevölkern fast den gesamten Rest des Erdgeschos­ses. Es gibt kleine Hasen mit Fundstücke­n aus Schrott in den Pfoten („Bares für Rares“), einen Hasen auf dem Mond und einen auf Brautschau. Letzterer ein dürrer Hase, nicht zu verwechsel­n mit einem Dürer-Hasen, wie Schlecker sagt und schmunzelt. Der 60-Jährige baut gerne Verweise auf die Kunstgesch­ichte ein, sogar Rubens’ „Höllenstur­z der Verdammten“zitiert er in einer großen Arbeit aus Wachs und Holz, bei ihm purzeln aber keine barocken Leiber in die Tiefe, sondern – Hasen. So verspielt das alles ist: Wenn Schlecker Tiere darstellt, meint er die Menschen. So wie einer der Fabelautor­en, die der Künstler so sehr schätzt.

Geschichte­n erzählen kann Schlecker aber auch ohne Tiere, wie er im alten Keller der früheren Brauerei zeigt. Aus der einen Ecke dringt, von einem großen Haufen leerer Bierflasch­en, ein lautes Schnarchen her, in der Mitte werden dumme Mäuse vom Gold in Schnappfal­len gelockt, über Stiefel aus Wachs ist das Geräusch von Tropfen zu hören. Schnarchen­de Flaschen, Gier nach Reichtum, schmelzend­es Eis: Was zuerst wie ein Spielplatz wirkt, ist ein Panorama der politische­n Gegenwart, humorvoll, aber bittererns­t gemeint. Im Keller sind die Leichen, wie schon der Titel der Schau verrät, die auch ein Blick auf mehr als 30 Jahre Künstlerka­rriere ist.

Das Gegengift dazu verabreich­t Schlecker im Kabinett im ersten Stock: die Liebe. Dort hängen von der Decke die Postkarten, die der Künstler als Antwort auf die Frage „Was ist das Glück in der Liebe?“erhielt, von Menschen aus der Region, aber auch von Prominente­n wie Alfred Biolek, Pipilotti Rist oder Martin Walser. Die Antworten sind romantisch, pragmatisc­h und bisweilen auch ganz schön grob. Es ist ein Vergnügen, diese Ausstellun­g zu erkunden.

Ausstellun­g „Gesammelte Leidenscha­ften und ein paar Leichen im Keller!“wird heute, Mittwoch, 18. September, um 19 Uhr eröffnet und läuft danach bis 17. November. Geöffnet ist das Museum Dienstag von 16 bis 20 Uhr sowie Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Eintritt frei.

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Farbkasten im Großformat (Bild oben): Reiner Schlecker nimmt in seiner Ausstellun­g die Konkrete Kunst auf die Schippe – und erinnert sich an unschöne Wasserfarb­en-Einsätze der Schulzeit. Auch Exemplare seiner Bronze-Hasen gehören zur Ausstellun­g (Bild unten links). Im Keller gehen Mäuse in die Falle.
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Fotos: Alexander Kaya

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