Da sein, aber nicht dazu gehören
Diskussion Sinti-Frauen aus der Region berichten im Rahmen des „Romno Power Festivals“von Diskriminierung und Beschimpfungen
Ulm Eine ganz normale Szene. Zunächst. Ihre zwei Buben sind aber sehr unterschiedlich, meint Bäckereiverkäuferin Michaela Steinberger zu einem Kunden. Ja, sagt der Mann freundlich, der eine sei der Arier, der andere der Zigeuner. Der Kunde geht – Steinberger bleibt perplex zurück. Die Ulmerin hat wieder einmal erlebt, wie andere über Menschen wie sie sprechen. Steinberger gehört, wie mehrere 100 andere Menschen in der Stadt, zur Volksgruppe der Sinti und Roma.
Bei einer Diskussion im Rahmen des „Romno Power Festivals“saß sie mit drei weiteren Frauen auf dem Podium im unteren Saal der Volkshochschule Ulm: der aus Ravensburg stammenden Autorin, Musikerin und Menschenrechtlerin Dotschy Reinhardt, die später am Abend auch noch eine musikalische Lesung gestaltete, deren Schwester Natalie Reinhardt, die sich in der Jugendarbeit für Sinti und Roma engagiert, und Liane Winter, eine weitere Ulmer Sinteza. Dazu kam Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter aus Wiblingen, Beauftragter der Landeskirche für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma.
Hoffmann-Richter zufolge leben seit etwa 600 Jahren Sinti in der Region Ulm. Immer wieder hatten die Sinti mit Hassverbrechen zu tun, einige wurden in der NS-Zeit deportiert und ermordet. Aber auch nach dem Krieg war es mit dem Hass nicht vorbei. Schlagzeilen machte ein Fall in Magoldsheim bei Münsingen, wo 1957 einige Dorfbewohner das Haus einer Sinti- Familie in deren Abwesenheit abrissen, begleitet vom Johlen anderer. 31 wurden für diese Tat zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Heute haben es die Sinti und Roma in der Region mit subtileren Formen der Diskriminierung zu tun. „Sobald man sich als Sinteza outet, wird man benachteiligt“, sagte Natalie Reinhardt. Da bekommt man die Wohnung oder den Job nicht. Da wird dem Kind vom Rektor die Gesamtschule empfohlen, obwohl es die Noten fürs Gymnasium hat. Auch Michaela Steinberger, die mit ihrer Familie in einem der Häuser am sogenannten „Zigeunerfelsen“zwischen Ulm und Lehr wohnt, kennt die Vorurteile, die Verachtung. „Wenn man sagt, man ist ein Sinto oder eine Sinteza, ist man für die Leute nur noch das eine.“Dabei sei sie viel mehr als das, sie sehe sich in erster Linie als Ulmerin. Dotschy Reinhardt pflichtete ihr bei: Man sage heute zwar nicht mehr das „Z-Wort“, aber die Bilder seien noch immer in den Köpfen.
Was man dagegen tun könne? Die Antwort fiel der Runde nicht leicht, zu starke Gefühle lösten die erzählten Erlebnisse aus. Sinti und Roma müssten informieren, untereinander und mit anderen sprechen, sie dürften aber nicht in der Opferrolle verharren, sondern müssten selbstbewusst zu ihrer Herkunft stehen – „Empowerment“ist hier das Stichwort. „Es gibt noch viel zu tun“, fasste Dotschy Reinhardt zusammen.