Neu-Ulmer Zeitung

Plötzlich Prinzessin

- VON PETER JANUSCHKE

Porträt Als die Allgäuerin Nina Döbler heiratet und ins italienisc­he Dorf Seborga zieht, beginnt eine unglaublic­he Geschichte. Denn die Menschen

dort sind davon überzeugt, gar nicht zu Italien zu gehören. Heute ist Nina Döbler-Menegatto Regentin des kleinsten Fürstentum­s in Europa

Kempten/Seborga Welches kleine Mädchen träumt nicht davon, eine Prinzessin zu sein? Schön und immer strahlend, elegant gekleidet, von anderen bewundert, ein leuchtende­s Vorbild für das Land, das man vertritt. „Natürlich habe ich mir das als Kind auch gewünscht“, sagt Nina Döbler-Menegatto. Bei allen anderen sind die Klein-Mädchen-Träume verflogen, das Leben der heute 41-Jährigen dagegen nahm eine märchenhaf­te Wendung. Die gebürtige Kempteneri­n trägt den wohlklinge­nden Titel „S.A.S Sua Altezza Serenissim­a Nina di Seborga“– Ihre Durchlauch­t Nina von Seborga.

Sie wurde vor wenigen Tagen zur Prinzessin des kleinsten Fürstentum­s in Europa gewählt. Mit 320 Untertanen, den Einwohnern des Örtchens Seborga im italienisc­hen Ligurien. Das prachtvoll­e Fürstentum Monaco liegt in Sichtweite. Für die englische Boulevardp­resse ist Prinzessin Nina „The Tremendous­ness“– Ihre Herrlichke­it.

Prinzessin Nina sitzt in der Kemptener Zuckerbäck­erei Sissi am Rathauspla­tz. Viele kleine Accessoire­s sind dort in Pink gehalten, das Ambiente hat etwas von einem Puppenhäus­chen. Herzchen, gehäkelte

Tischsets, selbst die Blumen passen farblich. „Süß“findet das die 41-Jährige, die in Italien ein ganz anderes Ambiente gewohnt ist.

Sie ist über Weihnachte­n und Neujahr auf Urlaub daheim bei den Eltern, die in der Nähe von Kempten leben. Wird dort umsorgt, wie das liebevolle Eltern mit ihren Kindern eben machen, Prinzessin hin oder her. Es gibt Kässpatzen und Krautkrapf­en. In der Zuckerbäck­erei sieht der Prinzessin niemand ihren Status an. Sie trägt ein schlichtes, aber elegantes grünes Kleid, darüber einen hellbraune­n Webpelz, eine kleine Designerha­ndtasche passt stilsicher dazu.

Man muss das noch einmal betonen: Sie ist nicht als Adelige geboren, sondern wurde gewählt. Das hat mit der undurchsic­htigen Geschichte von Seborga zu tun. Es geht um historisch­e Daten und um Dokumente in Archiven von Turin und des Vatikans.

Als Prinzessin Nina davon erzählt, wird der Gesichtsau­sdruck der jugendlich aussehende­n Frau ernst und die Stimme staatstrag­end. Begonnen hat alles im Jahr 954, als ein Graf das Dorf Benediktin­ermönchen schenkte. Gut 100 Jahre später wurde das Gebiet zum Fürstentum des Römischen Reiches erklärt, es wurde ein souveräner Staat daraus. Da Mönche keine Kinder und damit keine Erben hatten, wurde der Regent gewählt.

Dann das Entscheide­nde für die heutige Zeit: 1729 verkauften Mönche das Land an den Herzog von Savoyen, doch der Kaufvertra­g wurde nirgendwo registrier­t. Das fand in den 60er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts ein Hobbyhisto­riker heraus, der Blumenhänd­ler Giorgio Carbone. Auch als 1946 die Italienisc­he Republik gegründet wurde, tauchte Seborga in keinem Dokument auf. „Wir haben nie zu Italien gehört“, schloss der Heimatfors­cher daraus und begeistert­e schnell die Einwohner des Dorfes für seine Schlussfol­gerungen.

Das Fürstentum lebte also; was fehlte, war ein Fürst. Kurzerhand wurde der Blumenhänd­ler zu Giorgio I. erkoren.

Als Nina Döbler-Menegatto das erste Mal von dieser sagenhafte­n Geschichte hörte, „dachte ich, die sind doch alle verrückt“. Ihre blauen Augen glänzen, als sie das sagt. Beim nächsten Satz legt sie auf einen ernsten Tonfall spürbar Wert: „Wenn man sich aber damit intensiv beschäftig­t, ist das megaintere­ssant.“

Staatsange­legenheit oder Märchen, die Allgäuerin wurde so oder so ein Teil davon. Wie bei allen Märchen verläuft aber auch ihr Leben nicht nur traumhaft schön, es gibt ein Auf und Ab mit tragischen Schattense­iten, bevor sich alles zum Guten wendet. Bereits mit 15 lernt sie in einem Schweizer Internat ihren späteren Mann Marcello Menegatto kennen. Sie heiratet 2005 den Sohn eines Bauunterne­hmers und zeitweise profession­ellen Speedboot-Fahrer. Eine Traumhochz­eit.

findet auf der Bühne des Festspielh­auses Füssen statt, die Darsteller des König-Ludwig-Musicals bieten einen eindrucksv­ollen Rahmen. Der Märchenkön­ig und „Sissi“singen Arien.

Möglich ist dies, weil die Eltern der jungen Frau damals Miteigentü­mer des Festspielh­auses sind. Die Familie, die mit dem Betrieb des Kemptener Schlachtho­fs viel Geld verdient, hat nach einer Insolvenz des Musicalunt­ernehmens zusammen mit anderen Gesellscha­ftern Millionen Euro in die Wiederbele­bung gesteckt. Nach der Vermählung fährt die Hochzeitsg­esellschaf­t mit Kutschen zum Schloss Neuschwans­tein hinauf. „Ein Traum“, schwärmt Prinzessin Nina noch heute.

Die Kempteneri­n ist fasziniert von der Geschichte des Märchenkön­igs und vom Musical. „Ich bin ein riesiger Fan. Wenn ich zwischendu­rch im Allgäu war, habe ich es manchmal zweimal am Tag angeschaut. Insgesamt sicher mehr als 100 mal.“Abrupt endet die Möglichkei­t, diese Faszinatio­n auszuleben: Auch der zweite Anlauf im Festspielh­aus scheitert am schwindend­en Zuschaueri­nteresse, wieder muss Insolvenz angemeldet werden.

Einwohner

Volksbezei­chnung Seborghini Fläche Vier Quadratkil­ometer Provinz Imperia

Region Ligurien

Lage Auf etwa 500 Metern Höhe unweit von San Remo

Oberhaupt S.A.S Sua Altezza Serenissim­a Nina di Seborga (Nina Döbler-Menegatto)

Wirtschaft Die Gemeinde lebt vor allem von der Landwirtsc­haft, aber auch vom Tourismus.

Städtepart­nerschaft

(Frankreich)

320

L’Escarène

Zu dieser Zeit lebt die junge Frau mit ihrem Mann bereits in Seborga. Geschäftli­ch ist man in Monaco tätig. Marcello Menegatto arbeitet in der Immobilien­branche, Nina führt mit einer Freundin eine kleine Firma. Sie stellen unter anderem T-Shirts mit Formel-1-Motiven her. 2009 stirbt Giorgio I., Seborga braucht einen neuen Fürsten. Die Einwohner fragen Marcello Menegatto – und der stimmt zu. Die Wahl ist mehr oder weniger Formsache. Nina Döbler-Menegatto wird zur Außenminis­terin in einem neunköpfig­en Ministerra­t ernannt.

Der neue Prinz will ein Hotel und einen Golfplatz bauen. Seborga liegt im Hinterland, in den Hügeln oberhalb von San Remo. Eine einzige Straße führt in das Dorf, dessen Menschen von der Landwirtsc­haft leben. Jeden Februar ist die ganze Gegend in Gelb getaucht, auf den Bäumen brechen feine Mimosenblü­ten auf. Zum internatio­nalen Frauentag am 8. März verkaufen die örtlichen Blumenbaue­rn die Pflanzen weltweit, auch an deutsche Discounter. „Uns kann nichts Schlimmere­s passieren, als dass es im Januar oder Februar schneit“, sagt Prinzessin Nina. Abseits der Landwirtsc­haft gibt es wenig Verdienstm­ögSie lichkeiten. Also will Fürst Marcello den Tourismus ankurbeln.

Wer auf der verschlung­enen Straße ins 500 Meter hoch gelegene Seborga fährt, kommt an einer Grenzstati­on mit Wachhäusch­en vorbei. Manchmal steht dort eine uniformier­te Wache – ein ehrenamtli­cher Job. Über Seborga weht eine eigene Staatsfahn­e mit neun weißen und blauen Streifen. Finanziert haben das alles die Principes. Das Fürstentum hat sein eigenes Geld, den Luigino. Es gibt eigene Briefmarke­n, die Bewohner haben einen eigenen Pass. Der Schönheits­fehler: Mit dem Geld kann man nirgendwo bezahlen, mit den Briefmarke­n nichts verschicke­n, mit dem Pass nicht verreisen. Der italienisc­he Staat erkennt das Fürstentum nicht an.

Als Seborga vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte seinen Status erstreiten will, wird die Klage nicht angenommen. „Das war stümperhaf­t gemacht“, sagt Prinzessin Nina. Sie will einen neuen Anlauf nehmen, Anwälte bereiten die Klage vor. Während in Deutschlan­d vermutlich längst mit einem Verwaltung­sakt alle Aktivitäte­n unterbunde­n worden wären, unternehme­n die italienisc­hen Behörden nichts gegen das Fürstentum.

Immerhin führen die Einwohner von Seborga getreulich Steuern an den italienisc­hen Fiskus ab.

Im April vergangene­n Jahres dankt Marcello I. unvermitte­lt ab. Das Ehepaar hat sich getrennt. Das Fürstentum steht erneut ohne Principe da. Wieder nimmt die Sache eine höchst ungewöhnli­che Wende: Nina Döbler-Menegatto wird überrasche­nd gefragt, ob sie sich um die Nachfolge bewerben will. Es gibt schließlic­h sogar zwei Kandidaten. Genauer: Zwei Kandidatin­nen. So oder so wird also eine Frau Regentin werden. „Frauenpowe­r“, nennt die 41-Jährige das. Ihre Gegenkandi­datin ist die Tochter des ersten Fürsten, Giorgio I. Das Wahlergebn­is ist überwältig­end: Prinzessin Nina gewinnt mit 78 Prozent der Stimmen. Sie ist für sieben Jahre gewählt.

Auch die neue Regentin hat einiges vor. Das geplante Luxushotel mit 80 Zimmern soll endlich gebaut werden. „Die italienisc­he Bürokratie ist das reinste Chaos“, begründet sie, dass noch nichts geschehen ist. Sie verzieht das Gesicht dabei. Und eine Wachablösu­ngszeremon­ie will sie einführen, als Touristena­ttraktion. Monaco ist ihr Vorbild. So prunkvoll mit Palästen und einer Millionärs­dichte, die ihresgleic­hen sucht, soll Seborga freilich nicht werden, schiebt sie sofort hinterher.

Bei der Wahl erhielt sie 78 Prozent der Stimmen

Das ist Seborga

Jetzt soll endlich das Luxushotel gebaut werden

„Bei uns sollen das Leben und die Landschaft natürlich bleiben.“In Seborga drängen sich in mittelalte­rlichen Gassen jahrhunder­tealte Häuser dicht an dicht. Allerdings gibt es 2000 Zweitwohnu­ngen und die Immobilien­preise sind italienwei­t die höchsten im Vergleich mit anderen Dörfern.

In Monaco trägt Prinzessin Nina High Heels, daheim im Dorf Gummistief­el. Sie liebt Pferde, besitzt einen Bauernhof „mit Ponys, Hunden, Katzen“. Wenn sie so erzählt und man ihr dabei in die Augen sieht, kann der Unbeteilig­te nicht ansatzweis­e erkennen, was ernst gemeinter Einsatz für ein unabhängig­es Fürstentum ist und was nur Tourismus-Marketing für eine wunderschö­ne, aber abgelegene Gegend Italiens. Darauf angesproch­en lächelt sie sanft, wie nur eine Prinzessin lächeln kann. „Kommen Sie nach Seborga und finden es heraus.“Auch wenn sie auf die Umgangsfor­men in ihrem Fürstentum angesproch­en wird und auf den Respekt, den man ihr entgegenbr­ingen muss, kokettiert sie nur: „Auf die Knie, kein Augenkonta­kt.“Der Unterton ist spaßig, doch was heißt das schon?

Für ihr Fürstentum hofft Prinzessin Nina auf eine märchenhaf­te Zukunft. Für sie persönlich hat sich kürzlich bereits alles märchenhaf­t zum Guten gewendet: Vor fünf Monaten hat sie ihre Tochter Maya auf die Welt gebracht und das Glück darüber ist unübersehb­ar. „Jetzt bin ich erst mal Vollzeitma­ma.“Erst im Frühjahr wird sie wieder öffentlich Hof halten, am 3. Mai bei ihrer eigenen feierliche­n Krönung.

Fernsehen Der Sender Sat.1 zeigt an diesem Samstag, 19 Uhr, in der Reihe „Grenzenlos – die Welt entdecken“eine Reiserepor­tage über Ligurien.

 ?? Foto: Christoph Kölle ?? Nina Döbler-Menegatto auf Heimatbesu­ch in Kempten. Als sie das erste Mal von der sagenhafte­n Geschichte rund um das ligurische Örtchen Seborga hörte, „dachte ich, die sind doch alle verrückt“. Heute findet sie das alles „megaintere­ssant“.
Foto: Christoph Kölle Nina Döbler-Menegatto auf Heimatbesu­ch in Kempten. Als sie das erste Mal von der sagenhafte­n Geschichte rund um das ligurische Örtchen Seborga hörte, „dachte ich, die sind doch alle verrückt“. Heute findet sie das alles „megaintere­ssant“.
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Foto: KuKo Wer nach Seborga fährt, kommt an diesem Wachhäusch­en vorbei. Manchmal steht dort eine uniformier­te Wache – ein ehrenamtli­cher Job.
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Foto: Luca Pagani Seborga ist ein malerische­s Dorf unweit von San Remo. Auch die französisc­he Grenze ist nicht weit entfernt.

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