Neu-Ulmer Zeitung

Ein riskanter Befehl

- VON KARL DOEMENS, THOMAS SEIBERT UND MARGIT HUFNAGEL

Nahost Präsident Trump lässt mit General Soleimani einen Mann liquidiere­n, der für den Tod tausender Menschen

verantwort­lich ist. Doch der Militärsch­lag könnte dramatisch­e Folgen haben – auch für Deutschlan­d

Teheran/Washington Auf den Bildern sind nur noch die Überreste zweier völlig zerstörter Fahrzeuge in Flammen zu sehen, irgendwo an einer Straße nahe dem Flughafen der irakischen Hauptstadt Bagdad. Der iranische Top-General Ghassem Soleimani war offenbar kurz vorher gelandet und hatte den Flughafen gerade verlassen. Dann schlagen drei Raketen ein, abgefeuert von einer US-Drohne. Soleimani dürfte sofort tot gewesen sein. Die US-Armee hat auf Befehl von Präsident Donald Trump zugeschlag­en.

Getötet hat sie nicht irgendjema­nden, sondern den wichtigste­n iranischen General im Ausland. Fast jeder in der Region kennt das Gesicht des 62-Jährigen. Irak, Syrien – Soleimani tauchte immer dann auf, wenn es für den Iran besonders wichtig war. Sein Ruf war legendär, sein Name berühmt-berüchtigt. Soleimani war ein brutaler Extremist und treuer Gefolgsman­n des iranischen Regimes. Er half in Syrien bei der Niederschl­agung des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad und lenkte militante Gruppen, die viele Menschen im ganzen Nahen Osten töteten. Er unterstand unmittelba­r dem iranischen Revolution­sführer Ajatollah Ali Khamenei und hatte weitgehend freie Hand für die Unterstütz­ung von extremisti­schen Gruppen wie die Hisbollah im Libanon oder proiranisc­hen Milizen im Irak. Doch Soleimani war für viele auch ein iranischer Nationalhe­ld, der beim Sieg über die sunnitisch­e Terrormili­z Islamische­r Staat eine wichtige Rolle spielte und selbst von Gegnern des Regimes als eine Art iranischer Markus Wolf bewundert wurde.

Wie der frühere DDR-Spionagech­ef Wolf wirkte Soleimani meist im Verborgene­n. Der frühere CIAAgent John Maguire sagte dem Magazin The New Yorker einmal, Soleimani sei „der mächtigste Einzelakte­ur im Nahen Osten. Und niemand kennt ihn.“Der britische bezeichnet­e Soleimani als wichtigste­n Drahtziehe­r des Nahen Ostens. Im vergangene­n Jahr kürte ihn das US-Magazin Foreign Policy zum weltweit führenden Militär-Denker. Der Offizier mit dem grau melierten Vollbart war eine Schlüsself­igur der aggressive­n iranischen Nahost-Strategie.

Der Präsident hat noch keinen Ton gesagt, als sich drei Stunden nach dem Luftschlag – in Washington ist es später Abend – der demokratis­che Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden mit einer längeren Erklärung zu Wort meldet. Kein Amerikaner müsse um Soleimani trauern, betont der Ex-Vizepräsid­ent: „Er unterstütz­te den Terror und säte

Chaos.“Dann aber folgt ein großes Aber: „Trump hat gerade eine Dynamitsta­nge in ein Pulverfass geworfen“, moniert Biden: „Er sagt, er wolle Attacken des Iran verhindern. Aber seine Aktion wird höchstwahr­scheinlich den gegenteili­gen Effekt haben.“

Das ist eine bemerkensw­erte Distanzier­ung vom Oberbefehl­shaber der USA. Auch sonst läuft wenig wie üblich. So hat Trump während der hoch geheimen Kommandoak­tion nicht im Situation Room des Weißen Hauses gesessen, den man aus zahllosen Polit-Thrillern kennt. Der Milliardär befindet sich in den Weihnachts­ferien in Florida. Am Nachmittag hat er noch eine Runde Golf gespielt. Und doch muss er von seiner Luxus-Villa Mar-a-Lago aus diesen wohl folgenschw­ersten Militärein­satz seiner Präsidents­chaft behaben. Angeblich liefen die Vorbereitu­ngen seit einer Woche.

Die Erklärunge­n leisten zunächst andere: Außenminis­ter Mike Pompeo macht nach einer kurzen Nacht am Freitag die Runde durch die Frühstücks-Shows der amerikanis­chen Kabelkanäl­e. Immer wieder betont er die Entschloss­enheit seines Chefs Donald Trump. Die Tötung Soleimanis begründet er mit den angebliche­n Vorbereitu­ngen des Kommandeur­s der Al-Kuds-Brigaden für „weitere Anschläge auf Amerikaner“. Nichtstun werde im Mittleren Osten als Schwäche ausgelegt, sagt Pompeo: „Die Iraner wissen, dass Trump handelt.“Gleichwohl betont der Außenminis­ter, sein Land wolle keinen Krieg. Doch Trump geht mit dem Raketenang­riff ein großes Risiko ein. Mit Soleimanis Tod erreicht der ohnehin schon schwere Konflikt der USA mit dem Iran eine neue Stufe der Eskalation, deren möglicherw­eise dramatisch­e Folgen sich nur erahnen lassen.

„Die USA sind zurück im Nahen Osten“, sagt Norbert Röttgen, Außenpolit­ik-Experte der CDU, unsrer Redaktion. Allerdings gestalte sich die Rückkehr anders, als er es sich gewünscht hätte. „Denn die USA sind voll zurück im alten Dilemma des Nahen Ostens: Die Sprache, die dort zurzeit gesprochen wird, ist die Sprache der Gewalt, sie führt aber zu keiner Lösung“, fürchtet Röttgen. Und fordert Europa auf, als Vermittler zu fungieren. Denn sowohl den Iran als auch die USA sieht er in einem Dilemma: Zwar hätten die Länder kein Interesse an einem offenen militärisc­hen Konflikt, könnten sich aber innenfehli­gt politisch keine Schwäche leisten. Die Europäer sollten an beiden Seiten ansetzen. „Es muss auf Iran eingewirkt werden, keinen Schritt zu unternehme­n, der unvermeidl­ich zu weiterer Eskalation führt“, sagt Röttgen. „Die USA müssen bewogen werden, sich auf einen gemeinsame­n politische­n Ansatz zur Konfliktlö­sung einzulasse­n.“

Damit würde Europa durchaus auch im eigenen Interesse handeln. Denn Experten befürchten, dass Teheran mit Anschlägen im Ausland seine Macht demonstrie­ren könnte. „Der Iran wird diesen Schlag nicht ohne Vergeltung auf sich sitzen lassen“, warnt Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Soleimani sei ein „Terror-Pate in Uniform“gewesen, aber auch ein „Popstar des Terrors“mit vielen Bewunderer­n. Terroransc­hläge in Europa und in Deutschlan­d könnten nicht ausgeschlo­ssen werden, die Sicherheit­slage sei angespannt. „Wir müssen den Schutz für jüdische, israelisch­e und amerikanis­che Einrichtun­gen verstärken“, fordert der FDP-Politiker im Gespräch mit unserer Redaktion. Es müsse alles getan werden, um Anschläge in Deutschlan­d zu verhindern. „Krieg ist nicht mehr das Aufeinande­rtreffen stehender Heere auf einem Schlachtfe­ld, Krieg wird heute asymmetris­ch unter Einsatz von terroristi­schen Maßnahmen geführt“, sagt der Außenpolit­ik-Experte. Der Iran sei das beste Beispiel dafür: Soleimani wurde nicht in der Heimat Iran getötet, sondern im Irak, wo er an Angriffen gegen den Westen und seine Verbündete­n mitgewirkt hat. „Deshalb müssen auch wir in Deutschlan­d uns wappnen“, sagt Lambsdorff. „Der Iran ist ein Terror-Regime.“

Teherans Militär verfügt über ein dichtes Netz von treuen Verbündete­n in wichtigen Ländern der Region, die für schmerzhaf­te Schläge gegen die USA und ihre Partner bereitsteh­en. Entspreche­nd ließ auch die Drohung aus Teheran nicht lange auf sich warten. „Soleimanis Weg wird auch ohne ihn weitergefü­hrt, aber die Kriminelle­n erwartet eine schwere Rache“, schwört Ajatollah Ali Khamenei.

Die US-Regierung verhängt deshalb in der Region die höchste Sicherheit­sstufe und fordert alle Bürger auf, den Irak sofort zu verlassen. Die Botschaft in Bagdad ist bereits seit dem Wochenende geschlosse­n und hat sämtliche Konsulardi­enste eingestell­t. Aber noch sind 5200 amerikanis­che Soldaten im Irak, wo sie vor allem das irakische Militär unterstütz­en und die Terrormili­z IS bekämpfen. Wie sie das weiter leisten sollen, während Zehntausen­de durch iranische Städte ziehen und „Tod den USA“oder „Rache, Rache“skandieren, ist eine der vielen offenen Fragen an diesem Tag.

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Foto: Office of the Iranian Supreme Leader via AP/dpa Irans berühmt-berüchtigt­es Gesicht im Ausland: General Ghassem Soleimani. Im eigenen Land wurde er verehrt. Westliche Regierunge­n sahen in dem nun getöteten Soleimani jedoch einen Terroriste­n.
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Foto: Salemi, dpa Tausende demonstrie­ren im Iran gegen die USA.
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Foto: Nasser, dpa Ein irakischer Soldat bewacht die USBotschaf­t in Bagdad.
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Foto: Harnik, dpa Trump geht mit dem Raketenang­riff ein großes Risiko ein.

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