Warum immer wieder Connewitz?
Hintergrund Der Gewaltausbruch in der Neujahrsnacht in Leipzig, bei dem ein Polizist schwer verletzt wird, hat eine lange Vorgeschichte. Eine starke linksextreme Szene geht regelmäßig auf Konfrontation zur Staatsgewalt. Die SPD fragt, ob die Polizei die falsche Strategie verfolgt
Leipzig/Berlin Alle Jahre wieder: Pünktlich zum Jahreswechsel lässt in Leipzig die linke Szene Gewalt sprechen. In mancher Silvesternacht bleibt es bei kleinen Scharmützeln mit der Polizei, in manchen Jahren schlägt sich die Aggression wütend Bahn. Der Ort allerdings ist immer derselbe. Das Connewitzer Kreuz im Süden Leipzigs wird dann zum Aufmarschgebiet gewaltbereiter Radikaler.
In der Messestadt weiß jeder, dass es in der Nacht zu Neujahr Ärger gibt. Wer keinen Ärger will, meidet die große Straßenkreuzung zwischen der Südvorstadt und dem Stadtteil Connewitz. Dort hat sich Anfang der 90er Jahre eine linke, alternative Szene gebildet und bis heute gehalten. Stark ist sie in einigen Straßenzügen, keinesfalls im gesamten Viertel. Hausbesetzer nahmen sich die völlig heruntergewirtschafteten Altbauten, die die DDR durch Plattenbauten hatte ersetzen wollen. Dann kam 1989 eine Revolution dazwischen.
Bis auf die Silvesternacht und den 1. Mai geht es dort friedlich zu, auch wenn der Staat abgelehnt wird. Die Kneipen, Klubs und Konzertsäle gehören fest zum kulturellen Kern Leipzigs. Die Spaltung der Gesellschaft und der Aufstieg der AfD hatten dazu geführt, dass es wieder mehr Stress gibt. Das Verhältnis zur Leipziger Polizei war schon immer angespannt, doch spätestens seit sich ein rechter Mob Anfang 2016 durch das linke Quartier prügelte, stehen die Zeichen auf Konfrontation.
In der vergangenen Neujahrsnacht dann eine weitere Zuspitzung: Wie alle Jahre zeigte die Polizei in Connewitz Präsenz, wenn auch nach Einschätzung von Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar zunächst eher zurückhaltend und auf Deeskalation bedacht. Um 0.15 Uhr aber seien Polizisten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen worden, berichtete das Landeskriminalamt. Ein brennender Einkaufswagen sei in ihre Richtung geschoben worden. Die Lage eskalierte. Beim Versuch, einen mutmaßlichen Täter festzunehmen, seien drei Beamte angegriffen worden. Ein 38-jähriger Beamter wurde schwer verletzt und verlor das Bewusstsein. Über die Art der Verletzungen gibt es keine offiziellen Angaben. Anfängliche Informationen der Polizei aus der Nacht, ihr Kollege sei notoperiert worden, was auf Lebensgefahr hindeuten könnte, wurden erst am Freitag zurückgenommen. Gleichzeitig kam die gute Nachricht, dass der 38-Jährige das Krankenhaus wieder verlassen hat.
In den vergangenen Monaten waren in Leipzig immer wieder Autos und Baumaschinen in Brand gesetzt worden. Im Herbst hatten Unbekannte – die Ermittler vermuten, dass wie bei den Vorfällen am Silvesterabend Linksextremisten dahinterstecken – eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung überfallen und mit Fäusten traktiert. Ein Blick in den Verfassungsschutzbericht für 2018 – für einen Rückblick auf 2019 ist es noch zu früh – zeigt, dass Sachsen im Ländervergleich der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund mit insgesamt 115 Fällen hinter Nordrhein-Westfalen (446) an zweiter Stelle liegt. Und Leipzig gilt dabei deutschlandweit als eine Hochburg linksextremistischer Straftäter. Die Gewalttaten nähmen zu, sagt Tom Bernhardt vom sächsischen Landeskriminalamt.
Bayern (46 Fälle) folgt in der Übersicht des Bundesverfassungsschutzes übrigens an fünfter Stelle. Was steht dazu im bayerischen Verfassungsschutzbericht für 2018? Hier wird auf eine Serie linksextremistisch motivierter Straftaten „mit zum Teil hohen Schadenssummen“insbesondere in München verwiesen. „Die Auswahl der Ziele verdeutlicht, dass es sich nicht um spontan verübte Straftaten handelte, sondern dass sie Bestandteil einer langfristig angelegten linksextremistischen Strategie sind“, heißt es in dem Bericht.
Wer einschlägige Internetseiten aufschlägt, findet unter dem Datum 30. Dezember und der Überschrift „Autos und Funkmast der Bullen brennen in Leipzig“folgendes Posting: „Die Schweine haben dieses Jahr zu Silvester nach eigenen Angaben eine Falle für die Autonomen vorbereitet um sie zu fangen, wenn sie wieder mal staatliches Eigentum in Brand setzen.“Dem sei man zuvorgekommen und habe bereits zwei Tage vor Silvester „Brennbares“an einem Funkmasten und Fahrzeugen der Polizei platziert. Es ist der offene Aufruf zu Gewalt.
Die politische Debatte wird äußerst kontrovers geführt. Vor allem durch Äußerungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die die Taktik der sächsischen Polizei im Umgang mit den mutmaßlichen Linksextremisten infrage gestellt hatte. Sollte eine falsche Einsatztaktik Polizistinnen und Polizisten unnötig in Gefahr gebracht haben, läge die Verantwortung dafür beim sächsischen
Innenminister Roland Wöller (CDU), sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Dass es auch anders geht, hat sich vielfach gezeigt. Die Berliner Polizei hat zum Beispiel aus den Erfahrungen vergleichbarer Ausschreitungen am 1. Mai oder zu Silvester im Lauf der Jahre eine Deeskalationsstrategie entwickelt, die sich bewährt hat“, betonte die SPD-Politikerin.
„Sind immer die anderen schuld? Oder kann man Extremisten einfach mal so nennen und ihren Angriff verurteilen?“, monierte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Ähnlich klang es beim früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel:
„In einer Demokratie gibt’s keine Rechtfertigung für Gewalt! Und warum muss die Polizei sich rechtfertigen statt die Schläger?“Wer auf Polizisten und Feuerwehrleute losgeht, sei nicht links oder rechts, „sondern hat nicht alle Latten am Zaun!“. Nun, Esken sagte im gleichen Interview mit Blick auf den verletzten Polizisten auch: „Diesen Gewaltausbruch verurteilen wir.“Es sei „schrecklich“, dass der Beamte so schwer verletzt wurde, und die SPD-Vorsitzende fügte hinzu: „Unsere Gedanken sind bei ihm und seinen Angehörigen.“Aber dieser Passus ging in der öffentlichen Debatte über Eskens Aussagen schnell unter.
Auch aus der FDP kam Kritik. Parteichef Christian Lindner twitterte, die SPD falle den Beamtinnen und Beamten in den Rücken: „Wer für uns die Knochen hinhält, sollte den Rücken gestärkt bekommen. Hier werden Täter und Opfer vertauscht.“FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae (Kempten) sagte unserer Redaktion: „Weder Gewalt von links noch Gewalt von rechts ist in irgendeiner Weise akzeptabel. Wer bei Gewalt von links die Schuld immer sofort bei der Polizei sucht, hat offenbar ein verschobenes Koordinatensystem.“(mit bju, dpa)
Offener Aufruf zur Gewalt im Internet