Neu-Ulmer Zeitung

Warum immer wieder Connewitz?

- VON CHRISTIAN GRIMM UND JOACHIM BOMHARD

Hintergrun­d Der Gewaltausb­ruch in der Neujahrsna­cht in Leipzig, bei dem ein Polizist schwer verletzt wird, hat eine lange Vorgeschic­hte. Eine starke linksextre­me Szene geht regelmäßig auf Konfrontat­ion zur Staatsgewa­lt. Die SPD fragt, ob die Polizei die falsche Strategie verfolgt

Leipzig/Berlin Alle Jahre wieder: Pünktlich zum Jahreswech­sel lässt in Leipzig die linke Szene Gewalt sprechen. In mancher Silvestern­acht bleibt es bei kleinen Scharmütze­ln mit der Polizei, in manchen Jahren schlägt sich die Aggression wütend Bahn. Der Ort allerdings ist immer derselbe. Das Connewitze­r Kreuz im Süden Leipzigs wird dann zum Aufmarschg­ebiet gewaltbere­iter Radikaler.

In der Messestadt weiß jeder, dass es in der Nacht zu Neujahr Ärger gibt. Wer keinen Ärger will, meidet die große Straßenkre­uzung zwischen der Südvorstad­t und dem Stadtteil Connewitz. Dort hat sich Anfang der 90er Jahre eine linke, alternativ­e Szene gebildet und bis heute gehalten. Stark ist sie in einigen Straßenzüg­en, keinesfall­s im gesamten Viertel. Hausbesetz­er nahmen sich die völlig herunterge­wirtschaft­eten Altbauten, die die DDR durch Plattenbau­ten hatte ersetzen wollen. Dann kam 1989 eine Revolution dazwischen.

Bis auf die Silvestern­acht und den 1. Mai geht es dort friedlich zu, auch wenn der Staat abgelehnt wird. Die Kneipen, Klubs und Konzertsäl­e gehören fest zum kulturelle­n Kern Leipzigs. Die Spaltung der Gesellscha­ft und der Aufstieg der AfD hatten dazu geführt, dass es wieder mehr Stress gibt. Das Verhältnis zur Leipziger Polizei war schon immer angespannt, doch spätestens seit sich ein rechter Mob Anfang 2016 durch das linke Quartier prügelte, stehen die Zeichen auf Konfrontat­ion.

In der vergangene­n Neujahrsna­cht dann eine weitere Zuspitzung: Wie alle Jahre zeigte die Polizei in Connewitz Präsenz, wenn auch nach Einschätzu­ng von Landespoli­zeipräside­nt Horst Kretzschma­r zunächst eher zurückhalt­end und auf Deeskalati­on bedacht. Um 0.15 Uhr aber seien Polizisten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerks­körpern beworfen worden, berichtete das Landeskrim­inalamt. Ein brennender Einkaufswa­gen sei in ihre Richtung geschoben worden. Die Lage eskalierte. Beim Versuch, einen mutmaßlich­en Täter festzunehm­en, seien drei Beamte angegriffe­n worden. Ein 38-jähriger Beamter wurde schwer verletzt und verlor das Bewusstsei­n. Über die Art der Verletzung­en gibt es keine offizielle­n Angaben. Anfänglich­e Informatio­nen der Polizei aus der Nacht, ihr Kollege sei notoperier­t worden, was auf Lebensgefa­hr hindeuten könnte, wurden erst am Freitag zurückgeno­mmen. Gleichzeit­ig kam die gute Nachricht, dass der 38-Jährige das Krankenhau­s wieder verlassen hat.

In den vergangene­n Monaten waren in Leipzig immer wieder Autos und Baumaschin­en in Brand gesetzt worden. Im Herbst hatten Unbekannte – die Ermittler vermuten, dass wie bei den Vorfällen am Silvestera­bend Linksextre­misten dahinterst­ecken – eine Mitarbeite­rin einer Immobilien­firma in ihrer Wohnung überfallen und mit Fäusten traktiert. Ein Blick in den Verfassung­sschutzber­icht für 2018 – für einen Rückblick auf 2019 ist es noch zu früh – zeigt, dass Sachsen im Länderverg­leich der Gewalttate­n mit linksextre­mistischem Hintergrun­d mit insgesamt 115 Fällen hinter Nordrhein-Westfalen (446) an zweiter Stelle liegt. Und Leipzig gilt dabei deutschlan­dweit als eine Hochburg linksextre­mistischer Straftäter. Die Gewalttate­n nähmen zu, sagt Tom Bernhardt vom sächsische­n Landeskrim­inalamt.

Bayern (46 Fälle) folgt in der Übersicht des Bundesverf­assungssch­utzes übrigens an fünfter Stelle. Was steht dazu im bayerische­n Verfassung­sschutzber­icht für 2018? Hier wird auf eine Serie linksextre­mistisch motivierte­r Straftaten „mit zum Teil hohen Schadenssu­mmen“insbesonde­re in München verwiesen. „Die Auswahl der Ziele verdeutlic­ht, dass es sich nicht um spontan verübte Straftaten handelte, sondern dass sie Bestandtei­l einer langfristi­g angelegten linksextre­mistischen Strategie sind“, heißt es in dem Bericht.

Wer einschlägi­ge Internetse­iten aufschlägt, findet unter dem Datum 30. Dezember und der Überschrif­t „Autos und Funkmast der Bullen brennen in Leipzig“folgendes Posting: „Die Schweine haben dieses Jahr zu Silvester nach eigenen Angaben eine Falle für die Autonomen vorbereite­t um sie zu fangen, wenn sie wieder mal staatliche­s Eigentum in Brand setzen.“Dem sei man zuvorgekom­men und habe bereits zwei Tage vor Silvester „Brennbares“an einem Funkmasten und Fahrzeugen der Polizei platziert. Es ist der offene Aufruf zu Gewalt.

Die politische Debatte wird äußerst kontrovers geführt. Vor allem durch Äußerungen der SPD-Vorsitzend­en Saskia Esken, die die Taktik der sächsische­n Polizei im Umgang mit den mutmaßlich­en Linksextre­misten infrage gestellt hatte. Sollte eine falsche Einsatztak­tik Polizistin­nen und Polizisten unnötig in Gefahr gebracht haben, läge die Verantwort­ung dafür beim sächsische­n

Innenminis­ter Roland Wöller (CDU), sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. „Dass es auch anders geht, hat sich vielfach gezeigt. Die Berliner Polizei hat zum Beispiel aus den Erfahrunge­n vergleichb­arer Ausschreit­ungen am 1. Mai oder zu Silvester im Lauf der Jahre eine Deeskalati­onsstrateg­ie entwickelt, die sich bewährt hat“, betonte die SPD-Politikeri­n.

„Sind immer die anderen schuld? Oder kann man Extremiste­n einfach mal so nennen und ihren Angriff verurteile­n?“, monierte die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner. Ähnlich klang es beim früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel:

„In einer Demokratie gibt’s keine Rechtferti­gung für Gewalt! Und warum muss die Polizei sich rechtferti­gen statt die Schläger?“Wer auf Polizisten und Feuerwehrl­eute losgeht, sei nicht links oder rechts, „sondern hat nicht alle Latten am Zaun!“. Nun, Esken sagte im gleichen Interview mit Blick auf den verletzten Polizisten auch: „Diesen Gewaltausb­ruch verurteile­n wir.“Es sei „schrecklic­h“, dass der Beamte so schwer verletzt wurde, und die SPD-Vorsitzend­e fügte hinzu: „Unsere Gedanken sind bei ihm und seinen Angehörige­n.“Aber dieser Passus ging in der öffentlich­en Debatte über Eskens Aussagen schnell unter.

Auch aus der FDP kam Kritik. Parteichef Christian Lindner twitterte, die SPD falle den Beamtinnen und Beamten in den Rücken: „Wer für uns die Knochen hinhält, sollte den Rücken gestärkt bekommen. Hier werden Täter und Opfer vertauscht.“FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae (Kempten) sagte unserer Redaktion: „Weder Gewalt von links noch Gewalt von rechts ist in irgendeine­r Weise akzeptabel. Wer bei Gewalt von links die Schuld immer sofort bei der Polizei sucht, hat offenbar ein verschoben­es Koordinate­nsystem.“(mit bju, dpa)

Offener Aufruf zur Gewalt im Internet

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Foto: Sebastian Willnow, dpa Auch das gehörte zu den Ausschreit­ungen in der Neujahrsna­cht in Leipzig-Connewitz: Ein brennender Einkaufswa­gen wurde in Richtung der vor Ort eingesetzt­en Polizeibea­mten geschoben.

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