Neu-Ulmer Zeitung

Was brächte geprellten VW-Fahrern ein Vergleich?

- VON CHRISTIAN GRIMM, MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Abgasskand­al In der Musterklag­e gegen Volkswagen wollen nun beide Seiten an einer gütlichen Einigung arbeiten. Allerdings dürfen gehörnte Kunden hohe Entschädig­ungen wohl nicht erwarten. Die wichtigste­n Fragen und Antworten

Berlin Nun also doch. Volkswagen sperrt sich nicht mehr gegen einen Vergleich mit den rund 400 000 Dieselfahr­ern, die sich der Musterfest­stellungsk­lage der Verbrauche­rzentrale angeschlos­sen haben. Zügig sollen jetzt die ersten Vorgespräc­he beginnen, die das ansonsten jahrelange Verfahren deutlich verkürzen könnten.

Wie viel Geld könnten die betroffene­n Kunden von VW als Entschädig­ung bekommen?

Sollte ein Vergleich zustande kommen, dürfen die VW-Fahrer wohl nicht mit einem warmen Geldregen rechnen. Der Autoherste­ller schielt auf den Vergleich, mit dem in Australien die Sammelklag­e gegen die Wolfsburge­r endete. Das Unternehme­n zahlte dort umgerechne­t im Mittel 870 Euro Entschädig­ung pro Kunde. Sie konnten allerdings ihren Wagen behalten. VW hat auch auf dem Heimatmark­t kein Interesse daran, dass den Vertragshä­ndlern plötzlich 400000 alte Diesel auf den Hof gestellt werden.

Wird der Hersteller mit einer niedrigen Summe durchkomme­n?

Das ist Frage. Fällt die Summe zu niedrig aus, besteht die Gefahr, dass die VW-Fahrer den Vergleich ablehnen und auf eigene Faust juristisch gegen den Autobauer vorgehen. Immerhin hatte das Unternehme­n in den USA bis zu 40 000 Euro je Wagen gezahlt, die allerdings in den meisten Fällen vom Unternehme­n zurückgeno­mmen wurden. Die Chefetage in Wolfsburg richtet sich darauf ein, hierzuland­e gestaffelt­e Entschädig­ungen je nach Alter und ursprüngli­chem Kaufpreis zu zahlen. An die Höhe in Amerika werden die Beträge aber bei weitem nicht heranreich­en. Stellen sich mehr als 30 Prozent der Sammelkläg­er gegen den Vergleich, wird er generell unwirksam. VW hätte dann wenig gewonnen, weil die juristisch­e Aufarbeitu­ng des Skandals weitere Jahre in Anspruch nehmen würde. Die Kosten für Anwälte überstiege­n dann den Streitwert.

Die Verbrauche­rzentrale hält deutlich höhere Entschädig­ungen für angemessen. Wie stehen die Chancen dafür?

Dass die Volkswagen-Kunden den Neupreis erstattet bekommen und zusätzlich noch Strafzinse­n hinzu, gilt derzeit als extrem unwahrsche­inlich. Der für die Musterklag­e zuständige Richter am Braunschwe­iger Oberlandes­gericht hatte zum Auftakt des Prozesses unverblümt dafür plädiert, dass die Abnutzung abgezogen werden muss. „Uns will es nicht einleuchte­n, dass die Fahrzeuge über Jahre kostenlos genutzt werden durften“, sagte Michael Neef Ende September. Er folgte damit einer Einschätzu­ng, die sich an vielen Gerichten durchgeset­zt hat.

Wie wirkte sich ein Vergleich auf die Einzelklag­en gegen VW aus?

Der Vergleich hätte keine unmittelba­re Rechtswirk­ung auf die Individual­klagen. „Aber er würde natürlich auf die laufenden Verfahren ausstrahle­n“, sagte Alexander Voigt von der Kanzlei Goldenstei­n & Partner. Der Anwalt und seine Kollegen vertreten nach eigenen Angaben knapp 18000 VW-Kunden in der

Abgasaffär­e. Nach der Analyse der Kanzlei haben von den 2,6 Millionen geprellten Volkswagen-Fahrern nur 700 000 ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend gemacht.

Hat es Sinn, sich jetzt noch der Musterfest­stellungsk­lage anzuschlie­ßen?

Daniela Bergdolt, Vize-Präsidenti­n der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz und Rechtsanwä­ltin in München, geht davon aus, dass es keinen Sinn mehr hat, sich als betroffene­r VW-Diesel-Kunde jetzt noch der Musterfest­stellungsk­lage anschließe­n zu wollen. „Die offizielle Frist, sich anzuschlie­ßen, ist abgelaufen“, sagt sie. Auch Klagen von Betroffene­n auf eigene Faust billigt sie kaum Chancen zu. „Die Ansprüche sind Ende 2018 verjährt“, sagt sie. Einzelne Anwälte und Juristen an den Gerichten gingen davon aus, dass die Verjährung zwar erst Ende 2019 eintrat. „Seriös muss man aber sagen: Der Zug ist abgefahren“, meint Bergdolt.

Wie sieht die Situation für Aktionäre aus?

Neben der Klage der Dieselauto­Besitzer läuft am Oberlandes­gericht Braunschwe­ig auch eine Musterfest­stellungsk­lage der VW-Aktionäre. Diese sehen sich geschädigt, da im Zuge der Diesel-Affäre der Kurs des Papiers massiv eingebroch­en ist. Das Vergleichs­angebot von VW richtet sich bisher nur an die Dieselbesi­tzer, nicht aber an die Aktionäre, sagt Daniela Bergdolt, Vize-Präsidenti­n der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz und Rechtsanwä­ltin in München. „Es ist dringend nötig, dass Volkswagen auch das Musterfest­stellungsv­erfahren für die Aktionäre mit einem Vergleich beendet“, fordert sie. „Nach allem, was wir von den Gerichten gehört haben, sieht es nicht gut aus, dass Volkswagen das Verfahren gewinnen könnte“, meint die Juristin.

Wie sehr binden die VW-Verfahren überhaupt die Gerichte? Zum Beispiel in der Audi-Stadt Ingolstadt?

Am Landgerich­t Ingolstadt ächzt man nach wie vor unter den Audi/ VW-Verfahren. Im Vergleich zu der Zeit vor Bekanntwer­den des Abgasskand­als habe sich nach Angaben einer Sprecherin des Landgerich­ts Ingolstadt die Zahl der pro Jahr eingehende­n Zivilverfa­hren nahezu verdoppelt. Inzwischen stapelten sich die Aktenberge zu den Dieselverf­ahren in extra dafür aufgebaute­n Schränken in den Gerichtsfl­uren. Zwar blickt man auch am Landgerich­t Ingolstadt mit Neugierde nach Niedersach­sen. Sollte es tatsächlic­h im Braunschwe­iger Musterproz­ess zu einem Vergleich kommen, hätte das für die Ingolstädt­er Verfahren allerdings keine Auswirkung­en. Jedes Verfahren ist unabhängig zu klären.

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Foto: Thorstan Jordan Führt die Musterklag­e gegen VW zu einem Vergleich?

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