Regieren in Zeiten der Corona-Pandemie
Politik In Kanzleramt, Kabinett und Parlament versuchen Politiker mit Gesetzen die Folgen der Krise einzudämmen. Doch die Zeit drängt und das Virus ist im Bundestag angekommen. Auch die Arbeit der Journalisten ist eingeschränkt
Berlin In der Corona-Krise wird weiterregiert, doch im politischen Berlin sind die Folgen der Pandemie in allen Bereichen spürbar. Das Regierungsviertel in Mitte ist teils wie leer gefegt, die sonst so belebten Gänge der Bundestagsgebäude zu beiden Seiten der Spree sind verwaist. Was nur zu einem kleinen Teil daran liegt, dass die vergangene Woche sitzungsfrei war. Um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, setzen Abgeordnetenbüros und Ministerien auf Schichtbetrieb und Heimarbeit. Doch ab Montag werden wieder Gesetze gemacht, zuallererst solche, die die Folgen der Krise für die Bevölkerung lindern sollen. Das geschieht unter strengen Vorsichtsmaßnahmen, auch die Abgeordneten und Mitarbeiter des Bundestags sollen sich nicht zu nahe kommen, um das Coronavirus im Zaum zu halten. Unter dem Druck der Epidemie wird zudem nach einem straffen Zeitplan entschieden. Am Montag will das Kabinett die Anti-CoronaMaßnahmen auf den Weg bringen, am Dienstag beraten die Fraktionen. Und am Mittwoch entscheidet der Bundestag, bereits am Freitag sollen die Gesetze dann den Bundesrat passieren.
Allen Überlegungen, den Bundestagsbetrieb wegen der CoronaKrise auszusetzen, erteilt Bundestagsvize Wolfgang Kubicki (FDP) eine Absage: „Die kommende Sitzungswoche des Bundestages findet statt.“Die Tagesordnung werde aber im Vergleich zu „normalen“Wochen ausgedünnt. „Wir werden außerdem sicherstellen, dass der vom RKI empfohlene Sicherheitsabstand zwischen den Abgeordneten möglichst gewahrt wird. So ist denkbar, dass Sitze zwischen den Abgeordneten frei bleiben“, sagt Kubicki. Es sei wichtig, dass der Bundestag zusammentritt: „Einerseits, um dringend notwendige Beschlüsse für den weiteren Umgang mit der Krise zu fassen. Zum anderen hat dies sicher auch eine symbolische Strahlkraft. Es zeigt, dass das Herz der Demokratie auch in Zeiten der Krise schlägt.“
Bei der SPD sieht man das ähnlich, die Krise macht’s möglich:
„Der Staat tut alles, was nötig ist, um die Krise zu bewältigen. Der Bundestag kommt deshalb am Mittwoch zu einer Sitzung zusammen. Dabei werden wir zusätzliche Maßnahmen beschließen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und die Auswirkungen der Epidemie auf Arbeitsplätze und Wirtschaft zu begrenzen“, sagt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Für eine solche tiefe Krise habe der Staat finanzielle Reserven gebildet. Schneider: „Jetzt nutzen wir sie. Entscheidend ist ein handlungsfähiger Staat, der Partner und Schutzmacht der Bürger ist.“
Die Bundesregierung wurde von der Corona-Krise buchstäblich tiefergelegt. Statt die fast jeden Mittwoch stattfindende Kabinettssitzung wie üblich in luftigen und sonnendurchfluteten Höhen im sechsten Stock des Kanzleramtes abzuhalten, ging es für die Regierungsmitglieder ein paar Stockwerke tiefer. Das Treffen der Minister fand in dieser Woche erstmals im Internationalen Konferenzsaal statt. Der befindet sich in der ersten Etage des Kanzleramts und dient, wie der Name schon sagt, üblicherweise Zusammenkünften mit Delegationen anderer Staaten und ist deutlich größer als der Kabinettsraum. Was wiederum der Grund dafür war, dass die Kabinettssitzung dort abgehalten wurde: Die Regierungsmitglieder sollten ausreichend Corona-Sicherheitsabstand zueinander halten.
Mit Anja Karliczek (Bildung) und Olaf Scholz (Finanzen) fehlten zwei Kabinettsmitglieder wegen Krankheit entschuldigt. Karliczek steht nach Angaben ihres Ministeriums bis Dienstag vorsorglich unter häuslicher Quarantäne. Sie hatte demnach Kontakt mit einer Risikoperson, zeigt aber selbst keine Symptome. Olaf Scholz hatte sich wegen starker Erkältungsbeschwerden einem Corona-Test unterzogen, der jedoch negativ ausgefallen ist.
Die Kanzlerin hatte schon früh Vorsorge gegen eine Ansteckung getroffen. Ihre Mitarbeiter, denen man zuvor noch freundlich die Hand reichen konnte, verweigerten von einem Corona-Tag auf den anderen plötzlich diese Geste. Im Kanzleramt sei entsprechend Weisung erteilt worden, hieß es. Und doch musste Merkel im Anschluss an ihre Pressekonferenz vom Sonntag nun in Quarantäne, weil sie Kontakt zu einem positiv auf das Virus getesteten Arzt hatte.
Von den Folgen der Corona-Krise sind auch die einzelnen Ministerien betroffen – einige mehr als andere. Besonders gefährdet ist das
Außenministerium mit seinen weltweit rund 12000 Beschäftigten. Im Hauptsitz am Werderschen Markt arbeiten mehr als 3000 Personen. Diplomaten, die in aller Herren Länder stationiert sind, gehen dort normalerweise ein und aus. Doch weil dies große Infektionsrisiken bedeutet, werden persönliche Begegnungen derzeit nach Möglichkeit vermieden, wie in anderen Ministerien arbeiten viele Mitarbeiter von zu Hause aus oder im Schichtbetrieb. Die deutsche Außenpolitik findet derzeit vor allem virtuell statt, sagt eine Sprecherin von Außenminister Heiko Maas (SPD). Statt Staatsbesuchen gibt es Videokonferenzen. So war am Freitag der Antrittsbesuch des neuen ukrainischen Außenministers in Berlin geplant, der wegen der Krise jedoch abgesagt wurde. Stattdessen fand eine Videokonferenz statt. Auch die anschließende Pressekonferenz wurde digital übertragen. Zuvor war Maas virtuell nach Südafrika gereist, hat per Video mit seinem Amtskollegen in Pretoria gesprochen. Am Bildschirm wurde auch ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, die Verträge aus Papier werden nun per Luftpost verschickt.
Auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist zu normalen Zeiten viel in der Welt unterwegs. Doch wegen der Corona-Epidemie sind alle geplanten Reisen abgesagt. In Brüssel etwa sollte über die EUAfrika-Strategie diskutiert werden, in Lateinamerika wollte sich Müller ein Bild über den Schutz des Regenwaldes vor dem Hintergrund der Klimakrise machen. Beide Termine fallen aus, ebenso wie ein geplanter Besuch bei der Weltbank in New York. Wie es in den kommenden Wochen weitergeht, ist noch nicht bekannt, hängt auch vom weltweiten Verlauf der Epidemie ab. Wie Außenminister Maas konferiert auch Müller nun oft per Video mit ausländischen Partnern, so sein Sprecher Olaf Deutschbein, der derzeit von zu Hause aus arbeitet.
Die Bundestagskantine ist in diesen Tagen zur Mittagszeit ziemlich leer. Eine Mitarbeiterin reicht das Besteck, damit nicht alle Gäste in den Besteckkästen rumwühlen. Viele der Büros der 709 Bundestagsabgeordneten arbeiten im Krisenmodus, tausende von Mitarbeitern arbeiten in den heimischen vier Wänden oder in Schichten, sodass sie einander nicht persönlich begegnen. Im Büro des CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger etwa hält noch ein Mitarbeiter die Stellung. Pilsinger ist Arzt von Beruf, derzeit hält er sich in seiner Heimat München auf. Was er dort beobachtet, lässt ihn fast verzweifeln:
„Wenn ich die Menschenansammlungen vor Eisdielen und Parks sehe, sollten wir wirklich überlegen, bundesweit Ausgangssperren zu verhängen. Die Situation ist sehr gefährlich und wir können sie nur gemeinsam bewältigen.“Jeder solle derzeit nur das Notwendigste an sozialen Kontakten haben. Denn die Spitze der Epidemie komme wahrscheinlich erst Anfang Mai. Dass der Bundestag, wenn auch in reduzierter Besetzung, zusammentritt, um über die Corona-Krisengesetze zu beraten, sei aber notwendig, sagt Pilsinger.
Etliche Abgeordnete werden in der kommenden Sitzungswoche fehlen, weil sie wegen Corona-Verdachts unter Quarantäne stehen. Wie viele dies sind, ist derzeit unklar. Bei Grünen-Politiker Cem Özdemir fiel der Test positiv aus. Am Coronavirus erkrankt ist auch der Politiker Friedrich Merz, der sich um den CDU-Vorsitz bewirbt, aber derzeit kein Bundestagsmandat hat.
Für die Hauptstadtjournalisten ist die Epidemie mit tiefen Einschnitten verbunden. Verabredungen werden abgesagt, die sogenannten Hintergrundgespräche finden nicht statt. Treffen mit den Mitarbeitern von Abgeordneten fallen schon deshalb aus, weil viele von ihnen zu Hause arbeiten. Pressekonferenzen werden vielfach per Video übertragen – ohne Gäste, was vom gesundheitlichen Standpunkt her Sinn ergeben mag. Aus journalistischer Sicht ist das jedoch fatal, denn vielfach sind Fragen gar nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Die Bundespressekonferenz allerdings trotzt allen Abschottungstendenzen. Der Verein der Hauptstadtjournalisten mit seinen knapp 1000 Mitgliedern hat sich entschieden, gerade in der Krise weiterzumachen, damit die Bevölkerung nicht auf Informationen verzichten muss. Die Regierungspressekonferenzen mit den Sprechern der Ministerien finden ebenso statt wie Pressekonferenzen mit einzelnen Ministern oder auch der Kanzlerin. Allerdings geht auch das nicht ohne Einschränkungen ab. Den mehrere hundert Sitzplätze großen Saal mit der markanten blauen Wand dürfen nur noch maximal 50 Journalisten betreten. Die müssen erst ihre Anschrift hinterlassen, dann dürfen sie durch eine der Glastüren in den Saal. Dort wiederum gilt für Gäste wie Journalisten ebenfalls das Gebot, ausreichend Abstand zu halten. Damit sich alle Mitglieder beteiligen können, werden schriftliche Fragen von denjenigen zugelassen, die die Veranstaltung nur vom Bildschirm aus verfolgen können.
„Es zeigt, dass das
Herz der Demokratie auch in Zeiten der Krise schlägt.“
Bundestagsvize Wolfgang Kubicki (FDP)