Die UN bitten um Milliarden
Reiche Länder lassen nur zögerlich Geld für
die Ärmsten fließen
Genf Die Corona-Pandemie frisst sich immer stärker in die armen Länder hinein – und die Vereinten Nationen müssen ihre medizinische und humanitäre Hilfe für Millionen Menschen drastisch hochfahren. Die Weltorganisation braucht nach ihren neuesten Berechnungen 6,7 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen die Seuche in den südlichen Regionen des Erdballs, etwa die Verteilung von Schutzmasken. Das geht aus dem Hilfeaufruf der Vereinten Nationen hervor. Ursprünglich, Ende März, hatten die UN zur Finanzierung ihres CoronaNothilfeplans noch rund zwei Milliarden US-Dollar veranschlagt.
Der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock rief die finanzstarken Länder zu großzügigen Zahlungen auf. Der Corona-Plan sieht Programme in 63 Ländern vor: von Pakistan über Nigeria bis Kolumbien. „Die Covid-19-Pandemie verletzt uns alle“, sagte Lowcock. Die „verheerendsten“Auswirkungen würden aber Regionen in Afrika, dem Nahen Osten und Asien sowie Südamerika treffen. „Wenn wir jetzt nicht handeln, müssen wir uns auf einen erheblichen Anstieg der Konflikte, des Hungers und der Armut gefasst machen“, warnte der Brite. Beispiel Afghanistan: Ohne rasche Gegenmaßnahmen könnten sich in dem Bürgerkriegsland rund 80 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infizieren, warnte die Internationale Organisation für Migration der UN.
Allerdings halten sich viele reiche Geberstaaten zurück – sie benötigen die Gelder zur Finanzierung des Kampfes gegen die Krankheit zu Hause. Nach eigenen Angaben erhielten die UN bislang nur 923 Millionen US-Dollar, um Corona in den armen Regionen einzudämmen. Ein Teil davon stammt zudem aus internen Transfers innerhalb des UNSystems.
Bagdad Für die meisten Regierungschefs der Welt ist die Corona-Pandemie derzeit das Thema Nummer eins. Für Mustafa al-Kasimi hingegen ist die Seuche nur ein Problem von vielen. Der 53-jährige Ex-Geheimdienstchef wurde vom Parlament in Bagdad zum neuen Ministerpräsidenten des Irak gewählt. Damit wurde ein monatelanges Machtvakuum in dem Krisenland beendet. Doch Kasimi steht zugleich vor einem Strudel aus Konflikten und Schwierigkeiten, die den Fortbestand des Staates bedrohen. Die Menschen im Irak sind Krisen gewohnt, doch jetzt ist die Lage besonders schlimm. Der Ölpreisverfall stürzt den Haushalt ins Chaos, landesweite Proteste erschüttern die Politik und der „Islamische Staat“greift wieder an.
Schon in normalen Zeiten ist es im Irak schwierig, eine Regierung zu bilden. Die Postenvergabe erfolgt im Irak nach einem Proporzsystem, das nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein 2003 entstand. Traditionell ist der Präsident ein Kurde, der Parlamentspräsident ein Sunnit und der Ministerpräsident ein Schiit; auch bei den Ministerposten wird auf einen Proporz geachtet. Diese Machtteilung soll eine erneute Diktatur und blutige Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen verhindern. Weil die Schiiten die Mehrheit bilden, geben ihre Parteien maßgeblich den Ton an. Kritiker sehen in diesem System einen der Hauptgründe für die weitverbreitete Korruption. Manche Beobachter nennen den Irak einen „gescheiterten Staat“.
Der Nachbar Iran, der über schiitische Parteien viel Einfluss auf die Regierungsbildung in Bagdad hat, macht die Konsenssuche noch schwieriger: Die irakischen Politiker brauchten nach dem Rücktritt von Ex-Premier Adil Abdu-Mahdi, der im Herbst von Massenprotesten aus dem Amt gejagt wurde, fast ein halbes Jahr, um sich auf Kasimi zu einigen. Im April verhinderten proiranische Parteien die Wahl des früheren Provinzgouverneurs Adnan al-Zurfi, der aus Sicht Teherans zu Amerika-freundlich war. Selbst nach Kasimis Wahl gibt es weiter Streit um wichtige Posten: Über den neuen Ölminister, den neuen Außenminister und über andere Kabinettsmitglieder will das Parlament erst später abstimmen, da es vorab keine Einigung auf Kandidaten gab.
Kasimi sei für den Iran im Vergleich zum vorherigen Kandidaten Zurfi das „kleinere Übel“, schrieb der Irak-Experte Ali Alfoneh vom US-Institut für die arabischen Golfstaaten. Ismail Qaani, Chef der iranischen Elitetruppe Quds und Nachfolger des von den USA ermordeten
Generals Qassem Soleimani, gab laut Presseberichten bei einem kürzlichen Besuch in Bagdad grünes Licht für Kasimi. Möglicherweise geschah das ohne große Begeisterung: Ein treuer Gefolgsmann Teherans wäre wohl nicht durchsetzbar gewesen.
Das heißt aber nicht, dass der Iran seinen Einfluss auf den Irak aufgeben will. Der US-Mordanschlag auf Soleimani am Flughafen von Bagdad zeigte, wie sehr das Land zum Schlachtfeld von Amerika und Iran geworden ist. Nach dem Tod des iranischen Generals im Januar griff der Iran amerikanische Stützpunkte im Irak mit Raketen an. Die USA und Iran wollen sich gegenseitig aus dem Irak vertreiben – auch deshalb ist die Regierungsbildung in Bagdad für beide Seiten so wichtig.
Aus Sicht der USA ist Kasimi ein verlässlicher Partner; unmittelbar nach seiner Wahl in der Nacht zum Donnerstag telefonierte der neue Premier mit US-Außenminister Michael Pompeo. Anders als frühere irakische Premiers kommt Kasimi nicht aus dem Dunstkreis proiranischer Parteien, sondern ist ein säkularer Politiker und ein Pragmatiker. Er war ein Gegner Saddam Husseins und floh bereits in den 1980er Jahren ins Ausland. Nach Saddams