„Befreites Aufspielen ist das nicht“
Interview Katrin Albsteiger ist seit 1. Mai Oberbürgermeisterin der Stadt Neu-Ulm, nächste Woche wird sie vereidigt.
Vorab spricht sie über ihren Start ins Amt, ihre Ziele und die Folgen der Corona-Krise – aber auch über Fußball
Frau Albsteiger, wie waren Ihre ersten Tage als Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin?
Albsteiger: Ich fühle mich wohl. Die Technik hat schnell funktioniert, ich bin die ersten Aufgaben angegangen, und als die ersten Arbeitsmappen dieses Büro bearbeitet verlassen haben, war ich angekommen. Das gibt einem eine gewisse Sicherheit, dass man etwas getan und nicht nur sich selber organisiert hat. Insofern bin ich schon zufrieden. Ich habe auch schon den einen oder anderen Kontakt mit den Mitarbeitern hier im Rathaus gehabt. Gut, dass es losgegangen ist.
Aber Sie hätten sich Ihren Start vermutlich anders vorgestellt als jetzt mitten hinein in die Corona-Krise? Albsteiger: Das ist ja immer so, Politik ist kein Wunschkonzert. Und in diesem Fall muss man natürlich mit solchen Umständen umgehen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich sechs Jahre lang nur Sonnenschein haben würde. Dass es jetzt gleich am Anfang so eine Sondersituation sein würde, damit habe ich weder gerechnet noch habe ich mir es gewünscht. Wer wünscht sich das schon? Ich versuche jetzt, damit umzugehen, Entscheidungen zu treffen und mich in den Gremien einzubringen. Wir versuchen alle das Beste, damit wir möglichst schnell, aber auch angemessen und verantwortungsvoll irgendwann wieder zur Normalität zurückkehren können. Da versuche ich, meinen Teil beizutragen.
Die Stadt Neu-Ulm wird, so wie es jetzt aussieht, von den finanziellen Folgen der Corona-Krise besonders stark betroffen sein. Wie sehen Sie den nächsten Wochen und Monaten entgegen?
Albsteiger: Also ich würde lügen, wenn ich sagen würde, das macht mir keine Sorgen. Natürlich tut es das. Die Stadt Neu-Ulm hat sich über Jahre hinweg Projekte und Investitionen vorgenommen, die wichtig und natürlich auch mit Ausgaben verbunden sind. Das ist in den letzten Jahren verantwortungsvoll und sehr akribisch gemacht worden, was natürlich auch künftig so laufen wird. Aber jetzt unter Voraussetzungen, die wir so nie und nimmer, auch nicht in Krisensituationen, erwartet hätten. Befreites Aufspielen ist das nicht. Wir werden uns alles sehr genau im Detail anschauen müssen, an welchen Stellen wir dieses Jahr noch einsparen können, welche Projekte wir nicht verfolgen, wo wir vielleicht auch Schulden aufnehmen müssen und wie wir über das Jahr kommen.
Was hat da für Sie Priorität? Albsteiger: Fragen Sie mich das, wenn ich mir den Haushalt im Detail angeschaut habe. Wie gesagt, die Pflichtaufgaben, an denen wir nicht rütteln können, die haben immer Priorität. Beauftragte Projekte ebenso, da sind ja schon Verträge abgeschlossen worden, insofern kann man da nichts mehr machen. Bei allen anderen Dingen hat man jetzt erst mal „Stopp“gesagt. Es gibt allerdings, offen gestanden, schon ein Thema, das man herausgehoben erwähnen könnte, das ist der Bereich der Kinderbetreuung.
Wie schlagen sich Ihrer Ansicht nach bislang Deutschland und Bayern in der Krise?
Albsteiger: Ich bin mit dem Krisenmanagement insgesamt sehr zufrieden. Es hilft, mal den Blick von außen auf Deutschland zu richten. Mein Bruder wohnt zum Beispiel in Österreich, da hat man ein weiteres Positiv-Beispiel. Ich habe Kontakte nach Italien, das ist eher negativ. Ich glaube, dass in einer solchen Krise, in einer solchen Ausnahmesituation, die es in dieser Art und Weise in den letzten Jahrzehnten außerhalb von Kriegszuständen nie gegeben hat, nicht immer alles super gut läuft. Dass es auch Dinge gibt, bei denen sich verschiedene Ebenen uneinig sind. Und dass es auch, gerade in einer Grenzland-Situation extrem schwierig ist, weil es einfach unterschiedliche Regelungen gibt.
Wäre es da hilfreich, wenn sich die Länder stärker auf eine einheitliche
Linie einigen würden oder ist es aus Ihrer Sicht okay, dass es jeder so macht, wie er denkt?
Albsteiger: Also ich bin ein großer Fan des Föderalismus. Ich glaube, dass es sehr gute Gründe dafür gibt. Und dementsprechend müssen wir natürlich auch in solchen Situationen damit leben. Aber ich würde mir schon wünschen, gerade weil wir in dieser Sondersituation mit Ulm und Neu-Ulm sind, dass wir hier zu mehr Einheitlichkeit kommen.
Was sagen Sie als Fußballfan zum Neustart der Bundesliga mit Geisterspielen?
Albsteiger: Fußballer haben Verträge. Das ist ihr Job, dem sollen sie bitte nachgehen. Insofern finde ich es vollkommen in Ordnung, wenn sie ihre Arbeit weiter ausüben. Und dann hat das noch eine zweite Komponente, nämlich, dass Fußball bei uns Nationalsport ist. Ich bin auch ein großer Fußballfan und ich glaube, dass es gerade in Zeiten, in denen so viel Verzicht notwendig ist, den einen oder anderen, sehr glücklich machen wird, wenn man im Fernsehen wieder Fußballspiele anschauen kann.
Jetzt mal von der Corona-Krise abgesehen, was haben Sie sich für die nächsten Wochen und Monate als Oberbürgermeisterin vorgenommen?
Albsteiger: Das kann man nicht von der Corona-Krise getrennt definieren, weil unser Nachtragshaushalt hier ja eine Richtung vorgeben wird. Aber ich habe es schon anklingen lassen, dass es einen Bereich gibt, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und den ich insgesamt für die Stadt und die Menschen hier extrem wichtig finde. Das ist die Kinderbetreuung. Ich habe mir vorgenommen, diese Projekte konsequent fortzuführen. Der zweite größere Bereich ist das Thema Mobilität. Der ÖPNV ist ein Riesen-Ding, das zwar in Corona-Zeiten etwas an Bedeutung verloren hat, aber strategisch für die Stadt enorm wichtig ist. Wir werden intensiv an neuen Mobilitätskonzepten für die Doppelstadt arbeiten und mit dem Landkreis in Verhandlungen zur Übernahme der Aufgabenträgerschaft des Nahverkehrs eintreten. Drittens Digitalisierung: Wir werden ein Konzept zur Realisierung des digitalen Bürgerzentrums erstellen. Viertens die Wirtschaft. Wenn wir wieder in Richtung Normalität zurückkehren, müssen wir schauen: Wer schafft es unbeschadet oder zumindest so, dass er sich wieder erholt nach dieser Zeit, und wer schafft es nicht? Wirtschaftshilfen können wir als Stadt nicht geben, aber Wirtschaftsförderung betreiben können wir natürlich. Und schließlich fünftens: Klimaschutz.
Bislang hatte die CSU-Fraktion im Neu-Ulmer Stadtrat gemeinsam mit Pro Neu-Ulm eine Mehrheit. Jetzt haben sich die Kräfteverhältnisse geändert. Wo sehen Sie künftig Mehrheiten für wichtige Entscheidungen? Albsteiger: Mein Ziel ist es, mit einer möglichst großen Einheitlichkeit, gerade bei den großen Themen, weiter zu gehen. Mir ist es nicht wichtig, 50 Prozent plus eins zu haben, sondern immer möglichst viel Konsens im Stadtrat herbeizuführen. Dass das nicht immer möglich ist, ist mir auch klar. Dafür bin ich schon zu lange in der Politik, als dass ich diese Blauäugigkeit noch hätte. Wir werden sicherlich auch weiterhin Streitereien haben. Aber ich versuche, mit allen im Stadtrat vertretenen Parteien und Gruppierungen ein gutes Miteinander zu haben. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir im Ältestenrat eine Änderung anstreben. Bisher waren dort nur die Fraktionen vertreten, künftig sollen auch Gruppierungen, die keinen Fraktionsstatus haben, mit dabei sein dürfen. Das ist eine konsequente Änderung, die zeigt, dass es nicht darum geht, Machtpolitik zu betreiben, sondern um Gemeinsamkeit.
Wie geht es Ihnen persönlich in der Corona-Krise?
Albsteiger: Also die letzten Wochen zwischen der Wahl und dem Amtsantritt waren für mich auf der einen Seite sehr entspannt. Ich sehe da ganz klar das Positive daran. Weil ich nie in der Situation war, schon bevor ich im Amt war, mich auf zig Veranstaltungen zeigen zu müssen, sondern auch die Möglichkeit hatte, einfach mal zu Hause zu sein. Das war schön. Einfach mal ein bisschen runterkommen, nachdem ich im Wahlkampf monatelang sieben Tage die Woche unterwegs war. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so geschlaucht gewesen bin. Insofern habe ich die Zeit auch gebraucht. Und die Krise hat mir erlaubt, mich ohne schlechtes Gewissen auch mal ein bisschen zurückzuziehen. Auf der anderen Seite bin ich in der gleichen Situation wie andere Eltern auch. Die Kinder sind zu Hause, auch sieben Tage die Woche. Das kann sehr anstrengend sein.
Wenn die Krise überstanden ist: Worauf freuen Sie sich am meisten? Albsteiger: Auf den engen Kontakt zu meiner Familie. Ich rede jetzt nicht von meinen Kindern und meinem Mann, den habe ich natürlich nach wie vor, wir leben in einem Haushalt. Aber mir fehlen unheimlich die Großeltern, also meine Eltern, meine Oma. Und auch die Möglichkeit, sich mal in den Arm zu nehmen. Die menschliche Nähe ist das, was mir am meisten fehlt. Darauf freue ich mich wieder.
Interview: Michael Ruddigkeit