Schlachthöfe werden zu Corona-Herden
Hygiene
Die Zahl der Infektionen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein überrascht Kenner der Branche nicht
Coesfeld Deutsche Schlachthöfe entwickeln sich zunehmend zu CoronaBrennpunkten. Im April brach die Krankheit in einem Fleischwarenwerk in Birkenfeld (Baden-Württemberg) aus. Jetzt sind Schlachthöfe in Coesfeld und Oer-Erkenschwick (Nordrhein-Westfalen) sowie Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) betroffen. Branchenkenner sind nicht davon überrascht, dass es nun so viele Infektionen gibt.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) ist überzeugt, dass die Unterbringung der Arbeiter – viele aus Ost- und Südosteuropa, viele bei Subunternehmern beschäftigt – die Verbreitung des Virus begünstigt. Freddy Adjan, stellvertretender NGG-Vorsitzender,
sagt: „Die in der Schlachtindustrie über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigten Menschen werden seit vielen Jahren rücksichtslos ausgenutzt. Die Arbeitgeber lagern nicht nur die Arbeit, sondern auch jede Verantwortung bequem an Subunternehmen aus.“Referatsleiter Thomas Bernhard ergänzt: „Die Arbeiter wohnen zu eng aufeinander.“Zu kleine Wohnungen, zu viele Leute darin, zu wenig Sanitärräume – „ein Riesenproblem“. In den Betrieben werde zwar auf Schutzmaßnahmen geachtet – „hinter dem Werkstor ist das aber schnell vergessen“, so Bernhard. In diesem Jahr hätten osteuropäische Schlachter zudem wegen der Corona-Beschränkungen über Ostern nicht in ihre Heimat gekonnt. „Deshalb haben sie viel Zeit eng zusammen verbracht.“
Die Fleischbranche steht seit langem in der Kritik. Erst Anfang dieses Jahres legte Niedersachsens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann einen Bericht über Kontrollen in den Schlachthöfen vor. Fazit: „Unangemessene Lohnabzüge, mangelhafter Arbeitsschutz und unwürdige Unterkünfte“. Die Branche sei geprägt von „schwer nachvollziehbaren Firmenstrukturen, dem häufigen Einsatz von Werkvertragsnehmern sowie der vorwiegend anzutreffenden Beschäftigung von Arbeitskräften aus Osteuropa“. Der Schlachthofbetreiber übernehme „rechtlich keine Verantwortung“, heißt es in dem Bericht.
Die Branche wehrt sich gegen Vorwürfe, Arbeiter schlecht unterzubringen. „Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen“habe diese Kritik keine Substanz, betonte die Fleischwirtschaft im vergangenen Oktober. Deutschlands größter Fleischverarbeiter Tönnies warnte nach den neuen Fällen davor, die gesamte Branche unter Generalverdacht zu stellen.
Bislang sei viel zu wenig kontrolliert worden, meint der LinkenBundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel. Er verweist auf die offizielle Antwort auf eine Anfrage seiner Fraktion. Demnach werde ein Betrieb im Durchschnitt nur alle 25 Jahre durch Arbeitsschutzbehörden kontrolliert. Claus Haffert, dpa