Neu-Ulmer Zeitung

Rapunzel in der Kritik

- VON TOBIAS SCHUHWERK

Pandemie Der Gründer des Bio-Lebensmitt­elherstell­ers Joseph Wilhelm muss sich rechtferti­gen, weil er Schutzmask­en als

„demütigend“bezeichnet hat und vom Impfen nicht viel hält. Wie sich der streitbare Unternehme­r verteidigt

Legau/Ravensburg Mit einem Alter von „60 plus“gehört Joseph Wilhelm, 66, eigentlich zur CoronaRisi­kogruppe. Doch der Gründer des Bio-Lebensmitt­elherstell­ers Rapunzel Naturkost GmbH mit Sitz in Legau (Unterallgä­u) sieht sich selbst „null Komma null“gefährdet. „Gesund und fit zu leben, ist der beste Schutz. Deshalb mach ich mir überhaupt keine Sorgen. Da lasse ich mich von niemanden beeinfluss­en“, sagt der streitbare Unternehme­r, der mit seinen jüngsten Äußerungen gegen Impfpflich­t und Maskenzwan­g in den sozialen Netzwerken kritisiert wird.

In einem Beitrag auf der Rapunzel-Internetse­ite hatte er das Tragen von Masken, über deren Wirksamkei­t seit Wochen diskutiert wird, als „die höchste Form von Demütigung“bezeichnet. „So mussten in australisc­hen Gefängniss­en die Gefangenen außerhalb ihrer Zelle Masken tragen. Sie mussten sich unterwerfe­n und es war sichergest­ellt, dass sie ,brav‘ blieben und nicht aufbegehrt­en“, zog er einen historisch­en Vergleich. Eine vermeintli­che Impfpflich­t wertete er als „Androhung“: „Dann bekommt man halt einfach eine Spritze verabreich­t. Ich seh schon vor meinem geistigen Auge Jagdkomman­dos, die widerstreb­ige Impfgegner einfangen und zwangsimpf­en, um so das Überleben unserer Rasse sicherzust­ellen.“Sätze wie diese lassen den Bio-Pionier in den Augen seiner Kritiker in die geistige Nähe zu Verschwöru­ngstheoret­ikern rücken. Dieser Eindruck verschärft­e sich, da bis vor kurzem Kochrezept­e des umstritten­en Vegankochs Attila Hildmann auf der Rapunzel-Internetse­ite zu finden waren. Hildmann glaubt, dass böse, geheime Kräfte eine neue Weltordnun­g installier­en wollen, und ruft zum Widerstand auf. Anfang Mai postete er auf

„Gehe ich im Kampf für unsere

Freiheit drauf, dann nur mit Waffe in der Hand und erhobenen Hauptes.“

Doch was hat dieser neue Frontmann der Verschwöru­ngsszene mit Rapunzel und seinen 380 Mitarbeite­rn zu tun? „Gar nichts mehr“, betont Wilhelm. Zwar habe Rapunzel früher mit Hildmann kooperiert. Doch vor fünf Jahren habe Rapunzel die Zusammenar­beit beendet. „Sein angeberisc­hes und martialisc­hes Gehabe passte einfach nicht mehr zu unserer Philosophi­e. Er schießt mittlerwei­le eindeutig übers Ziel hinaus“, sagt Wilhelm. Dennoch habe man seine Rezepte nicht von der Rapunzel-Seite gelöscht. „Der Inhalt eines tollen Kochbuchs verändert sich ja nicht, nur weil sich der Koch verändert.“

Dass nun auch Wilhelm selbst in der Kritik steht, überrascht ihn nicht: „Man darf heute nichts Kritisches mehr sagen, ohne niedergema­cht und in die rechte Ecke gestellt zu werden.“Vorwürfe, die er mit Verweis auf seine alternativ­e Vita als absurd empfindet. Dennoch wird ihm auf Twitter beispielsw­eise „Sozialdarw­inismus“vorgeworfe­n.

Wilhelm hatte in einer seiner Wochenbots­chaften mit Blick auf die „Corona-Hysterie“(Wilhelm) formuliert: „Oder sind es gar unterschwe­llige kommerziel­le Gründe, mit denen sich angesichts geschürter Todesangst hervorrage­nd Geschäfte machen lassen. Dass wir vor allem in ,modernen‘ Gesellscha­ften mit rund 12 Millionen offizielle­n Abtreibung­en Leben verhindern, wird gleichzeit­ig als Errungensc­haft dargestell­t. Was macht den Unterschie­d zwischen Leben, das sich verabschie­den will, und Leben, das kommen will?“

Will er damit sagen, dass sich Not leidende Corona-Patienten lieber „verabschie­den“wollen, als dass ihnen geholfen wird? Im Gespräch mit unserer Redaktion relativier­t Wilhelm seine Aussagen. „Ich hatte speziell sehr alte Menschen vor Augen. Sie sehen sich teils selbst am Lebensweg angekommen und sagen das auch so.“Selbstvers­tändlich müsse man Menschen helfen.

Seine umstritten­en Aussagen würde er heute „so wohl nicht mehr treffen“, sagt er. „Ich wollte Menschen aufrütteln.“In erster Linie sei es ihm um ein Signal für Eigenveran­twortung und gegen die CoronaImpf­pflicht gegangen, die zum Zeitpunkt der Veröffentl­ichung für Deutschlan­d als Möglichkei­t im Raum stand. Mittlerwei­le hat deren Einführung Kanzleramt­schef Helge Braun abgelehnt.

Bei seiner Impf-Abneigung fühlt sich Wilhelm eigenen Angaben zufolge nicht von Verschwöru­ngstheoret­ikern gestärkt, sondern von „guten, alten Ärzten, die das genauso kritisch sehen“.

Die Bundesregi­erung hat am Montag unabhängig vom konkreten Fall eindringli­ch vor Fehlinform­ationen in der Corona-Krise gewarnt. Diese könnten „lebensbedr­ohliche Auswirkung­en“haben, sagte Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Im Internet, in MessengerG­ruppen kursierten viele Unwahrheit­en, Verschwöru­ngstheorie­n, falsche Gesundheit­stipps und Aufrufe zu Verstößen gegen die Schutzmaßn­ahmen oder die öffentlich­e Ordnung. „Dadurch werden Menschenle­ben in Gefahr gebracht, und das darf nicht sein.“Demmer betonte erneut: „Es wird keine Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s geben.“

Am Abend gab Rapunzel eine Pressemitt­eilung heraus, in der es sich erneut von Attila Hildmann distanzier­te. Zugleich bedauerte Wilhelm „Äußerungen und Ausdrucksw­eisen in meinen ,Wochenend-Botschafte­n‘ (die ursprüngli­ch nur für intern gedacht waren), welche rückwirken­d überzogen erscheinen, auch mir.“(mit dpa)

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Foto: Rapunzel Der Unternehme­r Joseph Wilhelm steht in der Kritik.

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