Neu-Ulmer Zeitung

Von schweren Entscheidu­ngen in Corona-Zeiten

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Hingehen und Mitfeiern oder lieber daheim bleiben? Früher hieß das oft: Doch noch rausgehen oder gemütlich auf dem Sofa bleiben. Dank Corona hat sich diese harmlose Frage zum Gewissensk­onflikt entwickelt. Trotz strenger Kontaktbes­chränkunge­n flattern in diesem Lockdown light hin und wieder leichtfert­ig ausgesproc­hene verbotene Einladunge­n ins Haus. Ist es denn so verwerflic­h, den Geburtstag des Kindes wenigstens ein bisschen feiern zu wollen? In Elchingen kamen kürzlich sieben Menschen aus drei Haushalten zu einem Kindergebu­rtstag zusammen. Sie wurden angezeigt.

Dabei sind es ja nicht nur freudige Anlässe, zu denen Menschen sich treffen. Und anders als Geburtstag­e kann man Beerdigung­en nicht einfach nächstes Jahr nachholen. Die Polizisten in der Region haben zur Zeit auch Einsätze bei Trauerfeie­rn und Taufen. Sämtliche Treffen von mehr als zwei Haushalten sind verboten.

Zwei Haushalte. Das ist doch echt wenig. Eltern und zwei gerade so erwachsene Kinder, vielleicht erst kürzlich daheim ausgezogen, dürfen sich nicht mehr treffen – aber wäre das schlimm? Wenn bei zwei Mitbewohne­rn in einer WG die Partner zu Besuch sind, ist es grenzwerti­g im Sinne des Infektions­schutzes – aber wäre das so schlimm?

Wir sind gerade alle sehr kreativ, wenn es darum geht, kleinere Übertretun­gen des Infektions­schutzgese­tzes vor uns selbst zu rechtferti­gen.

Und dann gibt es noch die Kritiker, die vereinfach­t gesagt, so argumentie­ren: „Was soll’s? Bei den meisten bricht die Krankheit doch gar nicht richtig aus.“Rufen wir uns deshalb in Erinnerung, was diese Pandemie so gefährlich macht: Die Kapazität der Betten sowie das verfügbare Personal auf unseren Intensivst­ationen könnten nicht mehr für alle Kranken ausreichen. Die aktuellen Zahlen legen nahe, dass der Kollaps des Gesundheit­ssystems in Deutschlan­d noch nicht unmittelba­r bevorsteht. Möglich, dass er dank der derzeit geltendend­en Maßnahmen gar nicht eintritt. Die Uniklinik Ulm etwa sieht sich für die zweite Corona-Welle gut gewappnet.

Wie das Worst-Case-Szenario aussieht, zeigt aber ein Blick auf unsere Nachbarlän­der: In Belgien fürchten die Ärzte, bald vielfach die Triage anwenden zu müssen. Dabei müssen die Mediziner entscheide­n, welcher Patient einen der raren Behandlung­splätze erhält und wer von vornherein weniger Überlebens­chancen bekommt. Vielleicht weil er zu alt oder gesundheit­lich vorbelaste­t ist. Asthma, eine Krankheit mit der sich heutzutage eigentlich gut leben lässt, könnte in diesem Worst-Case zum Todesurtei­l werden.

Kritiker führen dabei gern die angeblich allen anderen überlegene Kapazität an Intensivbe­tten in Deutschlan­d an: Doch auch die kommt an ihre Grenze, wenn man dem Virus freie Bahn lässt.

Überlegen wir uns in Zukunft also genau, welche kleine Feier, welches Treffen unbedingt jetzt stattfinde­n muss – verboten wäre es bei mehr als zwei Haushalten ja ohnehin. Denn im schlimmste­n

Fall stehen unsere Ärzte vor einer viel schwierige­ren Entscheidu­ng.

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